Nach dem neuen Ring-Zyklus in der Regie von Stefan Herheim sollte die Wiederaufnahme von Richard Wagners „Parsifal“ der absolute Spielzeithöhepunkt der Deutschen Oper Berlin werden. Denn in diesem Frühjahr wollte Anja Harteros an jenem Haus in der Bismarckstraße in der Partie der Kundry debütieren. Sie steht als Weltklassesängerin auf dem Gipfel ihrer Karriere und verfügt über eine einzigartige, gleichwohl sensible Stimme. Für sie stehen Kompromisse außer Frage, nur in bester Verfassung tritt sie auf die Bühne. Und doch hat es nicht sollen sein: Ohne Angabe von Gründen – ob es die hohen Corona-Inzidenzen gewesen sind oder ob sie sich doch nicht mit der Partie identifizieren konnte, ist nicht bekannt – hat Anja Harteros wieder einmal abgesagt. Glücklicherweise fand die Deutsche Oper Berlin mit Marina Prudenskaya, welche die Rolle der Kundry demnächst an der Opéra national de Paris verkörpern wird, eine würdige Einspringerin. Prudenskaya vermochte zwar nicht den reinen Toren Parsifal zu verlocken, das Publikum konnte sie mit ihrem lasziven Gesang jedoch mühelos verführen. Prudenskayas farbenreiche Stimme verfügt über die umfangreichen, für die Partie der Kundry so elementar notwendigen Register. Während die Mezzosopranistin in der Tiefe cremig und düster klang, konnte sie in der Höhe manch‘ Spitzenton gar mit einem kleinen Triller versehen. (Rezension der Vorstellung v. 27.03.2022)
Ihr gegenüber gab Thomas Blondelle sein Rollendebüt in der Titelpartie des „Parsifal“. Der Charaktertenor setzte erst kürzlich als Loge im „Rheingold“ an der Deutschen Oper Berlin neue Maßstäbe; Parsifal ist nun seine bislang umfangreichste Rolle. Der belgische Sänger brachte den notwendigen Intellekt für die Partie mit, so dass sein Ausflug ins Fach der Heldentenöre als vollends beglückend zu bewerten war. Blondelle ging mit seinem Rollenporträt eine Wandlung durch und stellte von anfänglicher Naivität, über Trauer, Wut und zuletzt auch in Würde und Stolz sämtliche Facetten des Toren auch in Mimik und Gestik dar. Seine Stimme klang dabei stets hell und hoffen, zugleich fest und eindringlich, ohne an ihre Grenzen zu stoßen. Blondelle arbeitete in einer Mustergültigkeit mit den Worten der Dichtung Wagners, wie es heutzutage viel zu selten auf der Opernbühne zu erleben ist.
Als erfahrener Wagner-Bass mit unübertrefflicher Bühnenpräsenz konnte Stephen Milling für die Rolle des Gurnemanz gewonnen werden. Er machte sich in ungeheurem Klangvolumen und einer einschlägigen Tiefe die Partie sogleich zu eigen. Obgleich sich Milling zwar deutlich artikulierte, blieb seine Phrasierung insbesondere in Rhythmik und Pausensetzung bedauerlicherweise äußert nachlässig und ungenau. Dadurch wurde der zunächst positive Gesamteindruck seiner Rollendarstellung doch leicht geschmälert.
Mit dem Wagner-Erfahrenen Axel Kober stand ein immer wieder gerne gesehener (und anzuhörender) Gastdirigent im Graben der Deutschen Oper. Mit festen, nicht überhitzten Tempi führte er sicher und versiert durch die Partitur. Unter seiner Leitung erklang ein ausbalancierter, wohltuender Mischklang. Während Kober es aus dem Graben musikalisch aufregend werden ließ, enttäuschte die szenische Arbeit des Regisseurs Philipp Stölzl auf der Bühne in ganzer Linie. Seine im Parsifal groß angelegte Pappmaché-Passion mag vielleicht an der Metropolitan Oper Anklang finden – in Berlin aber, dem Zentrum progressivster Regiekultur in Theater und Oper – ist das einfach nur peinlich! Stölzl hat anderswo großartige Regie-Arbeiten verantwortet. Warum hat er sein Berliner Publikum, welches jahrzehntelang von Kupfer, Neuenfels, Kosky und natürlich Götz Friedrich szenisch herausgefordert wurde, diesmal derart unterschätzt?
In seiner Inszenierung erzählt Stölzl im Stile eines Bibelschinken und mit Ausstattung eines Sandalenfilms der 1950er Jahre das Leid und Leben von Jesu Christi. Dabei bleiben all die Zweideutigkeiten und Ambivalenzen des Librettos – das ja zu keiner Zeile ausspricht, ob es sich bei dem Erlöser tatsächlich um Jesus Christus handelt – auf der Strecke. Auf der Bühne wird ganz plakativ eine Wunde des Speers gezeigt, der Gral ohne Lichteffekte enthüllt und Jesus ans Kreuz geschlagen. Statisten und Chor gestikulieren dazu bedeutungsschwanger. Eben durch diese aufdringliche und oberflächliche Wort-für-Wort Deutung gemäß der Erzählung von Gurnemanz verliert das Werk an Relevanz! Der Reiz an Wagners „Parsifal“ liegt doch gerade in seiner Ambiguität und der Synthese von Religionen mit Merkmalen christlicher als auch buddhistischer Liturgie. Dieses Wörtlich-Nehmen der Dichtung schadet mehr als jede moderne Interpretation, denn die Mystik von Wagners Bühnenweihfestspiel erscheint in dieser Deutlichkeit plötzlich so banal und aussagelos: Das Publikum betrachtet die Szenerie und wundert sich, ob die Legende um die Gralsritter und den verlorenen Speer wirklich so simpel gewesen sein muss? Man erwartet in jedem Akt irgendeinen szenischen Cliff-Hänger oder Plot-Twist des Regisseurs, hat Stölzl doch noch etwas zu Wagners Musikdrama zu sagen? Aber es kommt nichts mehr – dieser drittklassige Monty Python-Verschnitt meint es absolut ernst! Welch Wunder, dass der Opernchor nicht in „Always Look on the Bright Side of Life“ einstimmt – bei Philipp Stölzls Regie wünscht man sich doch wahrlich „Erlösung dem Erlöser“, hoffentlich durch eine baldige Neuinszenierung!
- Rezension von Phillip Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Deutsche Oper Berlin / Stückeseite
- Titelfoto: Deutsche Oper Berlin/PARSIFAL/Foto: Bettina Stöß
Da ist schon alles gesagt worden, und alles in der Rezension stimm! Wenn man böswillig sein möchte – was ich aber nicht beabsichtige – denn dir Schauspieler und Choristen würden mir leid tun, könnte ich noch Star Wars in die Reihe der Banalitäten hinzufügen („Schlafen, schlafen… ich muss“)!
Auch die sich fast nur in horizontaler Position, zu den Füssen der „Heroen“ windende Kundry beraubt die Frau jeglicher Würde!
Lasst doch das Banale die Musik hervortreten, dann kann man endlich wieder das Musikalische genießen und sich nicht von dummen Einfällen ablenken lassen