Zum Abschluss des Leipziger Bachfestes: Die „Messe in h-Moll“ meisterlich dirigiert

Bachfest Leipzig 2024/P. Herreweghe/Foto: © Bach-Archiv Leipzig/Gert Mothes

Das Abschlusskonzert des jährlichen Bachfestes in der Leipziger Thomaskirche besteht immer aus einer Aufführung der „h-Moll-Messe“, BWV 232, von Johann Sebastian Bach. Am 16. Juni 2024 habe ich die Interpretation eines Dirigenten und eines Ensembles genossen, die mindestens drei hochgelobte Aufnahmen dieses Meisterwerks veröffentlicht haben. Unter der Leitung von Philippe Herreweghe bestand das Collegium Vocale Gent aus 24 Orchestermitgliedern, fünf Gesangssolisten und einem weiteren dreizehnköpfigen Chor (wobei die Solisten bei den Chorsätzen hinzukamen, so dass der Chor tatsächlich achtzehn Stimmen zählte).

 

Eigentlich hat das Manuskript des Werkes von 1748/1749, das achtzehn Chorsätzen und neun Arien umfasst, keinen Gesamttitel von Bach, sondern vier nummerierte und überschriebene Faszikel: 1. Missa, 2. Symbolum Nicenum, 3. Sanctus und 4. Osanna, Benedictus, Agnus Dei, Dona nobis pacem. Bach komponierte den sechsstimmigen Sanctus-Chor mit Trompeten, Pauken und Oboen 1724 für den ersten Weihnachtstag sowie eine aus Kyrie und Gloria bestehende Missa im Jahr 1733. Gegen Ende seines Lebens stellte er die übrigen Sätze aus Parodien, hauptsächlich aus seinen Kantaten, und neuen Kompositionen zusammen.

Nach der vokalen Eröffnung des Kyrie lässt Bach die Stimmen verstummen und beginnt einen fugierten Satz mit einem Instrument. Er holt die Stimmen zurück, eine nach der anderen in die Textur. Bei Philippe Herreweghe erfolgten Kyrie I und II in gemäßigtem Tempo, so dass sich die Texturen und die Stimmführung klar entfalten konnten. Der Beginn des Gloria war schwungvoll und freudig. Die Fugen in „Et in terra pax“ wurden vom Chor hervorragend differenziert. „Cum Sancto Spiritu“ wurde flink und leichtfüßig gesungen und gespielt: Die von den Tenören geführte Fuge war lebendig, und die Klarheit des Gesangs war reizvoll.

Herreweghe verlieh dem „Et incarnatus est“ im Credo (Symbolum Nicenum) eine wunderbare Gestalt und ließ das „Crucifixus“ langsam genug voranschreiten, um dessen Geheimnis zu erfassen. Das unmittelbar darauf folgende „Et resurrexit“ war lebhaft und fröhlich. „Et expecto resurrectionem“, festlich mit Trompeten besetzt, klang andächtig. Herreweghes Tempo für das „Sanctus Dominus Deus Sabaoth“ war geschickt gewählt, und der Chor und das Orchester spielten inbrünstig, bevor sie überschwänglich in das „Pleni sunt caeli“ einstiegen.

Bachfest Leipzig 2024/
Dorothee Mields, Hana Blažíková, Alex Potter, Guy Cutting, Johannes Kammler, Collegium Vocale Gent, Foto:© Bach-Archiv Leipzig/Gert Mothes

Die beiden Sopranistinnen sangen herrlich, vor allem im „Christe eleison“, wo ihre Stimmen außergewöhnlich gut miteinander mischten. Im „Laudamus te“ hat Hana Blažíková, die Sopranistin II, die Musik mühelos und sehr natürlich phrasiert. Die Sopranistin I bekommt in diesem Werk keine Soli: alle ihre Beiträge sind Duette, in denen Dorothee Mields immer perfekt harmonierte, insbesondere mit dem Countertenor Alex Potter in „Et in unum Dominum“. Potter war elegant in „Qui sedes ad dexteram Patris“ und ernsthaft im Agnus Dei mit einem vollen, ausdrucksvollen Ton.

Der Tenor Guy Cutting sang das Benedictus mit heller, klarer Stimme, unterstützt von einer obligaten Flöte, seine Darbietung dieser anstrengenden Arie war stilvoll und höchst erfreulich. Der Bass Johannes Kammler, den ich in der Rolle des Don Giovanni während der Mozartwoche 2023 rezensiert habe, meisterte die tiefe Tessitura von „Quoniam tu solus sanctus“ im Gloria, sein Ton war fest fokussiert und seine Stimme vermischte sich mit den obligaten Stimmen von Horn und Fagott. In „Et in Spiritum Sanctum, Dominum“ im Credo bewältigte Kammler die komplizierte Gesangslinie mit vollendeter Leichtigkeit und einem nahtlosen Legato. Unterstützt wurde er dabei von einer exquisiten Oboe d’amore-Begleitung.

Diese Aufführung der „h-Moll-Messe“ war kultiviert und raffiniert: Die feierlichen Sätze hatten die angemessene Würde, aber die gesamte Aufführung war leicht und munter. Herreweghes Gesamtkonzeption des Werks hat sich seit seiner letzten Aufnahme im Jahr 2011 nicht verändert, aber die Atmosphäre eines Konzerts erhöhte die Spannung des Ganzen. Der Beifallssturm am Ende der Aufführung in der ausverkauften Thomaskirche deutete darauf hin, dass die Veranstaltung dem Publikum ebenso gut gefallen hat wie mir.

 

  • Rezension von Dr. Daniel Floyd / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Titelfoto: Bachfest Leipzig 2024/P. Herreweghe, Ensemble/Foto: © Bach-Archiv Leipzig/Gert Mothes
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