Bahnbrechendes Staatsoperndebüt von Christian Thielemann in Berlin: „Das Rheingold“ im neuen Tcherniakov-Ring

Staatsoper Berlin /DAS RHEINGOLD/Rolando Villazón, Michael Volle, Stephan Rügamer/ Foto @ Monika Rittershaus

Im Herbst 2022 wird Daniel Barenboim seinen 80. Geburtstag feiern. Das kostbarste Geschenk wollte er sich selbst bereiten, eine Neuinszenierung von Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ an seiner Staatsoper Berlin. Denn in diesem Jahr feiert Barenboim auch dreißigjähriges Dienstjubiläum als Generalmusikdirektor des Hauses, dessen zugehörige Staatskapelle ihn im Jahr 2000 zum Chefdirigenten auf Lebenszeit gewählt hat. Die Vorgängerinszenierung wurde vor knapp zehn Jahren von Guy Cassiers als Co-Produktion mit der Mailänder Scala erarbeitet. Seine damalige Nicht-Deutung dieses Magnum Opus der Opernliteratur wird als eine der größten szenischen Enttäuschungen in der Interpretationsgeschichte der Wagner-Regie angesehen. Vor drei Jahren fand die zweite (und direkt letzte) Wiederaufnahme des Cassiers-Rings statt. (Rezension der Vorstellung v. 02.10.2022)

 

 

Schon damals wurde spekuliert, dass sich Daniel Barenboim an der frisch renovierten Staatsoper Berlin schnellstmöglich ein szenisch würdigeres Denkmal mit Wagners Tetralogie setzen möchte. Seine Wahl für die nächste Ring-Regie sollte natürlich auf Dmitri Tcherniakov fallen. Der russische Regisseur stellte an der Berliner Staatsoper, mit Barenboim als musikalischen Partner, zwei die Rezeptionsgeschichte prägenden, tiefgründigen Deutungen von Wagners „Parsifal“ (2015) sowie „Tristan und Isolde“ (2018) auf die Bühne. Über ein Jahr Vorbereitungs- und Probenzeit sollten ihm nun eine ganz besondere Geschlossenheit ermöglichen: Dieser neue Tcherniakov-Ring kam direkt zyklisch, ohne über mehrere Spielzeiten verteilte Einzelpremieren zur Aufführung! Wurde solch ein Kraftakt außerhalb der Bayreuther Festspiele von einem anderen Opernhaus jemals gestemmt? Auch angesichts des im vergangen Jahr an der benachbarten Deutschen Oper geschmiedeten Herheim-Rings lag die hauseigene Messlatte der Staatsoper besonders hoch: Ganz neue Maßstäbe sollen nicht nur musikalisch, sondern endlich auch wieder einmal szenisch gesetzt werden!

Die Besetzungsliste mit u. a. Anja Kampes Rollendebüt als Brünnhilde ließ zunächst so manch eine ungewöhnliche bzw. herausragende gesangliche Darbietung erwarten. Doch dann der Schicksalsschlag: Daniel Barenboim sah sich nur wenige Wochen vor der Premiere aus gesundheitlichen Gründen gezwungen, die musikalische Leitung der drei aufeinanderfolgenden, seinen Geburtstag einleitenden, Ring-Zyklen abzugeben. Doch nicht irgendjemand sollte nun einspringen, ausgerechnet der als sein Antipode geltende Christian Thielemann übernahm die musikalische Leitung der vier Premieren. Die Intrigen, der Zwist und all die hässlichen Vorwürfe, welche das Feuilleton viele Jahre zwischen diesen beiden (mitunter herausragendsten) Wagner-Dirigenten hochköcheln ließ, waren wohl doch nur heiße Luft. Thielemann habe Barenboim seine Bayreuther Karriere zu verdanken, sie bezeichnen sich sogar als langjährige Freunde.

Staatsoper Berlin/DAS RHEINGOLD/M. Volle/Foto @ Monika Rittershaus

Dass Christian Thielemann im Graben der Staatsoper Berlin mit der Premiere eines Ring-Zyklus debütierte, ist natürlich ein Wagnis. Er hat die szenische Umsetzung im Probenprozess gar nicht begleitet. Der Dirigent selbst bezeichnete es gar als ein absolut irrsinniges Unterfangen seinerseits, eigentlich wollte er in diesen Wochen doch eine Urlaubsreise unternehmen! Sein Debüt am Pult des Orchesters feierte Thielemann erst kurz vor der vergangenen Spielzeitpause in einem Sinfoniekonzert. Dass zwischen dem Dirigenten und der Staatskapelle direkt ein musikalischer Funke übergesprungen ist, war in diesem „Rheingold“ jedoch deutlich zu hören!

„Das Rheingold“ ist als Vorabend das Ensemble- und Konversationsstück innerhalb von Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“. Zahlreiche kleine und mittelgroße Rollen prägen das zweieinhalbstünde Geschehen. Viele von ihnen tauchen in den drei großen, daran anknüpfenden Musikdramen auch gar nicht wieder auf. Beispielsweise die Partie des Feuergotts Loge, mit welcher der sympathische mexikanisch-französische Allrounder Rolando Villazón seine Wagner-Debüt gab. Der auch als Schriftsteller, Regisseur, Intendant und Moderator bekannte Opernsänger in Tenor- und neuerdings Baritonrollen war sichtlich die größte Kontroverse des Abends. Seine doppelsinnige Rolle hält das gesamte „Rheingold“ zusammen. Mit einer charakteristischen Loge-Interpretation entscheidet sich schon frühzeitig, in welche Richtung sich das Geschehen vom Vorabend aus entwickeln wird. Villazón zollte seinem Rollendebüt den gebührenden Respekt und studierte die Partie eigens mit Heinz Zednik, dem Maßstäbe-setzenden Charaktertenor aus dem Bayreuther „Jahrhundertring“. Und so schuf Villazón in ungewöhnlich schattig-finsterer Stimmfarbe einen ambivalenten Belcanto-Loge, der gerade wegen seinem Hauch von Italianità besonders zwielichtig erschien. Trotz Villazóns unnachahmlicher Bühnenpräsenz mit gewohnt überdrehter Spielfreude und weit ausschweifender Gestik war das Wagnerpublikum erzürnt! Unverdienterweise wurde Villazóns stimmlich durchaus respektable, gleichwohl polarisierende Darbietung, vom Publikum bösartig niedergebuht.

Staatsoper Berlin/DAS RHEINGOLD/C. Mahnke, M. Volle/Foto @ Monika Rittershaus

Stephan Rügamer ist langjähriges Ensemblemitglied an der Staatsoper und verkörperte im letzten Ring-Zyklus die umfangreichere Partie von Rolando Villazón. Diesmal schlüpfte Rügamer in die Rolle des Zwergs Mime, in welcher er kongenial artikulierte und erneut als Charaktertenor par excellence überzeugte. Auch die Partie der Fricka hätte mit Claudia Mahnke kaum besser besetzt sein können. Auf den Punkt artikuliert, etwas herrisch und mit dem richtigen Schuss Selbstironie war sie dem Göttervater Wotan zumindest ebenbürtig. Neben dem Wotan von Michael Volle war Johannes Martin Kränzles Darstellung des Alberichs die bemerkenswerteste Gesangsleistung des Abends. Kränzle verband seine düster-eindringliche Baritonstimme mit der Phrasierungskunst seines Liedgesangs. So blickte er in die Tiefe und damit auch in die Abgründe seiner Figur. Dieser Alberich war nicht nur das pure Böse, sondern nachvollziehbar, komplex und gar glaubhaft in seinem Handeln. Kränzle vollzog den Weg der Kränkung und Enttäuschung des Schwarz-Alberichs. Bei seiner Darbietung wirkte es plötzlich ganz schlüssig, weshalb sich die Figur der düsteren Seite der Macht zugeneigt fühlt.

Christian Thielemann und Dmitri Tcherniakov schufen einen musikalisch wie auch szenisch starken Auftakt. Darüber wird in den Berichten der drei folgenden Werke des Zyklus noch ausführlich zu sprechen sein.

 

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