
„Jetzt muss ich noch den Buben dafür trösten, dass er mich über kurz oder lang wird sitzen lassen.“
Der Rosenkavalier von Richard Strauss am Staatstheater Wiesbaden
(Premiere am 10. November 2019, besuchte Vorstellung am 14. November 2019)
Die Marschallin, Zitat: „Die Zeit im Grunde, Quinquin, die Zeit, die ändert doch nichts an den Sachen. Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding. Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts. Aber dann auf einmal, da spürt man nichts als sie. Sie ist um uns herum, sie ist auch in uns drinnen. In den Gesichtern rieselt sie, im Spiegel da rieselt sie, in meinen Schläfen fließt sie. Und zwischen mir und dir da fließt sie wieder, lautlos, wie eine Sanduhr. Oh, Quinquin! Manchmal hör‘ ich sie fließen, unaufhaltsam. Manchmal steh‘ ich auf mitten in der Nacht und lass die Uhren alle, alle stehn. Allein man muss sich auch vor ihr nicht fürchten. Auch sie ist ein Geschöpf des Vaters, der uns alle erschaffen hat.“
Das Bühnenbild von Raimund Bauer ist ein großes, die Bühne einrahmendes Halbrund. Während der kompletten Inszenierung bleibt es bestehen. Je nach Fortschritt der Geschichte wird die Bühne unterschiedlich möbliert, mal als Schlafzimmer, als Salon, als Villeneingang und als zwielichtiges Etablissement.

Die Marschallin und ihr jugendlicher Liebhaber Oktavian haben eine Liebesnacht hinter sich und geben sich nun am Morgen in der offenherzigsten Beischlafszene, die ich jemals auf einer Opernbühne gesehen habe, einander hin. Eine sehr entschlossene Ausgestaltung der Ouvertüre durch den Regisseur Nicolas Briegel. Möglich ist und glaubhaft wird diese Szene durch die perfekte Besetzung der beiden Rollen. Nicola Beller Carbone spielt die Feldmarschallin hochelegant, sich immer ihres etwas fortgeschrittenen Alters bewusste, nie peinlich werdende verliebte Dame. Silvia Hauer ist der 17-jährige Oktavian, verliebt über alle Ohren, überschwänglich, eifersüchtig, zärtlich, manchmal ungelenk, wie es ein junger Kerl nun mal ist. Dass Oktavian um einen Kopf kleiner ist als die Marschallin, lässt das Paar sehr rührend wirken.
Alles, was nun folgt, ist im Libretto bereits ausgiebig erzählt, ich sage weiter oben „wortgewaltig“. Wie geht ein Regisseur nun vor, welche Freiheiten nimmt er sich, was lässt er weg, wo kann er etwas ergänzen?
Komponiert ist auch alles, erfreulicherweise aber mit gewissen Längen, die es nun mit eigenen Ideen auszufüllen beziehungsweise aufzufüllen gilt.
Das Frühstück wird serviert, vor der Tür warten bereits die Bittsteller auf das Lever, Stimmen werden laut. Die Marschallin ist etwas nervös, glaubt, ihren Ehemann zu hören, sie begeht gerade Ehebruch und möchte das doch lieber nicht bekannt werden lassen. Die jetzt folgende „wie lasse ich meinen Liebhaber verschwinden“-Szene spielt Silvia Hauer wirklich hinreißend. Eine Komödie für Musik lässt sich leicht in einer Slapstick-Inszenierung darstellen, umso schöner ist es, dass Nicolas Briegel diesen bestimmten Grad findet zwischen albern und lebensnah, der den Zuschauerinnen und Zuschauern ein Lächeln aufs Gesicht zaubern kann ob eines möglichen déjà-vu.
Nun, zum Glück ist es nicht der Ehemann, der ins Schlafzimmer stürmt. Karl Lagerfeld alias Baron Ochs auf Lerchenau in Person von Albert Pesendorfer, der den erkrankten Karl-Heinz Lehner an diesem Abend vertritt, sorgt für Wirbel. Zu Beginn seines Auftritts habe ich ein paar Probleme, ihn zu verstehen. Das ändert sich aber schnell, er ist sowieso im Text gut drin, spielte die Rolle des Ochs in der Dresdner Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg (Intendant des Staatstheaters Wiesbaden), was dieser auch in seiner Ankündigung der Besetzungsänderung erwähnt.
Aber zurück zum Wirbel. Statt sich im Schrank zu verstecken, verkleidet sich Octavian als Kammerzofe, stöckelt auf hohen Absätzen über die Bühne und kann sich den Avancen des Barons kaum erwehren. Unter chronischem Geldmangel leidend will er Sophie, die Tochter des Herrn von Faninal heiraten und bittet die Marschallin um Vermittlung. Die Lerchenauche Livree, ganz in schwarz gekleidet und mit Rabenkopf-Masken ausgestattet, flattern vor und hinter den Türen herum. Das Personal der Marschallin bemüht sich derweil um Schadensbegrenzung, räumt schnell das Bettzeug weg und das Frühstück für zwei. Der Friseur schminkt die Marschallin, sie schaut sich im Spiegel an: „Mein lieber Hippolyte, heut haben Sie ein altes Weib aus mir gemacht!“ Immer wieder nähern sie und die Kammerzofe/Octavian sich schmachtend einander an. Ein Sänger singt:
„Dírigori armato il seno
contro amor mi ribellai,
ma fui vinto in un baleno
in mirar due gaghi rai.
Ma fui vinto in un baleno, ahí!
in mirar due vaghi rai. Ahi!
che resiste puoco a stral di fuoco
Cor di gelo di fuoco a stral.“
Der Sänger ist der rumänische Tenor Ioan Hotea. 2015 gewann er den Internationalen Gesangswettbewerb Operalia in London. Eine wunderbare Stimme, hell, sauber, enorme Strahlkraft.
Währenddessen wird ein Video abgespielt mit Kriegsszenen. Erst im zweiten Akt wird der Sinn klar, ist doch der Herr von Faninal, gesungen von Thomas de Vries, ein Waffenfabrikant. In seinem Salon, in der Bühnenmitte, steht ein großer goldener Globus, durchaus geschmackvoll, er birgt eine gut bestückte Hausbar. Vor dem Haus steht ein lebensgroßer sich drehender goldener Panzer, und schon ist klar, dass neureich zu sein und Geschmack zu haben zwei verschiedene paar Schuhe sind. Sophie (Aleksandra Olczyk), die sehr junge Tochter des Hauses, weiß, dass sie verheiratet werden soll und erwartet aufgeregt und durchaus nicht abgeneigt zusammen mit der Jungfer Marianne Leitmetzerin (Sharon Kempton) den Rosenkavalier. Octavian, von der Marschallin für diesen Dienst des Brautwerbers ausgewählt, hat die Aufregungen der letzten Nacht und des Morgens nicht gut weggesteckt, er scheint durchgetrunken zu haben. Während er sich aus seiner hübschen silbernen Jacke (Kostüme von Andrea Schmidt-Futterer) schält, fällt schon mal die für Sophie bestimmte Rose auf den Boden. Aber es ist Liebe auf den ersten Blick. Octavian ist schlagartig nicht mehr mürrisch, er strahlt Sophie an. Silvia Hauer und Aleksandra Olczyk sind ein ideales Paar, nicht nur optisch passen sie perfekt zusammen, auch stimmlich und darstellerisch harmonieren sie aufs Feinste.
Als dann der potentielle Bräutigam, Baron Ochs auf Lerchenau erscheint, selbstsicher, großkotzig wie er nun mal ist, ahnt er nicht, dass aus der Ehe nichts wird. Selbst als Octavian und Sophie sich küssen und dabei von diesen intriganten italienischen Spionen des Barons, Valzacchi (Rouwen Houter) und Annina (Fleuranne Brockway), erwischt und an den Baron verraten werden, wird das ignoriert und Ochs besteht darauf, den Ehevertrag zu unterzeichnen. Nach Sophies Weigerung gibt es heftige Auseinandersetzungen, Octavian verletzt dabei den Baron leicht mit einem Messer am Arm. Dem so Dahingemeuchelten wird ärztliche Hilfe zuteil und er erholt sich so schnell, dass er für ein Stelldichein mit der Kammerzofe der Marschallin (wir erinnern uns: der verkleidete Octavian) umgehend bereit ist.
Während dieser dramatischen Ereignisse wird draußen gefeiert, drinnen die Globus-Bar geleert, die Lerchenausche Livree und das männliche Hauspersonal machen sich über das weibliche Personal her, es geht grob zu, was uns ein fast nacktes Dienstmädchen auf der Bühne beschert. Octavian zieht derweil die intriganten Italiener auf seine Seite. Und hat offensichtlich schon Rachepläne für den dritten Akt.
Wir sind in einem etwas halbseiden anmutenden Etablissement, rote Beleuchtung, die Tische mit Telefonen ausgestattet, leichtbekleidete Mädchen, der Wirt ist eine Wirtin, Transvestit? (Erik Biegel). Baron Ochs wird sich hier mit der Kammerzofe treffen, alles scheint bestens vorbereitet zu sein, das Dinner, der Wein, gedämpftes Licht, keine Musi, es soll ja nicht zu viel kosten. Und jetzt fährt der Regisseur alles auf, was zu einer Komödie für Musik passen könnte, was dazu dienen kann, den Baron Ochs auf Lerchenau so richtig auf den Arm zu nehmen und alle sind eingeweiht in das höllische Komplott. Tische, die plötzlich an einem anderen Ort stehen, einschwebende Geister, sich bewegende Statuen, da kann er ja nur verrückt werden. Die Kammenjungfer will er heiraten, eine falsche Ehefrau mit vier Kindern und schwanger noch dazu bezichtigt ihn der Bigamie, der Notar ist anwesend, der Kommisar schreitet ein (beide Rollen Benjamin Russell). Bis dann endlich der Herr von Faninal und die Marschallin auftauchen und dem Ochs begreiflich machen, dass es sich erledigt hat mit der Heirat mit Sophie und er es endlich gut sein lassen soll. Zitat Marschallin: „Versteht Er nicht, wenn eine Sach‘ ein End‘ hat? Die ganze Brautschaft und Affär‘ und alles sonst. Was drum und dran hängt, ist mit dieser Stund‘ vorbei.“
Zitate aus dem Terzett am Ende des dritten Akts:
Die Marschallin über Octavian: „Hab‘ mir’s gelobt, Ihn lieb zu haben in der richtigen Weis‘. Dass ich selbst Sein Lieb‘ zu einer andern noch lieb hab! Hab‘ mir freilich nicht gedacht, dass es so bald mir aufgelegt sollt‘ werden!“

Foto: Karl & Monika Forster
Oktavian zu Sophie: „Es ist was kommen und ist was g’schehn, Ich möcht‘ Sie fragen: darf’s denn sein? und grad‘ die Frag, die spür‘ ich, dass sie mir verboten ist. Ich möcht‘ Sie fragen: warum zittert was in mir? – Ist denn ein grosses Unrecht geschehn? Und grad‘ an die darf ich die Frag‘ nicht tun – und dann seh‘ ich dich an, Sophie, und seh‘ nur dich und spür‘ nur dich, Sophie, und weiss von nichts als nur: dich hab‘ ich lieb.“
Sophie zu Oktavian: „Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein, dass wir zwei beieinander sein, beieinand‘ für alle Zeit und Ewigkeit!“
Zitat Nicolas Brieger: „Nicht Schönheit, Erhabenheit, Noblesse machen dieses Terzett am Ende des 3. Aktes so überwältigend, sondern seine Brutalität. Schönheit wird zum betörenden Trennungsskalpell.“
Happy end? Ja, für Octavian und Sophie auf jeden Fall, für die Marschallin nicht so wirklich, sie wird sich sicherlich einen neuen Liebhaber suchen, um den Baron muss man sich sorgen, so viele Bräute mit reichen Vätern gibt es nicht. Für alle anderen wird das Leben weitergehen wie bisher.
Es ist ein wahrer Genuss, diesen Rosenkavalier zu sehen und zu hören, ein stimmiges Zusammenspiel von Sängern, Regie, Musik. Das Hessische Staatsorchester Wiesbaden unter der Leitung von GMD Patrick Lange lieferte einen farbenreichen lebhaften üppigen aber nicht derben Strauss. Es singen der Chor & Chorsolisten des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden (Chor: Albert Horne) und der Wiesbadener Knabenchor.
- Rezension von Angelika Matthäus / RED. DAS OPERNMAGAZIN
- Staatstheater Wiesbaden / Stückeseite
- Titelfoto: Staatstheater Wiesbaden/DER ROSENKAVALIER/Nicola Beller Carbone u. Silvia Hauer/ Foto @ Karl u. Monika Forster
Ein Gedanke zu „„Der Rosenkavalier“ am Staatstheater Wiesbaden – „Wie du warst, wie du bist““