
»La clemenza di Tito«, eine zweiaktige Opera seria, KV 621, wurde am 6. September 1791 im Gräflich Nostitzschen Nationaltheater Prag aus Anlass der Krönung Kaiser Leopolds II. zum König von Böhmen uraufgeführt. Das Libretto von Caterino Mazzolà (nach Pietro Metastasio) ist ein Beispiel für eine idealisierte Herrschaft, die vorbildliches Verhalten und Tugenden aufzeigen sollte, in der Hoffnung, dass künftige Monarchen zur Großherzigkeit inspiriert würden. Es wurde davon ausgegangen, dass Titos Großzügigkeit, Vergebung und die Bereitschaft, sein eigenes Glück zum Wohle Roms zu opfern, übertrieben waren. (Rezension der Vorstellung v. 28. Januar 2024)
Die halbszenische Einrichtung von Rolando Villazón und Bettina Geyer, die ich am 28. Januar 2024 in der Salzburger Felsenreitschule gesehen habe, konzentrierte sich auf die Handlung, die einzelnen Charaktere und ihre Interaktionen untereinander. Bei dieser Art der Aufführung treten die gesanglichen und schauspielerischen Fähigkeiten der Darsteller besonders stark in den Vordergrund. Alle Mitwirkenden waren durchweg in die Handlung eingebunden und verkörperten ihre Rollen sowohl schauspielerisch als auch stimmlich. Die Interaktionen zwischen den Charakteren waren realistisch und gefühlvoll, und die Empfindungen jedes einzelnen Charakters waren greifbar. Die Rezitative wurden von allen vollständig und mit leidenschaftlicher Hingabe gesprochen.

Die Felsenreitschule ist in vielerlei Hinsicht eine ideale visuelle Kulisse für diese Oper, da die Rückseite der Bühne den Ruinen eines antiken römischen Gebäudes nachempfunden werden kann. Die Lichteffekte veranschaulichen das Feuer im Kapitol am Ende des ersten Aktes. Zwei gegenüberliegende Balkone, die auf der Bühne errichtet wurden, ermöglichten es den gegnerischen Parteien, sich auf Distanz zu begegnen und sich manchmal zu verstecken.
In der Titelrolle war Edgardo Rocha ein souveräner, edler Tito, der Mitgefühl, Weisheit und Traurigkeit zeigte, die sich mit Momenten der Freude mischten, wobei er immer die Contenance behielt. Die Qualitäten, die Rocha als Il Conte d’Almaviva in Gioachino Rossinis »Il barbiere di Siviglia« bei den Salzburger Festspielen im August 2022 auszeichneten, zeigten sich auch in seiner Darstellung des Tito: leidenschaftlicher Einsatz und ein wohlklingender Tenor, der Titos Arie im zweiten Akt „Se all’impero, amici Dei“ besonders packend machte.
Die Sopranistin Hanna-Elisabeth Müller beherrschte die hohen Koloraturen in den Arien der Vitellia im ersten („Deh, se piacer mi vuoi“) und zweiten („Non più di fiori“) Akt. Müller verkörperte eine erotisch aufgeladene Persönlichkeit in der ersten Arie, als Vitellia Sesto zu einem Komplott verführt, um seinen besten Freund Tito zu stürzen, und überwältigende Reue in der zweiten Arie, als sie erkennt, dass Sesto bereit ist zu sterben, um ihr Geheimnis zu verbergen.
Magdalena Kožená stellte Sesto als unschuldig, naiv und gehorsam gegenüber Vitellias bösartigen Befehlen dar. Koženás warme Mezzosopranstimme ist für beide Arien („Parto, ma tu ben mio“ und „Deh, per questo istante solo“), die zu den technisch anspruchsvollsten der Oper gehören, ideal geeignet. Ich hatte das Vergnügen, Kožená als Donna Elvira in einer Aufführung von Don Giovanni in der Felsenreitschule während der Mozartwoche 2023 zu sehen.

In den kleineren Rollen war die Sopranistin Christina Gansch eine liebevolle, fürsorgliche Servilia, die die Initiative ergriff und Vitellia überredete, bei Tito zu intervenieren, um das Leben ihres Bruders Sesto zu retten. Die Mezzosopranistin Marianne Beate Kielland zeigte Annios zarte Seite und seine Bereitschaft, sein eigenes Glück zu opfern, als Sesto um die Hand von Servilia, Annios Verlobter, anhielt. Im Duett des ersten Aktes („Ah, perdona al primo affetto“) waren Gansch und Kielland besonders ergreifend. Der Bass Salvo Vitale vermittelte ein zusätzliches Maß an Mitgefühl, das die Rolle des Publio über die des Hauptmanns der Prätorianer erhob, einer Figur, deren Zweck im Libretto darin besteht, die Handlung voranzutreiben.
Jordi Savall dirigierte Le Concert des Nations in einer straffen Aufführung der Partitur, die die dramatische Spannung aufrechterhielt, ohne das Geschehen jemals zu übereilen. Savall gehörte schon immer zu meinen Lieblingsdirigenten für historische Instrumente, weil er alle Tugenden der Wissenschaft und der historisch informierten Aufführungspraxis mit geschmackvoller Musikalität verbindet. Wie bei seiner Aufführung von Mozarts Requiem, die ich während der Mozartwoche 2023 gehört habe, verfügt Savall über eine souveräne Kenntnis von Mozarts Idiom, das er in den Dienst der Musik stellt. Die Chorbeiträge des Philharmonia Chors hatten die Gravitas, um die wechselnden Gefühle der römischen Bevölkerung je nach den Situationen, in denen sie sich befand, zu veranschaulichen.
Alles in allem war diese Aufführung ein sehr überzeugendes Argument dafür, »La Clemenza di Tito« als einzigartig unter den Bühnenwerken für Zeremonien anzuerkennen, da es ein kraftvolles Drama ist, dass das, was ursprünglich als Allegorie des tugendhaften Verhaltens gedacht war, zu einer fesselnden Geschichte über Freundschaft, Liebe, Verführung, Verrat und Verzeihung auf einer Ebene macht, die so gemeint ist.
- Rezension von Dr. Daniel Floyd / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Felsenreitschule /MoWo 2024 / Stückeseite
- Titelfoto: MoWo24/Felsenreitschule/LA CLEMENZA DI TITO/Foto: Wolfgang Lienbacher
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