Vom Glück der Überwindung: „Die Frau ohne Schatten“ im Konzerthaus Dortmund

Konzerthaus Dortmund/Frau ohne Schatten/Foto @ Petra Coddington

„Von der Gewalt, die alle Wesen bindet, befreit der Mensch sich, der sich überwindet!“ – Schon hundert Jahre vor der Komposition der Frau ohne Schatten brachte Johann Wolfgang von Goethe den Gehalt dieser „letzten romantischen Oper“, wie sie ihr Komponist Richard Strauss bezeichnete, mit diesen Worten auf den Punkt. Denn all die zahlreichen Figuren, die Färberin und der Färber Barak, die Kaiserin und der Kaiser, aber auch in gewissen Punkten die dämonische Amme, haben in ihrer Läuterung mehrere Aufgaben zu lösen um ihr Gegenüber neu zu erkennen, damit sie schlussendlich die höchste Zufriedenheit im familiären Glück erfahren dürfen. An der mit unzähligen Symbolen und zahlreichen parallel verlaufenden Handlungssträngen ausgestatteten Frau ohne Schatten sind schon so manche Opernregisseure gescheitert. In konzertanter Aufführung des Rotterdam Philharmonic Orchestra unter ihrem ehemaligen Chefdirigenten Yannick Nézet-Séguin wurde die überwältigende Komposition – ohne Bühnenbild oder Kostüme – in den Vordergrund gestellt. Denn bei aller berechtigter Interpretation der Symbolismen des Werks bleibt es schlussendlich doch stets der symphonische und melodische Aspekt, welcher die Frau ohne Schatten zu einer der bedeutendsten Opern des 20. Jahrhunderts hat werden lassen. Unter Zuhilfenahme einer erlesenen Sängerriege – einer Besetzung, nach der sich selbst die Wiener Staatsoper die Finger lecken würde – geriet diese Aufführung am Konzerthaus Dortmund zur exemplarischen Sternstunde in der Rezeptionsgeschichte des Schaffens von Richard Strauss. (Aufführung am 20.2.2020)

 

Stephen Gould führt seit über einem Jahrzehnt die Spitzenklasse der Heldentenöre an und überzeugte als Kaiser dank versierter Gesangstechnik und voluminöser, dunkel gefärbter Stimme. Ihm zur Seite – die eigentliche Titelfigur der Oper, die Frau ohne Schatten – debütierte Elza van den Heever als Kaiserin. Auf die Gefahr hin, es mit den Superlativen ihrer stimmlichen Darbietung zu übertreiben, aber Elza van den Heever setzte an diesem Abend gänzlich neue Maßstäbe als Kaiserin: Sie meisterte ihre Partie mit schallend, silbrig-perlender Sopranstimme und müheloser Artikulation geradezu bravourös. Solch eine vollumfänglich rollendeckende Darbietung hat es lange nicht gegeben!

Konzerthaus Dortmund/Frau ohne Schatten/Foto @ Petra Coddington

Lise Lindstrom zeichnete mit markanter, fester und für diese Rolle angenehm strahlend-schillernder, dramatischen Stimme eine energische Färberin. Michael Volle als Färber Barak deklamierte in schauspielerischer Intensität jede Silbe in eigener Klangfarbe. Seine im Sprechgesang vorgetragenen Wutausbrüche als auch das beruhigende „Fürchte Dich nicht“ suchten ihresgleichen.

In der Rolle der Amme trat die extravagante, in farbenprächtigem Gewand gekleidete Michaela Schuster auf. Als Mezzosopranistin mit unerbittlicher Intensität ist sie die Idealdarstellung der Amme durch und durch. Die jedem Wort einer eigenen Mimik gebende Sängerdarstellerin bedurfte keinem Kostüm um vollends in ihrer Partie aufzugehen. Ihre eindringliches und markerschütterndes „Übermächte sind im Spiel“ sorgte schon nach dem 2. Akt für spontane stehende Ovationen.

Konzerthaus Dortmund/Frau ohne Schatten/ Foto @ Petra Coddington

Der noch junge Music Director der Metropolitan Opera in New York City, Yannick Nézet-Séguin, kehrte als ehemaliger Chefdirigent des Philharmonischen Orchester Rotterdam für diese Konzertserie zurück ans Pult nach Europa und leitete in Rotterdam und Paris weitere konzertante Aufführungen der Frau ohne Schatten. Yannick Nézet-Séguin präsentierte sich als geborener Operndirigent: Er zeigte keinerlei Allüren, schmachtete nicht im Wohlklang, sondern stellte sich vollends in die Dramatik der fesselnden Partitur und wusste seine Musiker als auch seine Sängerinnen und Sänger durch sämtliche Emotionen zu führen. Mit kirchenmusikalischem, äußerst homogenem Klang ertönte dazu der Rotterdam Symphony Chorus mit Unterstützung des WDR Kinderchor Dortmund. Das Rotterdam Philharmonic Orchestra steht international etwas im Schatten des benachbarten, weitaus renommierteren Concertgebouw-Orchesters, musizierte jedoch an diesem Abend auf durchweg höchstem musikalischem Niveau.

Konzerthaus Dortmund/Frau ohne Schatten/Foto @ Petra Coddington

In der letzten Spielzeit 2018/19 führte das hr-Sinfonieorchester ebenfalls konzertant im Konzerthaus Dortmund Richard Strauss brutalen Einakter „Elektra“ auf. Es bleibt spannend, wie das Konzerthaus seinen Strauss-Zyklus in der nächsten Spielzeit fortsetzen wird.

 

Diese Frau ohne Schatten wird dort jedenfalls so schnell nicht in Vergessenheit geraten!

 

  • Rezension von Phillip Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Konzerthaus Dortmund
  • Titelfoto: Konzerthaus Dortmund/Frau ohne Schatten/Foto @ Petra Coddington 

 

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