Es ist 13 Jahre her, dass Christian Thielemann mit seiner monumentalen Aufführung von Richard Strauss Die Frau ohne Schatten bei den Salzburger Festspielen mit den Wiener Philharmonikern Aufsehen erregte. In der Zwischenzeit lag die musikalische Leitung der Opernwerke von Richard Strauss in den versierten Händen von Franz Welser-Möst. Für diesen Sommer hat Thielemann jedoch eigens bei den Richard-Wagner-Festspielen in Bayreuth pausiert, um auch in Salzburg endlich wieder eine Strauss-Oper darzubieten. (Besuchte Vorstellung am 4. August 2024)
Diese Oper „ist ein absurdes Ding. Befehle werden singend erteilt, über Politik im Duett verhandelt“ stellt der Graf aus Capriccio amüsiert fest. Selbst ein um Wagner-Längen-erfahrenes Publikum zuckt bei diesem „Konversationsstück für Musik“ jedoch zurück, besonders wenn es wie in Salzburg in konzertanter Form und ohne Pause aufgeführt wird. Das Sujet wirkt sperrig: Eine musiktheoretische Diskussion zwischen einer Gräfin und ihrer beiden Liebhaber über den Vorrang von Wort oder Ton in der Oper, angesiedelt zu Lebzeiten des Komponisten Glucks und seiner Opernreform. Capriccio wurde von Richard Strauss – im Gegensatz zu seinem Rosenkavalier oder der Frau ohne Schatten – nicht für das große Publikum geschrieben: „Ein Leckerbissen für kulturelle Feinschmecker, musikalisch nicht sehr bedeutend, jedenfalls nicht so wohlschmeckend, dass die Musik darüber hinweghilft, wenn sich das große Publikum für das Buch nicht erwärmen sollte.“
Das Werk ist im Stil des Vorspiels zur Ariadne auf Naxos gehalten, dabei etwa viermal so lang, weniger melodiös und mit viel mehr Text. Der Humor ist besonders subtil und trocken. Das Libretto, entstanden in Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Clemens Krauss während des 2. Weltkriegs, ist gespickt mit allerlei literarischen und kunstgeschichtlichen Anspielungen, auch aus Strauss‘ eigenen Werken. Der Komponist ahnte jedoch, an welchem Ort man Capriccio zum Erfolg führen könnte: „An die eigentliche Bühnenwirksamkeit im gewöhnlichen Sinne glaube ich nicht. Darum muss dieses ausgefallene Kindchen in einer besonderen Wiege präsentiert werden und das sind die Salzburger Festspiele. Das Publikum, welches eigens dahin kommt, stellt einen anderen Maßstab an.“
Der Dirigent Christian Thielemann, welcher in Salzburg ähnlich verehrt wird, wie einst Richard Strauss, gilt selbst als größter Liebhaber des Komponisten. Im Herbst wird ein von ihm verfasstes Strauss-Buch erscheinen. Wenn Thielemann einmal einen Komponist treffen könnte, dann wäre es Richard Strauss – am liebsten zu einer Partie Skat; offenbarte der Dirigent kürzlich in einem Interview. Und mit eben jener Hingabe, mit der er über Strauss spricht, leitete er auch die Wiener Philharmoniker musikalisch. Im verstetigten, recht straffen Parlando-Tempo wusste Thielemann dem Orchester aus jeder Note eine unermessliche Strauss-Leidenschaft zu entlocken. Die Partitur füllte er mit Leben, es entstand trotz des schwierigen Sachverhalts keine Sekunde Langeweile, Das komplexe Streit-Ensemble erklang unter seiner Leitung gar wie ein spritziges, den Rosenkavalier referenzierendes, musikalisches Feuerwerk.
Rund um den Dirigenten versammelten sich ausnahmslos die bedeutendsten Vertreter*innen des Lied- und Oratoriengesangs der Gegenwart, alle auf ihre Art versierte Gestaltungskünstler*innen mit sensibler Auffassung für das elementare Wort-Ton-Verhältnis dieser Operndichtung: Darunter Elsa Dreisig (Gräfin) Bo Skovhus (Graf) Sebastian Kohlhepp (Flamand, ein Musiker), Konstantin Krimmel (Olivier, ein Dichter), Mika Kares (La Roche, Theaterdirektor), Ève-Maud Hubeaux (Clairon, eine Schauspielerin). Für Christian Thielemann eine ungewöhnliche Konstellation, leitet er doch sonst die „schweren“ dramatischen Wagner-Stimmen.
Eine Aufführung mit der solistisch einzigartigen Qualität eines Wiener Mozart-Ensembles, welches in dieser Homogenität zuletzt durch Josef Krips in der Nachkriegszeit zusammengestellt wurde: Junge Stimmen mit klarer, abgerundeter Deklamation, die trotz penibler Einstudierung ihre Partien frei und spontan-anmutend interpretierten. Jede Silbe kam zu ihrer Bedeutung. Allesamt ermöglichten sie eine in höchster Form vollendete, ganz im Geiste ihres Komponisten stehende Aufführung, wie sie nur durch den Literatur-verliebten Rahmen der Salzburger Festspiele Zustandekommen kann.
Neben den quicklebendigen Rezitativ-Passagen berührten besonders auch die sanfteren Klänge der Wiener Philharmoniker, etwa im erregenden Horn-Solo der Mondscheinmusik. Vielleicht – so dachte man sich, während Elsa Dreisigs silbern-kristallene Sopranstimme im Schlussmonolog der Gräfin durch das Festspielhaus schwebte – ist Capriccio, Richard Strauss‘ musikalisches Testament, tatsächlich doch das gehaltvollste und geistreichste Werk des Komponisten.
- Rezension von Phillip Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Salzburger Festspiele 2024 / Stückeseite
- Titelfoto: Salzburger Festspiele 2024/ CAPRICCIO 2024/Elsa Dreisig, Bo Skovhus, Sebastian Kohlhepp, Konstantin Krimmel, Mika Kares,
Ève-Maud Hubeaux/ Foto: © SF/Marco Borrelli