Beseelte Aufführung der „Meistersinger von Nürnberg“ mit Starbesetzung in Dresden

Semperoper/Meistersinger/Klaus Florian Vogt (Walther von Stolzing), Sebastian Kohlhepp (David)/Foto @Ludwig Olah

Christian Thielemann hat als GMD der Dresdner Semperoper und künstlerischer Leiter der Salzburger Osterfestspiele in einer Koproduktion mit zwei japanischen Opernhäusern eine Produktion der „Meistersinger von Nürnberg“ in der Regie des Nürnberger Intendanten Jens Daniel Herzog vorgelegt, die musikalisch keine Wünsche offen lässt und die kühnsten Erwartungen erfüllt. Die Staatskapelle Dresden, der Dresdner Opernchor und das große Ensemble hochkarätiger Sänger, die in liebevoll auskomponierten Portraits sympathische, aber auch skurrile Menschen darstellen, agieren auch schauspielerisch auf allerhöchstem Niveau. Besonders hervorzuheben ist die Choreographie von Ramses Sigl, die die Chorszenen strukturiert und die Körpersprache der Sänger akzentuiert. Paradebeispiel ist die Prügelszene im 2. Akt, bei der die Massenschlägerei und der persönliche Kampf zwischen Beckmesser und David wie in einem Italo-Western inszeniert sind. (Besuchte Vorstellung v. 16.2.2020)  

 

Thielemanns Dirigat vermeidet jeglichen Pomp und Pathos, seine Tempi sind eher gemessen, wodurch er auch die Nebenthemen ausarbeiten kann, und er betont mit Ritardandi und langen Generalpausen die großen Schlüsselszenen der Oper. Auf diese Weise erzeugt er eine ungeheure Spannung. Die Musik steht in dieser Produktion eindeutig im Vordergrund, ihr ordnet sich alles andere unter. Hier steht ein Dirigent auf dem Zenit seiner Karriere, der als absoluter Wagner-Experte weltweit gilt.

Die lange Generalpause vor der großen Chorszene: „Wachet auf“, erzeugt Gänsehaut, und zum Quintett im 3. Akt: „Selig wie die Sonne“ wird die Handlung einfach angehalten. Eva, Stolzing, Magdalene, David und Sachs stehen mit Einzelspots ausgeleuchtet in einer Reihe vorne auf der Bühne und zelebrieren einen der magischsten Momente der Opernliteratur.

Der Nürnberger Intendant Jens Daniel Herzog liefert eine intelligente Inszenierung, die die kritischen Stellen des Librettos entschärft, indem er zum Kunstgriff des Theaters im Theater greift.

Semperoper/Meistersinger/Sächsischer Staatsopernchor Dresden/Foto @ Ludwig Olah

Die Oper beginnt mit dem Choral in der historischen Nürnberger Katharinenkirche; der Kontakt von Eva und Stolzing findet vor der Bühne statt. Sachs inszeniert die Meistersinger, er ist Intendant, Regisseur und Hauptdarsteller in einer Person. In Jeans und blauem Hemd ordnet er den mittelalterlich gekleideten Chor.

Klaus Florian Vogt als Stolzing kann wohl als Idealbesetzung gelten, er hat die Partie auch in Bayreuth in der Inszenierung von Barrie Kosky gesungen. Ich habe ihn schon vor 10 Jahren in Köln erlebt, sein vibratoarmer heller Tenor ist strahlend schön und gut geführt, seine physische Erscheinung ist für die Rolle ideal. Er macht immer noch bella Figura als jugendlicher Liebhaber.

Semperoper/Meistersinger/Sebastian Kohlhepp (David), Christa Mayer (Magdalene), Sächsischer Staatsopernchor Dresden/Foto @Ludwig Olah

Eva, Magdalene und David tragen normale Alltagskleidung, David als Regieassistent schwarz. Er erläutert Stolzing die Regeln der Tabulatur, da treten die Meistersinger ein – Herren im besten Alter in sommerlichen Maßanzügen, die für Freunde und Sponsoren der Oper stehen, die selbstverständlich die Deutungshoheit über „Kunst“ für sich beanspruchen und in einer Preview einen Einblick in die Inszenierung erhalten.

Vitalij Kowaljew als Pogner mit prachtvollem tiefem Bass lobt seine Tochter Eva als Preis für den besten Meistersinger aus. Sachs wagt einen Einwand, der aber weggefegt wird, und der Wunschkandidat Stolzing kann seine Kunst zeigen. Das Vorsingen findet auf der Bühne statt, Beckmesser tönt hinter dem Vorhang: „Versungen und vertan!“, und die anderen Meister verreißen in großem Unverständnis Stolzings Lied.

Dabei ist dieses Lied unerhört melodieschön, es passt nur nicht in die starren Kategorien und Hörgewohnheiten der Meistersinger. Wagner arbeitet sich hier ab an den unflexiblen Regeln der französischen „Grand Opéra“, die auch seinen „Tannhäuser“ in Paris scheitern ließen.
Der Akt endet mit großem Tumult, Pogner hat das Glück seiner Tochter verspielt, alle sind ratlos.

Sachs mit einem Bass zu besetzen scheint Philosophie des Hauses zu sein, es hat den Vorteil, dass sich die Stimmen von Sachs und Beckmesser, die ja viel zusammen singen, besser voneinander unterscheiden lassen. Auch das Quintett im 3. Akt gewinnt dadurch buchstäblich mehr Tiefe.

Semperoper/Meistersinger/Georg Zeppenfeld (Hans Sachs), Klaus Florian Vogt (Walther von Stolzing)/Foto @Ludwig Olah

Georg Zeppenfeld hat in Bayreuth die schweren Basspartien Hunding und Gurnemanz gesungen, er nimmt die Herausforderung durch die Rolle des Sachs mit Bravour. Mit sattem Bassfundament und unangestrengten Höhen mit exzellenter Textverständlichkeit gibt er den souveränen Spielmacher. Sein „Flieder“-Monolog ist eine differenzierte Auseinandersetzung mit Stolzings Auftrittslied, das natürlich für Wagners Oevre steht.

Adrian Eröd ist ein Beckmesser, der den drögen Intellektuellen und Bürokraten, der auf seine alten Tage – auch aus finanziellen Gründen – um eine junge vermögende Frau wirbt, mit sichtbarem Vergnügen spielt. Mit wunderschönem Kavaliersbariton singt er Beckmessers schräge Musik zum dadaistischen Text, wobei ihm sein schauspielerisches Talent zu Gute kommt, mit einem Augenzwinkern.

Während Kosky in Bayreuth wagte, Beckmesser als alter Ego des jüdischen Dirigenten Hermann Levi auftreten zu lassen, der in der Prügelfuge zum Popanz der Judenkarrikatur wie im „Stürmer“ aufgeblasen wird, ist Beckmesser hier einfach nur die Verkörperung des Kritikers Eduard Hanslick, den Wagner von Herzen verabscheute.

Er besteht auf der Einhaltung der Regeln, ist aber selbst nicht in der Lage, zum Gedicht Stolzings, das Sachs in seine Hände spielt, eine zündende Melodie zu komponieren, weil ihm echte Gefühle für Eva völlig abgehen. Was Beckmesser zu Stolzings Gedicht liefert ist kläglich und verstößt gegen alle intuitiven Regeln der Ästhetik. Zu Recht wird er vom Volk auf der Festwiese ausgelacht und gedemütigt.

Semperoper/Meistersinger/Adrian Eröd (Sixtus Beckmesser), Vitalij Kowaljow (Veit Pogner), Komparserie/Foto @Ludwig Olah

Damit ist der Federfuchser bloßgestellt und Stolzing kann mit dem von Sachs gecoachten Preislied das Volk von seiner Meisterschaft überzeugen.

Sebastian Kohlhepp als David ist eine wahre Entdeckung. Mit eher dunklerem Timbre als Stolzing ist er der Mann fürs Grobe, dem man abnimmt, dass er auch Schuhe besohlen kann. Er verkörpert mit Magdalene die jungen Leute, die sich die Regeln der Älteren aneignen und sich unreflektiert anpassen. Sein: „Mein Herr, der Singer Meisterschlag“, die Erklärung der Tabulatur, erinnert an den Vortrag eines strebsamen Studenten.

Kammersängerin Christa Mayer als Magdalene mit ihrem warmen Mezzosopran ist eine kongeniale Partnerin. Ihr Blick, als sie sieht, wie ihr David mit einer Ballettratte tanzt, lässt ahnen, dass diese Ehe nicht unproblematisch sein wird.

Sara Jakubiak als Eva mit ihrem leuchtenden jugendlichen lyrisch-dramatischen Sopran steht ihr nicht nach. Ihre Darstellung der jungen Frau, die sich Hals über Kopf in den jungen Ritter verliebt und den väterlichen Freund für den jungen Ritter aufgibt, aber durchaus in Erwägung zieht, erst mal Sachs zu heiraten, ist auch schauspielerisch eine Augenweide.

Zentrale Fragen der Oper sind: „Was ist Kunst?“, und: „Wer definiert, was Kunst ist?“

Die Festwiesen-Szene gibt hierzu die Antwort: Das Volk hat mit zu entscheiden! Die Meistersinger stehen für das Bürgertum, das sich von der höfischen gekünstelten Kunst und vom „welschen Tand“ abwendet und nach eigenen Kriterien wetteifert.

Hans Sachs, dessen historisches Vorbild etwa 4000 Gassenhauer verfasst haben soll, verkörpert dabei ein „alter Ego“ Richard Wagners. Herzogs Ansatz, ihn zum Regisseur der Oper zu machen, trifft den Kern, denn Sachs ist sofort von Stolzings Gesang gerührt: „dem Vogel, der dort sang, dem war der Schnabel hold gewachsen, macht´ er die Meister bang, sehr wohl gefiel er doch Hans Sachsen“, und er entwickelt die perfekte Strategie, die Situation zu retten und Eva und Stolzing zusammen zu bringen. Leider wird er am Ende selbst düpiert, denn Stolzing und Eva pfeifen auf die Meisterwürde. Der Schlussmonolog „Verachtet mir die Meister nicht…“ des Sachs muss aus der Entstehungszeit heraus gesehen werden. Als Wagner diese Oper schrieb versuchte Bismarck gerade, das 2. Deutsche Reich aus unzähligen Kleinstaaten zu gründen, und Wagner selbst empfand sich als deutschen Komponisten, der seine Stoffe ausnahmslos aus den mittelalterlichen deutschen Sagen und Mythen bezog. Die Idee zur Gründung des 2. Deutschen Reichs ging vom Bürgertum aus und scheiterte lange am Widerstand der deutschen Fürsten, die ihre Souveränität nicht aufgeben wollten. Das erklärt, warum Sachs in seinem Schluss-Monolog gegen die Fürsten und gegen „welschen Tand“ wettert.

Die Reichsgründung am 18. Januar 1871 durch die Ernennung des preußischen Königs Wilhelm I. zum deutschen Kaiser in Versailles war nur dadurch möglich, dass die Preußen mit Unterstützung der anderen deutschen Staaten die Franzosen, die Preußen den Krieg erklärt hatten, besiegt haben.

Semperoper/Meistersinger/Ensemble der Semperoper Dresden, Sächsischer Staatsopernchor Dresden, Komparserie/Foto @ Ludwig Olah

Das Bühnenbild von Matthias Neidhard ist besonders aufwändig und anspruchsvoll. Neben den Opernzenarios Katharinenkirche, Singschule, Marktplatz, Schusterstube und Festwiese auf der Drehbühne mit mittelalterlichen Kostümen(Sibylle Gädicke) gibt es auch noch das Intendantenbüro mit der Besetzungscouch und die Bühne vor der Opernbühne mit nachgebautem Proszenium der Semperoper, in dem die Meistersinger agieren.

Dass der Opernchor unter der Leitung von Jan Hoffmann die Chorszenen perfekt gestaltete, konnte erwartet werden, obwohl durch die Vorbühne für den Chor vergleichsweise wenig Platz war. Dass die übrigen Meistersinger Iurie Ciobanu als Kunz Vogelgesang, Günter Haumer als Konrad Nachtigall, Markus Miesenberger als Balthasar Zorn, Patrick Vogel als Ulrich Eißlinger, Beomjin Kim als Augustin Moser, Rupert Grössinger als Hermann Ortel, Christian Hübner als Hans Schwarz, Roman Astakhov als Hans Foltz und Oliver Zwarg als Fritz Kothner subtile Karrikaturen deutscher Vereinsrituale liefern würden war klar, aber dass Jens Daniel Herzog dem Publikum den Spiegel vorhalten würde, konnte man so nicht vorhersehen.

Christian Thielemann, Chef-Dirigent In Bayreuth, Salzburg und Dresden hat die Kooperation der Salzburger Festspiele mit der Semperoper und mit Japan eingefädelt. Das Werk hat große Tradition in Dresden, die Welt-Uraufführung war zwar am 21.6.1868 in der Hofoper München, aber schon am 21.1.1869 folgte das Sächsische Hoftheater Dresden mit bisher mehr als 500 Aufführungen in der jetzt achten Inszenierung. Gute Produktionen bleiben in Dresden lange auf dem Spielplan, die „Fidelio“-inszenierung von Mielitz hatte 1989 Premiere.

Wer die „Meistersinger“ demnächst sehen will sollte sich entscheiden. Es gibt auch achtbare Inszenierungen an weniger renommierten Häusern, bei denen man aber deutliche Abstriche machen muss. Bayreuth hat die spannendere Inszenierung, die die gesamte Rezeptionsgeschichte der Oper aufgreift, und bei der Sachs als Verkörperung Richard Wagners sich am Schluss vor dem Nürnberger Tribunal rechtfertigen muss. Die Dresdener Inszenierung ist im Rahmen des Konzepts des Theaters im Theater absolut werkgetreu und vermeidet jegliche Überfrachtung. Sie ist auch für Zuschauer verständlich, die das Werk noch nie gesehen haben.

Im restlos ausverkauften Haus will der Applaus für die Künstler nicht enden, die Inszenierung gibt Anstöße zu regen Diskussionen, zumal die geplante Preisvergabe durch das Ballkomitee beim Opernball am 7. Februar 2020 zu einem veritablen Skandal geführt hat, von dem sich die Semperoper als Veranstalter nur mit Mühe distanzieren konnte.

 

Trailer der Semperoper 

Thielemann zum „Making of“ 

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / RED. DAS OPERNMAGAZIN
  • Semperoper / Stückeseite
  • Titelfoto: Semperoper/Meistersinger/Ensemble der Semperoper Dresden, Sächsischer Staatsopernchor Dresden, Komparserie/Foto @ Ludwig Olah
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