
Der Dirigent, Organist, Cembalist, Hochschullehrer und Präsident des Bach-Archivs Leipzig Ton Koopman hat am 14. Juni 2024 in der Leipziger Nikolaikirche ein herausragendes Sängerquartett und das Amsterdam Baroque Orchestra & Choir dirigiert. Entsprechend dem Thema des diesjährigen Bachfestes Leipzig „CHORal TOTAL“ standen vier berühmte Chorkantaten Johann Sebastian Bachs auf dem Programm: „Christ lag in Todesbanden“ [Leipziger Fassung], BWV 4.2, „Nun danket alle Gott“, BWV 192, „Was Gott tut, das ist wohlgetan“, BWV 100 und „Wachet auf, ruft uns die Stimme“, BWV 140.
Eine Besonderheit dieses Konzerts war, dass das Publikum bei den Orgelbearbeitungen der Eröffnungschoräle, gespielt auf der Hauptorgel der Kirche von Nikolaikantor Markus Kaufmann, zum Singen eingeladen wurde. Am Ende jeder Kantate wurde der Schlusschor mit vollem Orchester und Chor wiederholt, so dass das Publikum mitsingen konnte. Diese Beteiligung am Musizieren wurde von großen Teilen des Publikums in der vollen Nikolaikirche mit offensichtlicher Freude aufgenommen.
Die erste Kantate auf dem Programm („Christ lag in Todesbanden“) dürfte auf den Ostersonntag 1707 oder 1708 datiert sein, also in Bachs Zeit als Organist an der Kirche Divi Blasii in Mühlhausen. Für dieses Konzert wurde die von Bach 1724 in Leipzig revidierte Fassung aufgeführt, wobei die Instrumentierung um Zink und Posaunen sowie ein neuer Schlusschor erweitert wurde. Diese revidierte Fassung wurde nachweislich am Ostersonntag 1725 aufgeführt; eine Aufführung im Jahr davor, in dem die Überarbeitung erfolgte, konnte nicht bestätigt werden.
Die nächste Kantate auf dem Programm („Nun danket alle Gott“) wurde wahrscheinlich 1730 komponiert, aber der Anlass, für den sie bestimmt war, ist unbekannt. Auch die nächste aufgeführte Kantate („Was Gott tut, das ist wohlgetan“) wurde 1734 oder 1735 zu ebenfalls unbekanntem Zweck komponiert. Bach hatte den Choral zuvor in der gleichnamigen Kantate, BWV 99, für den 15. Sonntag nach Trinitatis im Jahr 1724 vertont. Das Konzert wurde mit der Kantate („Wachet auf, ruft uns die Stimme“) beendet, die Bach für den 27. Sonntag nach Trinitatis im Jahr 1731 geschrieben hat.

Wie schon bei seinem Auftritt mit der Camerata Salzburg am 30. Januar 2023 zeigte Ton Koopman beim Dirigieren eine große Freude. Koopmans wissenschaftlicher Ruf als Bach-Interpret steht nicht im Widerspruch zu seiner Liebe zur Musik, die sich auch in dem leidenschaftlichen Einsatz widerspiegelt, den er dem Orchester und dem Chor entlockte. Obwohl Koopman sein Orchester auf historischen Instrumenten mit relativ zügigem Tempi dirigierte, wurde die Musik nie übermäßig gehetzt. Eine von Koopmans größten Stärken ist sein Gespür für die Architektur: er bot rhythmische Nuancen, formte die Musik raffiniert aus und brachte mit einer gewissen Liebe die Spiritualität zum Ausdruck, die diesen Werken innewohnt. Das Orchester bestand aus insgesamt 28 Musikern, der Chor aus 20. Das hatte eine klare Textur mit schön artikulierten Gesangslinien zur Folge.

Die Sopranistin Robin Johanssen, die der üppigen Gesangspartie einen lebendigen, lebhaften Rhythmus und eine klare Diktion verlieh, brachte Dramatik in die Rezitative zwischen den Arien und erinnerte so an ihre Opernerfahrung. Der Altist Maarten Engeltjes hatte genau das richtige Maß an Vibrato und eine ausgezeichnete Artikulation und konnte der Musik einen beeindruckenden Stimmumfang verleihen, einschließlich der hohen Töne. Engeltjes’ Darbietung war ergreifend, bewegend und überzeugend. Als deutscher Muttersprachler hat der Tenor Tilman Lichdi die Rezitative mit optimaler Verständlichkeit phrasiert. Lichdi war durchweg konsistent, und die melismatischen Passagen im oberen Stimmbereich gelangten ihm mühelos. Auch der Bass Klaus Mertens hatte den Vorteil, ein Muttersprachler zu sein, dessen Diktion so klar war, dass ein Blick auf die gedruckten Libretti im Programmheft überflüssig gewesen wäre. Mertens, der in Koopmans Gesamtzyklus von Bachs Kantaten eine sehr prominente Rolle spielte, schien mit den Texten vertraut zu sein, die er mit einer einfühlsamen und kraftvollen, aber warmen Bassstimme interpretierte.
Alles in allem war dies ein unterhaltsames Kantatenkonzert, das den partizipativen und liturgischen Charakter der Musik betonte und gleichzeitig daran erinnerte, dass diese Werke zum Genießen da sind, weil sie nicht nur religiöse Ideologie, sondern auch die Lebensfreude und die Hoffnung auf bessere Zeiten feiern.
- Rezension von Dr. Daniel Floyd / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Titelfoto: Bachfest 2024/14.6.2024, Choralkantaten 16/Nikolaikantor Markus Kaufmann (Orgel), Robin Johannsen (Sopran), Maarten Engeltjes (Altus), Tilman Lichdi (Tenor), Klaus Mertens (Bass), Amsterdam Baroque Orchestra & Choir, Leitung: Ton Koopman (Orgel)/© Bach-Archiv Leipzig/Gert Mothes