Oper Dortmund: Tannhäuser-Premiere am 1.12.13 – Fabelhafter Vier-Stunden-Wagner-Jubiläums-Musik-Videoclip

Oper Dortmund - TannhäuserTannhäuser ist Christus, doch auch Tannhäuser, oder auch Richard Wagner, der Künstler, der sich selbst zur Ikone einer Kunstreligion erhoben hat. Dortmunds Schauspielchef Kay Voges inszeniert an der Dortmund seine erste Oper. Gleich einen der ganz großen, schweren Brocken an dem schon viele Regisseure gescheitert sind.

 

Schon zur Ouvertüre wird die Bühne mittels Video überblendet, imposante Bilder, die den Erlöser-Tannhäuser und eine Pin-Up-Hausfrau, Venus wie uns kurz darauf klar werden wird, an das Grab ihres Kindes schicken wird. Ein Engel mit Dämonenaugen wird zum geistigen Führer des Künstlers, der erst einmal mit Bierpulle und Bademantel vor der Glotze landet; Mutti kocht, das Leben könnte so schön dumpf und einfach sein.

Mir fällt dabei der junge Wagner in seiner ersten, unglücklichen Ehe mit Minna ein. Doch er flieht in die Produktivität aus der Ehe heraus, der Hirte ein dämonischer Genius bringt ihn zu seinen Künstlerfreunden, einer Horde neureicher Juppies in moderner, männlicher Kleidung von Neureichen (Kostüme Michael Sieberock-Serafimowitsch) mit viel oberflächlichem Geglitzer. Dann die Wartburg-Welt eine kühle Inszenierung mit Altar und Anspielungen von Mittelalter bis Anselm Kiefer, Daniel Roskamps Bühnenbild mit der filigranen Kuppelarchitektur ist wandlungsfähig, aussagekräftig und ästhetisch. Hier wartet Elisabeth in rotem Gewande, eine etwas naive, spirituelle Kunstmuse mit glitzerndem Heiligenschein. Schnelle Verwandlung zum Sängerfest mittel eines weißen Tisches und eines Haufen sich selbst feiernder, menschlicher Glitzerschnaken. Die schlimmste Verwendung von Kunst im Heute, Repräsentationszweck und billige Quotenunterhaltung geben sich die Hand. Sehr ernst dagegen die religiösen Pilger, wie ein szenisches Leitmotiv, werden über das Video schwebende Flammen (Pfingstmythos!) dafür verwendet. Dann in aller Schlichtheit der letzte Akt, Tannhäuser stellt sich wieder auf das Kreuz.

Tannhäuser und der Sängerkrieg auf WartburgDie Personenregie ist äußerst schlicht gehalten, doch stupend die innere Anspannung der Sänger, die sinnvolle, intensive Textarbeit, die in jeder Sekunde zu spüren ist. Die Szene wird eindeutig durch die Videos dominiert, da fällt die wenig vorhandene Chorregie gar nicht auf. Alles Merkmale die, ich persönlich normalerweise unprofessionell und entsetzlich finde, doch hier entsteht plötzlich etwas aus einem Guss. Einige Anspielungen , so an Nikos Kazantzakis Roman „Die letzte Versuchung“ erfahre ich erst aus dem Programmheft, doch die Mehrdeutigkeit wird zum Konzept ohne in einer Beliebigkeit zu versinken. Großen Anteil daran haben natürlich die unglaublich anspruchsvollen Videos von Daniel Hengst, da ergeben sich viele Feinheiten und Querverweise, die man sicherlich beim einmaligen Sehen gar nicht erfahren kann. Reizvoll auch die ikonographische Ästhetik die sich an Künstlern wie Pierre et Gilles oder James Bidgood orientieren. Trotz dieses optischen „Overkills“ gelingt es Voges auch die eigentliche Handlung der Wagner-Oper zu inszenieren.

Doch was wäre die Aufführung ohne ihre musikalische Qualität: Gabriel Feltz hatte mich bei Verdis „Don Carlos“ noch nicht so begeistert, doch hier ist er in seinem Element. Schon zur Ouvertüre erreicht er mit langsamen,von mir normalerweise ebenfalls nicht geschätzten, Tempi eine enorme Binnenspannung bei extremer Durchleuchtung für die Feinheiten der Partitur, Begleitfiguren beginnen sich an den musikalischen Motiven zu reiben. Die Dortmunder Philharmoniker übertreffen sich an dem Abend selbst, die Streicher bis in die furiosen Attacken unglaublich exakt, die Bläsergruppen nie zu dominant und stets ein Traum in der Intonantion, allein das hält die vier Stunden wach.

Tannhäuser und der Sängerkrieg auf WartburgBei den Sängern sind fast alles Rollendebuts: Daniel Brenna ist in der Titelpartie schlichtweg eine Sensation, nicht weil er perfekt wäre, das ist er gar nicht, sondern sowohl in der Stamina, als auch im Ausdruck, wie im vokalen Gestus. Brenna ist bereit seinen enorm höhensicheren Tenor, der gleichwohl gerade im ersten Akt in einigen brüchigen Ansätzen Befürchtungen beschwört, stets auch etwas neben die Intonation zu setzen, doch als bewußtes Stilmittel für diesen zerrissenen Charakter. Doch der Tenor singt auch gerne mit lyrischem Piano, was er trotz der wunderbaren Attacken in den Finali (zweiter Akt!) stets zu gestalten ist. Die Romerzählung ist einfach überwältigend, man hört alles neu, die Bühnenpräsenz des Künstlers ist nur mitreißend. Nach diesem Abend sollten sich alle Bühnen um Brenna reißen, denn wer singt so zur Zeit einen Tannhäuser? Christiane Kohl ist in der Hallenarie noch etwas nervös, gewinnt jedoch über das Aufbäumen Elisabeths gegen die Gesellschaft ständig an Format und singt ihre Bögen mit hellem Soprantimbre über Orchester-und Chorwogen, um im Gebet ein Beispiel an verinnerlichten Legatos zu geben. Wagner hätte an Gerardo Garciacanos Wolfram die pure Freude gehabt, denn mit traumhaften Höhen zelebriert ein ein Musterbeispiel an italienischer Gesangstechnik, kleiner Wermutstropfen die etwas trockene Tiefe. Ein Traum der satte, wattige Bassklang von Christian Sist als Landgraf Hermann, schöner geht das nicht. Hermine May singt mit dramatischer Attacke eine sinnliche Venus, weiß jedoch auch um eine differentierte Gestaltung der Partie. John Zuckermann mit Elvis-Attitude, da blitzt sogar Humor bei der Regie auf, und schönem, lyrischen Tenortimbre als Walther. Morgan Moody mit Präsenz und baritonaler Emphase als Biterolf. Fritz Steinbacher als Heinrich der Schreiber und Martin Js. Ohu als Reinmar komplettieren die Minnesänger auf Augenhöhe. Anke Briegel als dämonischer Hirte erfreut mit intensivem Spiel und hellem Sopranklang.

Die Chöre unter Granville Walker schließen sich dem hohen Niveau an und wissen an den wenigen geforderten Stellen darzustellen.

Oper Dortmund - Tannhäuser - 4Wie bereits angedeutet, hätte mir die Regie aufgrund ihrer stilistischen Eigenheiten gar nicht gefallen dürfen, doch das Gesamtkunstwerk hat mich in seiner Sinnlichkeit und seinen klugen Gedamken so überzeugt und mitgerissen. Eine Aufführung, die man sich eigentlich mehrmals ansehen müßte. Das Dortmunder Premierenpublikum, im endlich wieder einmal ausverkauften Haus, feierte die musikalische Seite ohne Abstriche, bei der Szene gab es dann natürlich einige zu erwartende Buhs, doch die Bravos hielten eindeutig die Oberhand. Die Fahrt nach Dortmund ist nicht nur ein „Muß“ für jeden Wagnerianer, sondern für jeden Opernfreund. Für mich ist dieser „Tannhäuser“ der gelungenste Beitrag zum Wagner-Jahr.

Rezensent:  Martin Freitag / www.deropernfreund.de 2.12.13 (herzlichen Dank an meine Kollegen und Opernfreunde Martin Freitag und Peter Bilsing vom Opernfreund! D.O.)

Fotos: Thomas M. Jauk – Stage Picture 

Homepage Theater Dortmund – Info/Kartenvorverkauf zu Richard Wagners Tannhäuser

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