Unterhaltsame Neuinterpretation von „Il barbiere di Siviglia“ bei den Salzburger Festspielen 2022

Il barbiere di Siviglia 2022: Cecilia Bartoli (Rosina) © SF / Monika Rittershaus

Il barbiere di Siviglia (Originaltitel: Almaviva o sia L’inutile precauzione), eine zwei aktige Opera buffa von Gioachino Rossini (Libretto von Cesare Sterbini) basiert auf Le Barbier de Séville ou La Précaution inutile (1775) von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais, wurde am 20. Februar 1816 im Teatro Argentina in Rom uraufgeführt. Diese Oper ist das meist gespielte Werk Rossinis, nicht zuletzt wegen der berühmten Stücke wie der Ouvertüre und Figaros Kavatine „Largo al factotum“. (Rezension der Vorstellung v. 16. August 2022)

 

 

 

Die Neuinszenierung des Barbiere unter der Regie von Rolando Villazón (Kostüme: Brigitte Reiffenstuel), die im Rahmen der Salzburger Festspiele am 16. August 2022 im Haus für Mozart aufgeführt wurde, betont die humorvollen Aspekte von Rossinis Meisterwerk, ohne die Ernsthaftigkeit des Themas zu vernachlässigen. Laut dem Programmheft bezog Villazón in seinem Konzept Elemente der zeitgenössischen Belletristik (z.B. Mary Shelleys Frankenstein), Hinweise auf den Schauplatz Sevilla und die Filmindustrie des 20. Jahrhunderts. Der Schauplatz dieser Inszenierung ist ein Filmset: Ein Regisseur, dargestellt von Arturo Brachetti, bewegt sich auf der Bühne und gibt mit seiner Körpersprache und Mimik seine Meinung zum Geschehen ab. Mit anderen Worten: Die Handlung der Oper ist ein Film, der vor den Augen des Publikums gedreht wird. Obwohl einige Villazóns Ideen weit vom Libretto und den Aufführungstraditionen abweichen, ist die Gesamtwirkung überzeugend und kohärent. Villazons Regie ist ein Musterbeispiel dafür, wie man kreativ mit der Vorstellung einer Oper umgehen kann ohne dem Libretto zu widersprechen. Einzelheiten wie spanische Kastagnetten, Basilio als Frankenstein und Rosina in einer Art großem Vogelkäfig sind vom Komponisten nicht angegeben, passen aber zur Handlung. Der tosende Beifall des Publikums zeigte, wie gut die Inszenierung und die erstklassige Sängerbesetzung die Erwartungen erfüllten.

Il barbiere di Siviglia 2022: Nicola Alaimo (Figaro), Cecilia Bartoli (Rosina) © SF / Monika Rittershaus

Die Besetzung der Sängerinnen und Sänger ließ keine Wünsche offen: Viele von ihnen waren Veteranen in ihren Rollen und Muttersprachler, die Rossinis Idiom perfekt beherrschten. Selbstverständlich war Cecilia Bartoli als Rosina nahezu ideal mit ihrer Gesangstechnik und langjährigen Erfahrung mit der Rolle (bereits 1989 nahm sie die Rolle unter der Leitung von Giuseppe Patanè  für Decca auf). In der Tat waren ihr Wissen, ihr Charisma und ihre Bühnenpräsenz so stark, dass sie in jeder Situation das Sagen zu haben schien. Sie gab eher den Eindruck, mit Bartolo zu spielen, als eine echte Gefangene zu sein, und sie schien zu führen und Macht über ihren vermeintlichen Retter Graf Almaviva zu haben. Insgesamt ist Bartoli eine sehr selbstbewusste Rosina, die von Anfang an genau weis was sie will und zuversichtlich ist, dass sie es bekommt.

Als Rosinas Liebhaber trat Edgardo Rocha als Graf Almaviva mit Leidenschaft und Begeisterung auf. Als Paar gaben Bartoli und Rocha ein erstklassiges musikalisches Paar ab; als Liebespaar stimmte die Chemie zwischen ihnen nicht so recht, was vielleicht daran lag, dass sie als Schauspieler an einem Filmset besetzt waren. Rocha verfügte über die Fähigkeit, dem Publikum mit der oft ausgelassenen Arie des Grafen am Ende des zweiten Aktes („T’accheta, invan t’adopri, resisti invan…Il nostro nodo, o cara, opra e‘ d’amore“) einen stürmischen Beifall zu entlocken. Diese Arie bietet dem Tenor die Möglichkeit, sich zu profilieren, aber sie untergräbt die Autorität des Grafen, indem sie ihn zu einem schadenfrohen Heranwachsenden reduziert, der sich seines Sieges über Dr. Bartolo rühmen will, der in Wirklichkeit im Rang unter ihm steht. Die Wiederherstellung dieser Arie wurde vom Publikum aufgrund Rochas stimmlichen Leistungen begrüßt, aber aus literarischer und dramaturgischer Sicht hat sie wenig Wert. Ihr Wegfall macht die Auflösung der Oper logischer und dramatisch befriedigender.

Als Rosinas Mündel und potenzieller Ehemann gab Alessandro Corbelli eine durch und durch überzeugende Vorstellung, die dem eitlen Dr. Bartolo eine sympathische, humorvolle Note verlieh. Corbelli, der in den letzten dreißig Jahren mit Bartoli aufgetreten ist und mit ihr Aufnahmen gemacht hat, ist wohl der größte aktive Buffo-Bariton und der wahre Nachfolger von Enzo Dara und Paolo Montarsolo. Mit Witz und selbstironischem Humor vermittelte Corbelli den Eindruck, dass Bartolos Prahlerei und taktische Fehler absichtlich begangen wurden, um sicherzustellen, dass der junge Almaviva die Hand Rosinas gewinnt. Mit anderen Worten: Das ganze Szenario war ein Schauspiel, bei dem er das Ergebnis von Anfang an kannte.

Il barbiere di Siviglia 2022: Ensemble, Philharmonia Chor Wien, Statisterie der Salzburger Festspiele © SF / Monika Rittershaus

Die eigentliche Entdeckung und der Hauptdarsteller des Abends war Nicola Alaimo in der Rolle des Figaros. Er beherrschte nicht nur den Text erstaunlich souverän, sondern verkörperte seine Rolle voll und ganz und ging über die Darstellung eines Filmschauspielers hinaus. Dank seiner unglaublichen Kraft und Geschicklichkeit musste sich Alaimo nicht allzu sehr anstrengen, um einen Barbier und Faktotum darzustellen, der in ganz Sevilla wegen seiner Talente und seiner Geschicklichkeit gefragt ist. Als Muttersprachler stellten die komplexen Koloraturläufe mit einem komplexen Text für ihn kaum eine Herausforderung dar. Seine Beherrschung verheißt Gutes, wenn er sich entscheidet, die parallelen Figaro-Rollen in Giovanni Paisiellos Il barbiere di Siviglia, ovvero La precauzione inutile (1782) und Wolfgang Amadeus Mozarts Le nozze di Figaro (1786) zu singen.

Basilio dargestellt von Ildebrando D’Arcangelo, der als Frankenstein verkleidet wurde, machte diese egoistische, schelmische Figur ziemlich lustig, ohne lächerlich zu werden. Er hat eine attraktive und sehr kräftige Bassstimme, die im ganzen Haus für Mozart erklang. In Rossinis Oper ist Basilio, insbesondere in seiner Verleumdungsarie („La calunnia è un venticello, un’auretta assai gentile“) im ersten Akt, bösartiger als in Mozarts Oper, wo er ein egoistischer Schwätzer ist. Basilios schlecht gemeinte Ratschläge werden von Bartolo ignoriert, was den Musiklehrer zu einem Dummkopf macht, weshalb das Frankenstein-Kostüm einem Mann angemessen ist, dessen böse Absichten wirkungslos sind.

Die Sopranistin Rebeca Olvera macht Berta zu einer lustigen Figur, die teilweise dem Libretto entspricht, aber ihrer Arie im zweiten Akt („Il vecchiotto cerca moglie, vuol marito la ragazza; questo freme, quella è pazza“), in der sie offenbart, dass sie das, was sie den Wahnsinn der Liebe nennt, nie erlebt hat, liegt eine unterschwellige Traurigkeit zugrunde. Die Nebenrollen des Fiorello, gespielt von José Coca Loza, Ambroglio von Max Sahliger dargestellt und Domenico La Forza, aufgeführt von Manfred Schwaiger, passten musikalisch und visuell zu ihren jeweiligen Rollen.

Gianluca Capuano
© Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

Das historische Instrumentorchester Les Musiciens du Prince – Monaco und der Philharmonia Chor Wien unter der Leitung von Gianluca Capuano verlieh Rossinis Musik eine Kraft und Frische, die das Werk fast wie eine Neuentdeckung erscheinen ließ. Die relativ flotten Tempi und die messerscharfe Artikulation verstärkten die Komödie, die mehr als nur einen Hauch von Ernsthaftigkeit und eine Schattenseite hat.

 

 

  • Rezension von Dr. Daniel Floyd / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Salzburger Festspiele 2022
  • Titelfoto: Il barbiere di Siviglia 2022: José Coca Loza (Fiorello), Edgardo Rocha (Il Conte d’Almaviva), Ildebrando D’Arcangelo (Basilio), Cecilia Bartoli (Rosina), Alessandro Corbelli (Bartolo), Max Sahliger (Ambrogio), Rebeca Olvera (Berta), Arturo Brachetti, Philharmonia Chor Wien, Statisterie der Salzburger Festspiele/© SF / Monika Rittershaus
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