Der Rhythmus als Fokus: Sir Simon Rattle und das LSO in der Alten Oper Frankfurt

Sir Simon Rattle und das LSO, /Foto @Alte Oper Frankfurt / Tibor-Florestan Pluto

Zum dritten und letzten Teil der Konzertreihe „Fokus London Symphony Orchestra“ (LSO) kehrte das britische Spitzenorchester nun endlich mit seinem Music Director, Sir Simon Rattle, zurück in die Alte Oper Frankfurt. In Begleitung des LSO gastierten am Ende des vergangenen Jahres schon die beiden herausragenden Instrumentalsolisten Khatia Buniatishvili am Klavier und Truls Mørk am Violoncello in Frankfurt. Sir Simon Rattle hingegen stellte die Symphonik zweier Orchesterwerke – je eines aus der Wiener Klassik und eines aus der etwa 100 Jahre später entstandenen Zweiten Wiener Schule – als Mittelpunkt in sein Programm. Die 3 Orchesterstücke, op. 6 von Alban Berg zeichnen sich ebenso wie die daran anschließende 7. Sinfonie von Ludwig van Beethoven durch ihre strenge, unabdingbare Rhythmik aus. Eingeleitet wurden das Konzert von der Sopranistin Dorothea Röschmann, welche den 7 frühen Liedern Alban Bergs mit ihrer Stimme eine besondere Note verlieh. (Rezension des Konzertes vom 24.1.2020

 

Programm

Alban Berg
7 frühe Lieder
Passacaglia
3 Orchesterstücke op. 6

Ludwig van Beethoven
Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92

Sir Simon Rattle und das LSO, D. Röschmann/Foto @Alte Oper Frankfurt / Tibor-Florestan Pluto

Das Schaffen Alban Bergs, einem der bedeutendsten Komponisten der Zweiten Wiener Schule, ist bedauerlicherweise äußerst gering. Seinen beiden Opern „Wozzeck“ und „Lulu“ – letztere unvollendet – ergänzen einzig das Violinkonzert und die „3 Orchesterstücke op. 6“ sein Oeuvre für den Konzertsaal. Auch die Komposition seiner 7 frühen Orchesterlieder zog sich über ein Jahrzehnt hin, so dass die Uraufführung erst wenige Jahr vor dem Tode des Komponisten stattfand und diese sogleich mit der romantisch-anmutenden Harmonik überraschte. Dorothea Röschmann trug diese Lieder mit ihrer leuchtenden Sopranstimme in beeindruckender Intensität bei deklamatorischer Perfektion vor. Sie formte die Worte mit eleganten und hochexpressiven Gesangslinien technisch geradezu perfekt. Ihrer eindringlichen Vortragsweise sei Dank hingen die Zuschauer förmlich an den Lippen der Sopranistin.

Den anschließenden 3 Orchesterstücken op. 6 stellte Sir Simon Rattle noch ein viertes, das kurze Symphonie-Fragment „Passacaglia“ voran. Im Gegensatz zu den Sinfonien Beethovens sind sie selbst für den geübten Konzertbesucher schwer zugänglich und wirkten trotz ihrer Aufführungsdauer von lediglich 20 Minuten als erster Höreindruck recht sperrig. Rattle gelang es nichtsdestotrotz den festen Rhythmus der Orchesterstücke als Grundlage herauszuarbeiten, um darauf aufbauend die im Orchester versteckten Melodien in den Vordergrund zu heben. In den Trompeten und Posaunen stiegen die Motive langsam an, wechselten unmerklich durch die Orchestergruppen und entluden sich schließlich im rauschenden Tutti. Die deutlich herausgearbeiteten Melodien wirkten trotz einer aggressiv-modernen Harmonik im Tutti weich und angenehm strukturiert. Die Zuschauerresonanz zur Expressivität Alban Bergs blieb jedoch sichtlich verhalten.

Richard Wagner bezeichnete Beethovens 7. Sinfonie als „Apothese des Tanzes“. Denn diese besticht so stark wie keine weitere Sinfonie Beethovens durch einen pulsierenden Rhythmus. Dieser ist ebenso in den Kompositionen Alban Bergs omnipräsent. Rattle arbeitete den Rhythmus dezent pochend heraus und stellte diesen als verbindendes Element beider Werke gegenüber. Mit einem straffen Grundschlag im Tutti des Orchesters blieb er dem pulsierenden Takt der Komposition treu, setzte gleichermaßen seine persönliche Note indem er von jedem Solomusiker enorme Variationen in Dynamik und Artikulation einforderte. Schon wie zuvor bei Alban Bergs Orchesterstücke ließ Rattle seine Musiker– selbstverständlich nur im streng vorgegebenen Grundrhythmus diverser Instrumentengruppen – in den Solipassagen bei weiten Spielräumen frei tanzen.

Zurecht kann die Alte Oper Frankfurt die Konzertreihe „Fokus London Symphony Orchestra“ als großen Erfolg verbuchen. Das Publikum durfte dieses britische Spitzenorchester in all seinen Facetten und im Vergleich unterschiedlichster Dirigenten kennenlernen, die mit drei gänzlich verschiedenen Konzertprogrammen stets aufs Neue zu überraschen wussten. Die Konzerte wurden im Anschluss durch Diskussionsrunden mit ausgewählten Orchestermusikern und ihrem Management abgerundet. Für Erheiterung sorgte die zynische Frage des Moderators, ob das London Symphony Orchestra nach dem Brexit seine neue Heimat in der Alten Oper finden werde, denn schließlich steht dieses Konzerthaus ja schon in Frankfurt-Westend, dem gleichnamigen Stadtteil der Kunst- und Kulturszene Londons.

 

  • Rezension von Phillip Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Alte Oper Frankfurt
  • Titelfoto: Alte Oper Frankfurt/Sir Simon Rattle und das LSO, D. Röschmann/Foto @Alte Oper Frankfurt/Tibor-Florestan Pluto
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