09.10.2016. SUNSET BOULEVARD, das Musical von Andrew Lloyd Webber nach dem gleichnamigen Hollywood-Film über die fiktive Stummfilmdiva Norma Desmond, erlebte am gestrigen Abend (8.10.) im bestens besuchten Dortmunder Opernhaus seine gefeierte Premiere. Minutenlange Standing Ovations am Ende der Aufführung des restlos begeisterten Publikums waren der verdiente Lohn für eine ganz herausragende Musicalproduktion auf hohem Niveau. Im Mittelpunkt des Jubels allen voran die großartige Pia Douwes, die mit ihrer Darstellung der Norma Desmond geradezu ein Lehrstück von Musicalkunst abgeliefert hat.
Musicals und Dortmund.
Seit dem Publikumsrenner JESUS CHRIST SUPERSTAR mit Alexander Klaws (siehe OPERNMAGAZIN-Interview) vor knapp 2 Jahren und NEXT TO NORMAL in der vergangenen Saison, nun SUNSET BOULEVARD von Andrew Lloyd Webber in der deutschen Fassung von Stefan Kunze. Webber vertonte den Hollywood-Filmklassiker SUNSET BOULEVARD von 1950 („Boulevard der Dämmerung“ in der dt. Übersetzung) mit Stummfilmstar Gloria Swanson als Norma Desmond in ein Musical.
Die Geschichte einer alternden Filmdiva, die den Übergang von Stumm- zu Sprechfilmen nicht geschafft hatte und seither in ihrer eigenen Traumwelt („Träume aus Licht„) lebt, geht weit über den üblichen Hollywood-Kitsch hinaus. Vielmehr findet hier eine sehr ironische Abrechnung mit der eigenen (amerikanischen) Filmindustrie statt. Norma Desmond, deren Scheinwelt einzig durch ihren Butler und Ex-Ehemann Max am Leben erhalten wird, hat den Traum einen von ihr konzipierten Film über Salome inszenieren zu lassen. Mit ihr in der Hauptrolle, einer Sprechrolle, als triumphales Comeback. Das ihr dabei der mittellose Schriftsteller Joe Gillis förmlich vor die Tür ihrer pompösen Villa am Sunset Boulevard fällt, nimmt sie als Wink des Schicksals. Sie engagiert den jungen Mann ihr endlich ihre filmische Fiktion in ein Drehbuch umzuschreiben und stellt ihn ein. In ihrem Wahn sieht sie sich schon als große wiedergeborene Filmkönigin, der die Massen an Fans huldigen, aber Joe Gillis will sich nicht mehr kaufen und vereinnahmen lassen. Am Ende will er gehen. Die Art von Liebe, die Norma für ihn fühlt, vermag er nicht zu erwidern. Einen Film mit ihr, der einstigen Glamourkönigin, wird es nicht mehr geben. Norma erschiesst ihn. Ihre Verhaftung wird ein letztes Mal einer filmischen Inszenierung gleich. Die traurige Regie dabei führt ihr Butler, Ex-Ehemann und, was erst am Ende der Story erklärt wird, erster Filmregisseur mit Namen Max von Mayerling. Norma strahlt in die bestellten Kameras. Ein letztes Mal. Sie weiss es nicht.
Eine Story gemacht für ein Musical. Das empfand auch Andrew Lloyd Webber so und komponierte in fast opernhafter Manier ein feines Netz von gängigen Melodien, Duetten, Ensembles, aber auch Anteile von klassischer Filmmusik. Filmmusik, die die Handlung musikalisch unterlegt und deren Sinn und Emotionen herausarbeitet. In Dortmund wurde die symphonische Fassung des Webber-Musicals aufgeführt.
Der erfahrene Musicalregisseur Gil Mehmert inszenierte das 2 1/2 Stunden lange Musical in einer ganz besonders kurzweiligen Weise. Ganz großes Kino eben! Regieeinfälle, wie unter anderem die, eine Luxuslimousine in Einzelteilen nachzustellen, oder die Schrägbühne mal als Barraum, mal als Tanzfläche für Normas und Joes Tango nutzbar zu machen, kamen beim Publikum sehr gut an. Besonders zu erwähnen sei aber seine Personenregie. Meisterhaft nutze er feine Gesten, Elemente der Pantomime, aber auch die große Pose um die Emotionen der Protagonisten den Zuschauern deutlich zu machen. Mit dem raffiniert nutzbaren Einheitsbühnenbild (drehbare Kulissen und erfreulicherweise wenig Kitsch) und den zeitlich passenden Kostümen (Ende 1940/Anfang 1950) schuf er eine rundum gelungene Inszenierung, die in sich stimmig, logisch und überzeugend war. (Bühne: Heike Meixner).
Die Dortmunder Philharmoniker, unter der Leitung von Ingo Martin Stadtmüller, haben diese Komposition in äußerst spannender und emotionaler Weise und mit dem nötigen musikalischen Ausdruck von Dramatik umgesetzt. Stadtmüller, der bereits im Mai dieses Jahres als musikalischer Leiter der Dortmund Erstaufführung der Oper „Ronja Räubertochter“ aufhorchen liess, konnte auch am gestrigen Premierenabend wieder auf ganzer Linie punkten. Bravo an die Dortmunder Philharmoniker und ihren Dirigenten für diese anspruchsvolle Leistung!
Die international bekannte und erfahrene Musicaldarstellerin Pia Douwes ist einfach großartig! Das sie diese schwierige Gesangspartie überzeugend interpretiert und gleich nach ihrem ersten großen Song das Publikum fast von den Sitzen gerissen, hat ist das eine, – aber wie grandios sie die Rolle der vom Wahn gezeichneten Diva schauspielerisch darstellt, das andere. Pia Douwes ist ein absoluter Profi. Eine Künstlerin, die schon mit kleinsten Gesten Gänsehaut beim Publikum erzeugen kann. Eine Weltklasse-Leistung, kein Zweifel!
Oliver Arno war ein attraktiver Joe Gillis, stimmlich und darstellerisch. Er gab den naiv-verschlagenen, jungen und erfolglosen Drehbuchautor mit viel jungenhaftem Charme, ohne dabei zu überziehen. Fast durchweg ist Oliver Arno auf der Bühne präsent und stellt sein überaus großes Talent in diesem Metier überzeugend unter Beweis. Ein idealer Bühnenpartner für Pia Douwes. Als seine heimliche Geliebte Betty Schaefer begeisterte Wietske van Tongeren das Publikum mit viel Charme in Ausdruck und Stimme.
Dortmund’s hauseigene Gesangskräfte wussten gleichwohl ebenfalls zu überzeugen. Ganz besonders tat dies Ks. Hannes Brock als Max, dem Butler der Diva. Gesanglich wie stets souverän und kultiviert, war er als Max eine Besetzung, die vermutlich keine Konkurrenz zu scheuen braucht. Andrew Lloyd Webber hätte an ihm sicher seine große Freude. Morgan Moody als leichtlebiger Artie Green war wieder mal vortrefflich. Diese Dandy-Typen scheinen dem jungen amerikanischen Bariton zu liegen. Insgesamt war es wieder eine tolle Ensembleleistung bis in die kleinsten Partien. Den Spaß, den alle Beteiligten hatten, wussten sie spürbar dem Publikum zu vermitteln. Für die einfallsreiche und schmissige Choreografie zeigte sich Melissa King verantwortlich.
Fazit: Musicalfans aus NRW und darüber hinaus sollten sich diese Aufführung nicht entgehen lassen. Ganz großes Kino im übertragenen Sinne, was die Oper Dortmund mal wieder auf die Bühne bringt. Eine Pia Douwes der Extraklasse und ein Ensemble auf internationalem Niveau machen diese Inszenierung zusammen mit den Dortmunder Philharmonikern unter Ingo Martin Stadtmüller zu einem ganz besonderen Ereignis.
*Termine, Infos und Karten unter DIESEM LINK
*Titelfoto: Pia Douwes (Norma Desmond)
©Thomas Jauk, Stage Picture
Tolle Kritik und wie immer super geschrieben.Ich war auch in der Premiere und bin jetzt immer noch begeistert.