Als Sir Simon Rattle im April 2015, vor acht Jahren, am Pult des Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BRSO) mit der Aufführung von Richard Wagners Das Rheingold einen über mehrere Jahre angelegten konzertanten Zyklus des Ring des Nibelungen einleitete, war die Münchner Orchesterszene noch eine andere: Die Bayerische Staatsoper setzte mit Kirill Petrenko als neuen GMD gerade erst zu ihren (da noch ungeahnten) musikalischen Höhenflügen an. Gleichwohl stellte die Putin-Connection von Valery Gergiev als damals neuer Chefdirigent der Münchner Philharmoniker schon zu seinem Amtsantritt ein Manko da. BRSO-Leitfigur Mariss Jansons erzielte im Jahr 2015 seine ersten öffentlichkeitswirksamen Erfolge bei seinem Kampf für ein neues Konzerthaus in München. Die Projektideen wurden endlich konkret und die Kulturpolitik vereinbarte einen Standort im Osten der Stadt als zukünftige neue Heimatspielstätte für das BRSO. Ein Leuchtturm der bayerischen Kulturszene sollte es werden. Die Hoffnung bestand, spätestens mit der Aufführung des Siegfried das neue Konzerthaus bespielen zu können. (Rezension der Aufführung vom 03.02.2023)
Doch es sollte alles ganz anders kommen: Die Berliner Philharmoniker wählten zum Bedauern des Münchner Publikums ausgerechnet „ihren Petrenko“ zum Rattle-Nachfolger, während der Causa Gergiev mit dem Krieg Russlands ein schlagartiges gleichwohl unwürdiges Ende gesetzt wurde. Zudem war die Trauer groß, als Mariss Jansons im Jahr 2019 nach 14 glorreichen Jahren seiner Zusammenarbeit mit dem BRSO an einer Herzerkrankung verstarb. Erst kürzlich wurde mit Sir Simon Rattle, der zu Zeiten seines Rheingolds noch nichts davon ahnen sollte, ein ihm würdiger Nachfolger auserkoren. Denn ebenso wie Jansons in München, kämpfte Rattle schon zuvor in London unerbittlich für einen neuen Konzertsaal. Bedauerlicherweise scheint das Münchner Bauprojekt derzeit ferner denn je, zunächst wird erst einmal die akustisch problematische Philharmonie im Gasteig renoviert. Die Ausweichspielstätte „Isarphilharmonie“ diente nun als Aufführungsstätte für den Siegfried. Hier setzte Rattle – nun als designierter Chefdirigent des BRSO – seine Arbeit am konzertanten Ring-Zyklus fort.
Mit dem Tenor Simon O’Neill verbindet Rattle eine langjährige künstlerische Zusammenarbeit, zumeist in Orchesterliedern oder bei Aufführungen konzertanter Opernwerke. Es schien daher selbstverständlich, dass Rattle den für große Wagner-Partien weltweit gefragten O’Neill gerade auch für die mörderisch-anspruchsvolle Titelrolle des Siegfrieds auserkor. Und so schlug sich O’Neill zunächst auch wirklich gut, es gibt auch keine Rolle die einen Tenor mehr fordern könnte: Wohl disponiert teilte er sich seine Kräfte bewusst ein, befolgte die Gesangslinie seiner Partie sorgsam und brachte hinsichtlich des stimmlichen Anspruchs auch die heiklen Spitzentöne mit. Dabei vermied er es gekonnt ins deklamatorische abzurutschen oder gar zu Schreien. Und doch schien der Siegfried eine Nummer zu groß für ihn. O’Neills formlose Phrasierung, gepaart mit nachlässiger Aussprache, wirkte als Titelfigur gerade im direkten Nebeneinander zu den anderen Stimmen insgesamt zu blass. Den diversen Facetten von Wagners Siegfried – vom jugendlich-heldenhaften bis zum charaktervoll Wilden und nachdenklich In-sich-Gekehrten – ist O’Neill seiner Partie leider schuldig geblieben.
Anja Kampe debütierte erst im vergangenen Herbst an der Staatsoper Berlin in der Partie der Siegfried-Brünnhilde. Obgleich Kampe hier lediglich die letzten 30 Minuten (ausgeruht) auftritt, ist die Partie für ihr insbesondere in der Mittellage und Tiefe gefestigtes Stimmorgan enorm fordernd. Und doch überzeugte sie: Selbstsicher, leidenschaftlich, wortverständlich und mit lyrischen Zwischentönen, lachte Kampe im Schlussduett mit O’Neill dem Tod entgegen. Ein erregendes, donnerndes Finale, in welchem Tenor und Sopranistin schlagartig Standing Ovations provozierten!
Michael Volle ist als einziger Solist aus der 2015er-Besetzung des Rheingolds übriggeblieben. Der Ausnahmebariton gestaltete seinen Wotan erneut in gesanglich exemplarischer Darstellung und weckte den Göttervater in all seinen Facetten zum Leben. Während an dieser Opernfigur schon so viele Sänger scheiterten, wirkte sie bei Volle wie eigens von Wagner auf den Leib komponiert. Rattles CD-Einspielung des Siegfried wird sich allein schon durch sein Mitwirken ausgezahlt haben.
Die kleineren Partien waren für diese konzertante Aufführung durch bedeutende und charakteristische Künstler*innen opulent besetzt: Georg Nigl formte die Melodielinie seines Alberichs in ausdrucksstarker Klarheit und mit der Intensität des romantischen Liedgesanges. Ihm gegenüber gab Peter Hoare mit markanter Charaktertenor-Stimme einen Mime par excellence. Franz-Josef Selig, der den dahinsiechenden Fafner mit der Kunst seines Oratoriengesangs gestaltete, rührte das Publikum in seinen wenigen Sätzen zu Tränen. Die vokal dunkel-gefärbte Gerhild Romberger brillierte als sinnlich-mesmerisierende, klanglich ihre Tiefe vollmundig ausschöpfende, Erda. Danae Kontora rundete das Ensemble als jugendlich-verführerischen Waldvogel ab.
Bei Sir Simon Rattle stellt sich die berechtigte Frage, warum er so selten Wagner-Opern dirigiert und auch noch nie bei den Bayreuther Festspielen aufgetreten ist. Rattles direkter, das Klangspektrum voll ausnutzende, dabei stets das formenhafte und erhabene in der Dichtung suchende Werkezugang, wirkte schier überwältigend. Auch sorgte das voluminös-prachtvolle und perfekt intonierende Blech des BRSO, beispielweise in der großen Erda-Wotan-Szene, für große Wagner-Wonne-Momente. Solange ein Dirigent derart spannungshaft musiziert wie Rattle, bedarf es keiner Inszenierung für das ganz große musikalische Drama.
Wie eingangs beschrieben und genauso es auch Richard Wagner in seiner Mythologie des Nibelungen-Ring verdeutlicht, unterfährt unsere Welt in ihrer Erneuerung einen stetigen Wandel. Und obgleich die Zukunft getrübt ist, bleibt es dem BRSO zu wünschen, dass die Wala Erda der Orchesterszene Münchens wohlgesonnen bleibt: Möge Sir Simon Rattle das Seil der Nornen gespannt halten, um als Chefdirigent des BRSO mit der Götterdämmerung – als Abschluss seines konzertanten Ring-Zyklus – endlich das neue Konzerthaus einweihen!
- Rezension von Phillip Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (BRSO)
- Titelfoto: BRSO/Sir S. Rattle/SIEGFRIED/3.2.23/Foto @ Astrid Ackermann
Der Mime von Herrn Horare hatte weder die profunde Stimme noch die Diktion , die diese so wichtige und lange Rolle verlangt .
Jedes Theater , das den Ring aufführt , hat einen besseren Mime im eigenen Ensemble.
Frau Homberger , die sich größte Meriten im Konzertleben erschaffen hat , war als Erda zu stimmschwach als Gegenspieler zum derzeit weltbesten Wotan-Wanderer
Michael Volle und Sir Simon nahm wenig Rücksicht auf ihre Stimme .