Romeo und Julia in der Bronx – Bernsteins zeitloses Meisterwerk „West Side Story“ in der Oper Bonn

Oper Bonn/West Side Story/ Jan Rekeszus (Tony), Marie Heeschen (Maria), Ensemble © Thilo Beu

Erik Petersen inszeniert Leonard Bernsteins unsterbliches Musical in einer umwerfenden Choreographie von Sabine Arthold mit einem hervorragenden Tanzensemble und einem beeindruckenden Orchestersound des Beethoven-Orchesters unter der Leitung von Daniel Johannes Mayr. Herausragende Darsteller sind Jan Rekeszus als Tony, Dorina Garuci als Anita und Marie Heeschen als Maria.(Besuchte Vorstellung v. 15.9.2019)

 

Man wird die Hochhäuser mit den Feuerleitern auf rotem Hintergrund, Ikonen der „West Side Story“ vom Filmplakat, vergeblich suchen. Dirk Hofacker (Bühnenbild und Kostüme) lässt die Gangs in einer U-Bahn-Haltestelle Downtown agieren. Die Schneiderwerkstatt, in der Maria arbeitet, ist im zweiten Stock, der Zeitungskiosk, in dem Tony beschäftigt ist, auf der Bahnsteigebene.

Die im Hintergrund bzw. im Vordergrund einfahrenden Züge ermöglichen schnellen Szenenwechsel, die Treppen und U-Bahn-Wagen akrobatisch anmutende Tanzszenen. Eine Hausfassade mit Marias Fenster kann von oben herabgelassen werden, davor spielt sich die berühmte Balkonszene ab.

Oper Bonn/West Side Story/ Dorina Garuci (Anita),Andreas Wolfram (Bernardo), Ensemble
© Thilo Beu

Die rivalisierenden Jugendgangs der Jets (in Amerika geborene Teenager), und Sharks (puertoricanische Einwanderer der ersten Generation) kämpfen um das Revier der Jets, und es kommt immer wieder zu Konflikten und Schlägereien, die mit spannend choreographierten Tänzen verdeutlicht werden. Für Police Officer Krupke (Stefan Viering) und Sozialarbeiter Schrank (Daniel Berger) sind diese Jugendgangs Stammkunden mit ihrer Kleinkriminalität.

Die Musik greift neben Opernelementen auch auf Populärmusik zurück – den Jets ordnet Bernstein sehr rhythmischen progressiven Jazz zu, den Sharks lateinamerikanische Elemente – und dies wird vom Beethoven-Orchester unter Daniel Mayr brillant gespielt. Die wenigsten Musicals werden von einem so hervorragenden Orchester begleitet!

Maria, die junge Puertoricanerin, die von ihrem Bruder Bernardo nach New York geholt wurde und mit Ihrer Freundin Anita in einer Schneiderei arbeitet, verliebt sich bei einem Abend in der Tanzhalle Hals über Kopf in Tony, einen jungen Amerikaner, dessen Eltern aus Polen eingewandert waren und der eigentlich den Jugendgangs entwachsen ist. Die Liebe ist gegenseitig, „Maria“ ist einer der erfolgreichsten Schlager geworden, ebenso „Tonight“, das die erwachende Liebe der beiden Protagonisten illustriert.

Tonys Versuch, die Rivalität der beiden Gangs im Interesse ihrer Liebe zu schlichten, geht gründlich schief. Er überzeugt Riff, seinen Nachfolger als Anführer der Jets, und Bernardo, Marias Bruder und Anführer der Sharks, einen fairen Faustkampf auszutragen.

Oper Bonn/West Side Story/ Andreas Wolfram (Bernardo), Lucas Baier (Riff), Ensemble/© Thilo Beu

Der erste Akt endet mit zwei Toten: Bernardo zückt plötzlich ein Messer, mit dem er Riff ersticht und mit dem er dann selbst von Tony erstochen wird.

Der zweite Akt beginnt mit „I feel pretty“, Maria ahnt noch nichts. Sie kann Tony die Affekttat verzeihen und will mit ihm fliehen.

Die Aktualität dieses Stücks ist mit den Händen zu greifen und kann mit den Mitteln der Musik und des Tanzes am besten ausgedrückt werden. Die Hoffnung der Einwanderer auf ein besseres Leben, („There´s a place for us“), die Frustration der abgehängten Einheimischen über die Zuwanderer, die mit ihnen um knappen Raum konkurrieren, die ständig aufflammenden Schlägereien zwischen den Gangs, der fehlgeschlagene Versuch Tonys, mit Mitteln des Fair Play eine Deeskalation herbeizuführen, die Zeichnung der Jets als Kinder von Looser-Familien, das sind alles brillante soziologische Studien. Besser als mit Bernsteins Musik und mit der Choreographie von Sabine Arthold kann man diese Phänomene nicht illustrieren. Bernsteins Musik ist zu Recht Weltmusik geworden.

Oper Bonn/West Side Story/ Dorina Garuci (Anita),Marie Heeschen (Maria) © Thilo Beu

Dazu kommt eine der rührendsten Liebesgeschichten der Weltliteratur von der blutjungen und romantischen Maria, die ihre Träume vom besseren Leben in Amerika zunächst verwirklicht sieht, die aber wegen des Hasses der Gangs am Ende nicht nur ihren Bruder, sondern auch ihren Geliebten verliert. Ensemblemitglied Marie Heeschen gibt dieser musikalisch als tragische Opernheldin angelegten Figur mit ihrer mädchenhaften Ausstrahlung und ihrem wunderbar geführten lyrischen Sopran die notwendige gestalterische Tiefe.

Der erfahrene Musical-Darsteller Jan Rekeszus gestaltet Tony mit seinem lyrischen Musical-Tenor als jugendlichen Idealisten und Romantiker, der kurz bevor er von einem Mitglied der Sharks erschossen wird, noch hören muss, Maria sei tot und schließlich in ihren Armen stirbt.

Das Tanzensemble überzeugt mit halbstarkentypischer Körpersprache und akrobatischen Kampfszenen. Die lateinamerikanischen Tänze in der Tanzhalle variieren die lyrischen Melodien. Das aus 30 Personen bestehende Ensemble überzeugt durchgehend in perfekt choreographierten Tanzszenen und in individueller Personenzeichnung.

Oper Bonn/West Side Story/ Marie Heeschen (Maria), Jan Rekeszus (Tony), Ensemble © Thilo Beu

Bernsteins auf Anregung des Choreographen und Produzenten Jerome Robbins entstandene Verlegung der Handlung von Shakespeares Dramas „Romeo und Julia“ in das New York der 50-er Jahre ist zweifellos sein erfolgreichstes Stück und ist vom Anspruch her eins der besten Werke des amerikanischen Musiktheaters.

Regisseur Eric Petersen erzählt die Geschichte sehr konkret wie ein Theaterstück mit deutschen Dialogen und englischen Songs, in das sich die Tanzszenen organisch einfügen. Es gibt noch 28 Vorstellungen, die letzte am 21. Juni 2020.

Frenetischer Applaus im restlos ausverkauften Haus!

 

  • Rezension der Premiere von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Oper Bonn / Stückeseite
  • Titelfoto: Oper Bonn/West Side Story/ Andreas Wolfram (Bernardo), Lucas Baier (Riff), Ensemble/© Thilo Beu

 

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