Acht Tage nach der Premiere einer Neuinszenierung des Don Giovanni an der Oper Leipzig, die ich rezensiert habe, hatte ich das Glück, im Rahmen der Mozartwoche an der Salzburger Felsenreitschule eine überzeugende szenische Einrichtung von Rolando Villazón am 29. Januar 2023 zu erleben. Villazón übermittelt die enorm komplexe Zusammenstellung von Empfindungen und Situationen, die sich im Laufe dieser zweiaktigen Oper ereignen, am effektivsten. Von der grüblerischen Lesart der Ouvertüre (die dramatischste, die ich je auf historischen Instrumenten gehört habe) bis zum munteren Schluss-Sextett hat mich diese großartige Aufführung durchweg gefesselt. (Rezension der Vorstellung v. 29.01.2023)
Optisch war diese Salzburger Inszenierung die sinnvollste, die ich auf der Bühne erlebt habe. Besonders wirkungsvoll war die Verdammnis des Don Giovanni, die haarsträubend intensiv war, weil sie den Eindruck vermittelte, dass der Protagonist in echtem Schrecken weggezerrt wird, ohne die Eingriffe der Regie, die diese Szene eher albern als mitreißend machen können. Dank der sparsamen, aber logischen Requisiten auf der Bühne (die Felsenreitschule selbst bietet eine attraktive Kulisse, die in der Handlung verwendet werden kann, z.B. die Feier in Don Giovannis Haus im Finale des ersten Aktes) konzentrierte sich die Aufmerksamkeit auf die einzelnen Charaktere und ihre Interaktionen untereinander, so wie es für ein erfolgreiches Drama sein sollte. Die beiden Balkone mit den Eingangstüren an den gegenüberliegenden Seiten der Bühne und die Kostüme, die Aspekte der Persönlichkeit der jeweiligen Figur zum Ausdruck brachten, deuteten auf Sevilla als den Schauplatz der Oper.
Uraufgeführt am 29. Oktober 1787 im Prager Nationaltheater (heute: Ständetheater), war Il dissoluto punito ossia Il Don Giovanni, KV 527, Wolfgang Amadeus Mozarts zweite Zusammenarbeit mit dem Librettisten Lorenzo Da Ponte. Das „Dramma giocoso“ wurde überarbeitet und in Wien am 7. Mai 1788 erneut aufgeführt. Die hier betrachtete Aufführung kombinierte den größten Teil der Musik aus den beiden Fassungen mit Ausnahme des Rezitativs und des Duetts für Leporello und Zerlina (Nr. 21a „Per queste tue manine“) im zweiten Akt.
Der Bariton Johannes Kammler verkörperte die Titelrolle eines jungen Edelmannes, den man nicht verdächtigen würde, Donna Annas Vater getötet zu haben. Mit seiner warmen Baritonstimme und seinem gentlemanhaften Auftreten ließ Kammler Don Giovanni im Umgang mit den anderen Figuren seines Ranges (z.B. Don Ottavio und Donna Anna) äußerlich höflich erscheinen. Zu anderen Zeiten zeigte Kammler die Aggression der Figur, insbesondere gegenüber Masetto, und ließ die Verführung Zerlinas fast bedrohlich erscheinen (mit anderen Worten: Komm mit mir, mein Schatz, oder du wirst es bereuen, wenn du nicht gehorchst!). Diese Rolle ist aufgrund ihrer Komplexität und der vielfältigen Anforderungen, die an den Sänger gestellt werden, schwer überzeugend darzustellen: Verständnis für verführerische Körpersprache und Blickkontakt, ansprechend und sympathisch zu wirken, trotz der Tötung des Komturs vor den Augen des Publikums, und schließlich ein selbstbewusster Mann zu sein, der das Leben zu seinen eigenen Bedingungen genießt. Legenden wie der Bass Cesare Siepi konnten dies erreichen, indem sie sympathisch aussahen und deutlich machten, dass die Tötung des Komturs nicht vorsätzlich war.
Sylvia Schwartz stellte Donna Anna als eine zurückhaltende Edelfrau dar, die entschlossen ist, ihren Vater zu rächen und zu ehren. Ihr Umgang mit Don Ottavio ist stets höflich und respektvoll, aber sie zeigt wenig romantisches Interesse an ihm. Dies steht im Einklang mit dem Libretto, das Fragen über ihr Interesse an einer Heirat mit Ottavio aufwirft. Mit ihrer dramatischen Koloratursopranstimme gelang es Schwartz, Mozarts anspruchsvollen Notentext mit Bravour zu bewältigen.
Als Don Ottavio machte Julian Prégardien die Figur zu einem interessanten Charakter, dessen ständige Bitten um die Heirat mit Donna Anna echt und von Herzen kommen. In dieser Mischung aus der Prager und der Wiener Fassungen übernahm Prégardien die beiden Arien von Ottavio: „Dalla sua pace“ (Wiener Fassung, 1. Akt, Szene 14) sowie „Il mio tesoro intanto“ (Prager Fassung, 2. Akt, Szene 10). Er sang beide Arien mit vielen Verzierungen und einer raffinierten Belcanto-Schönheit, die das Publikum begeisterte. Während der gesamten Aufführung zeigte er sich als starker Gegenspieler von Don Giovanni, der nicht zögert, sich mit einem Mann von Rang anzulegen.
Die Star-Mezzosopranistin Magdalena Kožená gab eine sehr beeindruckende Vorstellung der Donna Elvira als liebeskranke, leicht neurotische und emotional verletzte Frau, die entschlossen ist, Don Giovanni dazu zu bringen, sich an sie zu binden. Obwohl die Rolle einer vornehmen Dame aus Burgos für eine Sopranstimme vorgesehen war, sang Kožená die hohen Töne ergreifend, ohne die Musik zu verändern. Ihre Darbietung der Arie „Mi tradì, quell’alma ingrata“ (Wiener Fassung, 2. Akt, Szene 10d) war besonders fesselnd.
Als einziger italienischer Muttersprachler in der Besetzung verkörperte der Bass Maurizio Muraro einen humorvollen Leporello, der klüger zu sein schien als sein Meister Don Giovanni. Er war ein echter „Buffo“, der Don Giovanni aus gesellschaftlicher Konvention und finanzieller Belohnung heraus begleitete. Er zeigte viel Ironie in seinen Interaktionen mit dem Don und hinterließ den Eindruck, dass er den jungen Adligen wenig schätzte. Es war ein besonderes Vergnügen, diese Rolle von einem echten Bass gesungen zu hören, wie Mozart es vorgab, denn dieser Stimmtyp verleiht der Arie „Madamina, il catalogo è questo“ (1. Akt, Szene 5) einen Hauch von Dunkelheit und das Gefühl, mehr Lebenserfahrung und Weisheit zu haben als der Mann, dem er dient.
Die Rolle des Masetto war für einen Bass vorgesehen, da derselbe Sänger bei der Uraufführung der Oper (Giuseppe Lolli in Prag am 29. Oktober 1787 und Francesco Bussani in Wien am 7. Mai 1788) auch die Rolle des Komturs verkörperte. Es wäre hoch interessant diese Rollendopplung in einer modernen Produktionen zu sehen. Sowohl Il Commendatore als auch Masetto haben einen Grund, Don Giovanni zu bestrafen, denn der erste wurde von ihm getötet und der andere grausam verprügelt. In dieser Inszenierung machte der Bariton Julien Van Mellaerts den Masetto zu einer liebenswerten Figur, aber es fehlte die Schärfe des Zorns und der Verbitterung, die eine tiefere Stimme der Rolle verleihen kann. In dieser Interpretation entpuppte sich Masetto als liebevoller zukünftiger Ehemann von Zerlina, der von Don Giovanni überwältigt schien.
Julia Lezhneva (Julija Michailowna Leschnewa), eine Sopranistin, die vor allem als Spezialistin des Barock-Repertoires bekannt ist, war eine bezaubernde Zerlina. Lezhnevas Interpretation der Arie „Batti, batti, o bel Masetto“ (1. Akt, Szene 16) war so süß, mit einem Hinweis darauf, dass der Text ironisch ist: Zerlina erwartet nicht, dass Masetto sie schlägt; sie neckt ihn hier wegen seiner Eifersucht. Zerlina und Masetto sind bereit für einen Liebesakt, bevor Don Giovanni eintrifft. Stimmlich ist Lezhneva ideal für diese Rolle, denn sie macht deutlich, dass sie Masetto trotz ihrer Beinahe-Verführung durch Don Giovanni aufrichtig liebt. Besonders nervös wirkte sie in ihrem Duettino „Là ci darem la mano“ (1. Akt, Szene 9) mit Don Giovanni, als würde er sie zwingen, seinen Wünschen nachzukommen.
Als Il Commendatore setzte Robert Holl seine Bassstimme ein, um den Eindruck eines Mannes zu erwecken, der zu Beginn der Oper aus Liebe handelt, um seine Tochter zu schützen, und am Ende mit dem richtigen Maß an Bedrohung, um zu zeigen, wie ernst es ihm mit der Abrechnung mit Don Giovanni ist.
Der Hauptgrund dafür, dass diese Inszenierung so wirkungsvoll war, war das Dirigat von András Schiff, der Tempi wählte, die es ermöglichten, jedes Wort klar zu artikulieren und die Emotionen hervorzuheben, die jede Szene dieser enorm reichen Partitur erfordert. Von Zärtlichkeit und Verspieltheit bis hin zu Wut und brennender dramatischer Intensität leitete Schiff sein Orchester Cappella Andrea Barca mit historischen Instrumenten und den Bachchor Salzburg mit einer Gesamtvision und einer Detailgenauigkeit, die selbst viele der großen weltberühmten Orchester in diesem Werk übertrafen. Mit subtiler Artikulation und Rhythmik gab Schiff die aufregendste Verschleppung des Don Giovanni in die Hölle, die ich je in einer Live-Aufführung gehört habe (die einzige andere Aufführung, die dieser nahe kam, war an der Berliner Staatsoper im Schiller Theater am 3. November 2013 unter der Leitung von Daniel Barenboim). Schiff leitete die Aufführung von einem Hammerflügel aus der Zeit Mozarts und begleitete die Rezitative, um die Bedeutung des Textes zu unterstreichen, ohne übermäßigen Ornamenten, die von den Stimmen ablenken und sie überdecken. Dies war ein meisterhaftes Beispiel, das andere Dirigenten zur Kenntnis nehmen sollten (viele Hammerflügelspieler behandeln die Begleitung von Rezitativen, als wären sie die Kadenzen von Klavierkonzerten). Da Schiff und die Musiker auf der Bühne standen, nahm er gelegentlich am Geschehen teil. Besonders amüsant war, als er in der Abendessenszene (2.Akt, Szene 13) einen Bissen von Leporellos Essen nahm, sich schnell die Hände mit einer Serviette abwischte und dann weiter Klavier spielte.
Ich verließ die Felsenreitschule in der Hoffnung, dass diese Aufführung aufgezeichnet wurde, damit sie einem größeren Publikum zugänglich gemacht werden kann. Es wäre großartig, wenn Schiff und Villazón sich zusammentun würden, um weitere Mozart-Opern auf diese Weise zu inszenieren. Schließlich war dies die durchweg befriedigendste Aufführung des Don Giovanni, die ich auf der Bühne gesehen habe. Die Konzentration auf das sich entfaltende Drama, die Figuren und ihre Beziehungen zueinander ist ein entscheidender Erfolgsfaktor.
- Rezension von Dr. Daniel Floyd / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Mozartwochen Salzburg / Don Giovanni
- Titelfoto: Mozartwochen Salzburg 2023/DON GIOVANNI/Foto @ Wolfgang Lienbacher
3 Gedanken zu „Spannende „Don Giovanni“- Aufführung in der Salzburger Felsenreitschule&8220;