In die Stille hören: Igor Levit und die Camerata Salzburg in der Alten Oper Frankfurt

Konzert Igor Levit/Camerata Salzburg / Foto © PA / Sabine Siemon

Ludwig van Beethoven
Streichquartett Nr. 11 f-Moll op. 95 (Fassung für Streichorchester)

Wolfgang Amadeus Mozart
Klavierkonzert Nr. 9 Es-Dur KV 271 „Jeunehomme“

Camerata Salzburg
Giovanni Guzzo, Konzertmeister
Igor Levit, Klavier

1. November 2020, 20:30 Uhr

Mit zwei Werken, die für ihre Komponisten Ludwig van Beethoven und Wolfgang Amadeus Mozart einen neuen Weg der persönlichen Intensität darstellten, verabschiedete sich die PRO ARTE Konzertsaison der Alten Oper Frankfurt in künstlerischem Hochgenuss in die unwillkommene, aber pandemiebedingt notwendige, Winterpause. 

 

Erst wenige Tage vor diesem Konzert zeigte das französische Streichquartett Quatuor Ébène auf eben jener Bühne der Alten Oper, was es heißt, Beethovens f-Moll-Quartett op. 95 in musikalischer Vollendung zu interpretieren. Der direkte Vergleich zur Orchesterfassung der Camerata Salzburg in sechsfacher Streichergröße übertraf dennoch sämtliche Erwartungen. Das Salzburger Ensemble demonstrierte eindrücklich, weshalb es als eines der weltbesten Kammerorchester gehandelt werden. Verständlicherweise spielten sie das Werk zwar etwas ruhevoller als die Ébènes, überzeugten jedoch durch satten, voluminösen Klang mit einer unnachahmlichen Musikalität und meisterhaften Disziplin im Zusammenspiel. Im Stand spielend war den Gesichtern hinter den Instrumenten höchste Konzentration anzusehen, denn eigentlich sind die mittleren und späten Streichquartette Beethovens schon für vier Instrumentalisten fast unspielbar kompliziert. Besonders signifikant geriet der dritte Satz, das Allegro assai vivace mit seinem choralartigen Verlauf. Der Konzertmeister Giovanni Guzzo übernahm die erste Violinstimme als Solo während sich das gesamte Orchestertutti, normalerweise ja nur von drei Instrumentalisten besetzt, schattenartig von ihm absetzte und dadurch diesem Streichquartett einen neuen Grad der Abstraktion einhauchte.

Konzert Igor Levit/Camerata Salzburg / Foto © PA / Sabine Siemon

Mit Igor Levit als Solist folgte daraufhin Mozarts Es-Dur-Klavierkonzert. Hierbei war augenblicklich ein besonders intuitives Zusammenspiel zwischen dem Pianisten und der Camerata Salzburg erkennbar. Zwar gab der Konzertmeister Guzzo einzelne Einsätze an das Ensemble, die musikalische Deskription übertrug Levit jedoch selbst an die Musikerinnen und Musiker, fast schon durch Suggestion, lediglich mit einem diskreten, zustimmenden Nicken. Das musikalische Ergebnis war schlichtweg umwerfend. Levit webte sein Klavierspiel mit ausgeprägtem Legato schablonenartig in den Orchesterklang ein und löste sich, um einen schlanken Einheitsklang zu erzielen, bewusst auch darin auf. Unverkennbar wusste Igor Levit die derzeitigen gesellschaftlichen Umstände in der musikalischen Sprache Mozarts zu interpretieren und darzustellen. So schwebte in seinem fließenden Spiel bei den pulsierenden Oktavläufen des dritten Satzes, dem Rondothema, ein dezenter, leichter Optimismus bei, gerade so als wolle der Pianist seinem Publikum sagen, dass sicherlich bald wieder erfreulichere Zeiten für uns alle anbrechen werden.

Konzert Igor Levit/Camerata Salzburg / Foto © PA / Sabine Siemon

Nach knapp einer Stunde kam dieses Konzert auch schon sein zu seinem Ende, die Anspannung der Musikerinnern und Musiker bei ihrem letzten öffentlichen Konzert für die nächsten Wochen war sichtlich spürbar. Denn nicht nur in Deutschland, auch in der österreichischen Heimat der Camerata Salzburg bleiben angesichts steigender Corona-Zahlen fortan Konzerte mit Publikum untersagt. Da niemand so richtig voraussagen kann, wann die Konzertsäle wieder öffnen werden, verzichtete Igor Levit demutsvoll auf eine Solo-Zugabe am Klavier. Die letzten musikalischen Klänge, die an diesem Abend die schwierige, pandemiebedingte „Zeit der Stille“ einleiteten, sollten nicht von ihm alleine, sondern im Tutti mit der Camerata Salzburg erklungen sein. Zwar wird er in den nächsten Wochen auf das Rampenlicht verzichten müssen, still sein und schweigen wird Levit aber sicherlich niemals! Als gesellschaftskritischer Mensch wird er auch weiterhin seine Stimme lautstark im erbitterten Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus erheben. Der Pianist wurde erst kürzlich mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Igor Levit und die Camerata Salzburg, ein künstlerischer Hochgenuss mit pianistischer Virtuosität verbanden sich auf der Bühne in humanistischem Ideal zu einem letzten künstlerischen Atemholen vor der Stille – wir sagen von ganzem Herzen „Danke“!

 

  • Rezension von Phillip Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Pro Arte Frankfurt
  • Titelfoto: Konzert Igor Levit/Camerata Salzburg / Foto © PA / Sabine Siemon
Teile diesen Beitrag:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert