Zum Abschluss der Dresdner Musikfestspiele kam mit dem Cleveland Orchestra eines der renommiertesten US-Klangkörper für ein herbstliches Gastspiel nach Dresden. Sich nicht sonderlich in Bescheidenheit übend, bezeichnet sich das Orchester selbst als „second-to-none“, welches übersetzt so viel wie „unerreicht“ oder „unübertroffen“ bedeutet. (Rezension des Konzertes v. 04.09.2022)
Mit diesem Alleinstellungsmerkmal als Motto wirkt es fast schon etwas anmaßend, dass ausgerechnet ein von ihrem Musical Director Franz Welser-Möst zusammengestelltes Potpourri aus Richard Strauss „Der Rosenkavalier“ das symphonische Hauptwerk des Konzerts bildete. Denn in Dresden liegt die Uraufführungsstätte des „Rosenkavaliers“. Als maßgeblich und damit „second-to-none“ wird hier einzig die Strauss-Tradition der heimischen Sächsischen Staatskapelle angesehen, insbesondere seitdem Christian Thielemann als Chefdirigent diese zu immer neuen musikalischen Höchstleistungen beflügelt.
Zumindest hat Franz Welser-Möst in Dresden mit seinem reinen Strauss-Programm viel gewagt, zunächst standen mit „Macbeth“ sowie „Till Eulenspiegels lustige Streiche“ zwei frühe symphonische Tondichtungen des Komponisten auf dem Programm. Der Dirigent wird seit vielen Jahren am Pult der Wiener Philharmoniker insbesondere bei den Salzburger Festspielen als Strauss-Dirigent par excellence verehrt. Leider sind seine Gastauftritte bei deutschen Orchestern recht rar. Erst kürzlich musste Welser-Möst die musikalische Leitung eines Konzert mit Strauss‘ „Don Quixote“ am Pult der Staatskapelle Dresden aus gesundheitlichen Gründen zurückziehen. Somit war es umso aufregender, ihn nun endlich mit seinem US-amerikanischen Orchester in dieser Stadt zu erleben.
Er interpretierte den knapp 15-Minütigen „Till Eulenspiegel“ ebenso trocken wie es der Humor des Komponisten Richard Strauss auch gebietet: In äußert straffen Tempi peitschte er durch die Partitur und zeigte so das Können seines Orchesters. Seine Lesart bestach mit perfektioniert-akkuraten Soli-Einsätzen durch artistische Orchesterbrillanz und weniger einer persönlicher Empfindung. Die Werke von Richard Strauss klingen sowieso am effektvollsten, wenn ein Dirigent einfach möglichst exakt der Partitur folgt und persönliche Sentimentalität außen vorlässt.
Das Cleveland Orchestra zeigte im musikalischen Zusammenspiel eine Präzision und Homogenität mit schlagartigen dynamischen Impulsen, die ihresgleichen suchten. Solch eine Disziplin im Musizieren wird selbst von der renommierten Staatskapelle nur selten erreicht — sicherlich auch weil das Dresdner Orchester in seine Aufführungen der Strauss-Tondichtungen einen freieren, offeneren Ansatz verfolgt. Selbstverständlich hat beides seine interpretatorische Berechtigung. In der zweiten Tondichtung, „Macbeth“, ließ Welser-Möst durch eben jene bedingungslose Orchesterbeherrschung das dunkelglühende und finstere Kolorit der Partitur fühlbar werden.
Der österreichische Dirigent hat aus den drei Akten der Oper „Der Rosenkavalier“ eine Art 45-minütige Sinfonie in drei Sätzen zusammengestellt, ohne hierbei jedoch die Partitur zu verfremden. Auf die Gesangsstimmen verzichtete er gänzlich und legte diese auch nicht in die Soli-Instrumente. Die Begleitlinien des Orchesters sind im „Rosenkavalier“ reichhaltig genug sind, um auch für sich selbst stehen zu können. In Dresden zählt die Kenntnis des Librettos von Hugo von Hofmannsthal sowieso zur Allgemeinbildung, so dass die Musik und Vorgänge der Handlung ihre Wirkung auch ohne die Dichtung erzielten.
Der principal oboist des Orchesters, Frank Rosenwein, gilt als prominentester Vertreter des sogenannten amerikanischen Oboenklangs. Er ließ in der Überleitung zum Schlussterzett noch einmal jene Harmonien entstehen, die das Cleveland Orchestra bis heute haben einzigartig werden lassen — und weshalb es zurecht in seiner Art zu Musizieren als unerreicht bezeichnet werden kann.
Das Publikum verstand die „Rosenkavalier-Suite“ auch gar nicht als Affront, sondern vielmehr als Hommage — ja, geradezu als Liebeserklärung — des US-amerikanischen Orchesters an die Stadt Dresden und ihrem Erbe der Musik von Richard Strauss. Trotz des Verzichts auf eine Zugabe dankten die Dresdner für dieses populäre Konzertprogramm mit Standing Ovations.
Gerade im Dirigat der Opern von Richard Strauss zeigt sich Welser-Möst als unerreicht, oder um es mit den Worten seines Orchesters auszudrücken, als „second-to-none“. Vielleicht war diese „Rosenkavalier-Suite“ auch eine Andeutung oder zumindest ein stiller Wunsch, dass man nach Thielemanns Abschied eines Tages auch einmal Franz Welser-Möst im Orchestergraben der Semperoper erleben darf?
- Rezension von Phillip Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Dresdner Musikfestspiele
- Titelfoto: Dresdner Musikfestspiele/Cleveland Orchestra, Franz Welser-Möst/Foto @ Oliver Killig
Diese Allmacht des Patriarichats ist ermüdend, selbstgerecht und eintönig!!