„L’Orfeo“ in Salzburg: eine historische Beziehung zwischen der Oper und der Stadt

Salzburg/L’Orfeo 2023 · Schlussapplaus: Ensemble/Foto: © SF/Marco Borrelli

Am 28. Mai 2023 im Rahmen der Salzburger Pfingstfestspiele hatte ich das Glück, zum zweiten Mal innerhalb eines Monats eine Aufführung von L’Orfeo, Claudio Monteverdis fünfaktige favola in musica mit einem Libretto von Alessandro Striggio, zu erleben. Die vorherige Inszenierung, die ich rezensiert habe, wurde am 8. Mai 2023 in der Semperoper Dresden veranstaltet. Tatsächlich fand die erste Aufführung dieser Oper außerhalb Italiens am 10. Februar 1614 im Carabinierisaal der Fürsterzbischöflichen Residenz zu Salzburg statt, und zwar nur sieben Jahre nach der Erstaufführung am 24. Februar 1607 im Palazzo Ducale in Mantua.

 

So sehr ich die Aufführung in Dresden genossen habe, war die im Haus für Mozart in Salzburg musikalisch und visuell noch beeindruckender. Unter der Leitung von Gianluca Capuano haben die historisch informierten Il Canto di Orfeo und Les Musiciens du Prince – Monaco elegant, mit instrumentaler Vielfalt und Farbe gespielt. Capuano hat die Sänger und Musiker in einem Maße präsent und lebendig erscheinen lassen, so dass die Musik ihre optimale Wirkung entfaltete und auch nach der Aufführung im Gedächtnis blieb.

Salzburger Festspiele /L’Orfeo 2023: Marionetten des Marionettenensembles Carlo Colla & Figli/Foto © OMC/Marco Borrell

Eine weitere Besonderheit dieser Aufführung war das Marionettenensemble Carlo Colla & Figli aus Mailand, das die Gefühle der einzelnen Figuren und die Beziehungen zwischen ihnen hervorragend darstellten. Schon nach wenigen Minuten der Inszenierung von Franco Citteri und Giovanni Schiavolin war man so in die Geschichte hineingezogen, dass die Puppen wie echte Schauspieler wirkten. Die Bühne und das Licht von Franco Citterio und die Kostüme von Cecilia Di Marco and Maria Grazia Citterio vermittelten den Eindruck, einer Renaissance-Interpretation der antiken griechischen Mythologie. Der Chor und die Sängerbesetzung befanden sich zusammen mit den Musikern im Orchestergraben, so dass sie zwar nicht völlig unsichtbar waren, aber auch nicht die Inszenierung mit den Puppen störten.

La Musica und Euridice, verkörpert von Carlotta Colombo, deuteten die bevorstehende Tragödie und die tiefste Liebe an. Colombo brachte alle Nuancen der beiden relativ kurzen Gesangsrollen zum Ausdruck. La Musica war ominös; Euridice war freudig vor ihrer geplanten Hochzeit mit Orfeo und verzweifelt, als er persönlicher Schwäche nachgibt und sich Plutos Befehl widersetzt, sie nicht anzusehen, bevor sie die Unterwelt verließen.

Renato Dolcini /Foto
© Philippe_Delval

Der Bassbariton Renato Dolcini war ein kraftvoller Orfeo, der echten Mut in seiner Entschlossenheit zeigte, Euridice, die Liebe seines Lebens, zurückzugewinnen. Orfeo trotzt den Gesetzen der Natur, einschließlich des Todes selbst, um Euridice zu retten. Dolcini bringt alle Aspekte des Charakters zur Geltung: den Jubel vor der bevorstehenden Trauung mit Euridice, die Trauer, als Orfeo von ihrem Tod erfährt, die Entschlossenheit, als er sich auf die Suche nach ihr in die Unterwelt begibt, das außergewöhnliche Gesangstalent, das ihm Zugang zu einem Bereich verschafft, der den Lebenden verboten ist, und den tiefsten Liebeskummer, als er Euridice für immer verliert. Monteverdi ließ den Sängern große Freiheit bei der Interpretation dieser umfangreichen Rolle. Dolcini verkörperte einen Orfeo, der die allgemeine Botschaft des Heldentums in den Vordergrund stellte.

Als La Messaggera und La Speranza setzte Sara Mingardo ihre Altstimme ein, um Mitgefühl für die traurige Nachricht zu vermitteln, die sie überbringen musste. Mingardo machte vor allem La Messaggera zu einer interessanten Figur, die über das bloße Überbringen schlechter Nachrichten hinaus zu einem Teil der Handlung wurde. Der Bass Salvo Vitale war ein furchterregender Caronte, der sein Bestes tat, um Orfeo daran zu hindern, den Fluss in das Reich der Toten zu überqueren. Caronte konnte nicht anders, als dem Gesang Orfeos zu erliegen (indem er einschlief, eine satirische Taktik von Monteverdi und Striggio?).

Der Bariton Marco Saccardin war ein strenger Plutone, der Orfeo verbot, Euridice anzusehen, bevor er die Unterwelt verließ, und damit den Grundstein für die unvermeidliche Tragödie legte, die dann folgte. Außerdem sang Saccardin die Rollen von Pastore IV, Eco und Spirito III. Apollo, gesungen von Tenor Massimo Altieri, entpuppt sich als mitfühlender Vater, der Orfeo in seinem unendlichen Liebeskummer nach dem ewigen Verlust von Euridice tröstet, indem er ihn in den Himmel ins Reich der Unsterblichen aufnimmt. Altieri sang auch die Rollen von Pastore I und Spirito I.

Die kleinen Rollen wurden wie folgt besetzt: Elena Carzaniga (Proserpina), Francesca Cassinari (Ninfa), Massimo Lombardi (Pastore II und Spirito II) und Jacopo Facchini (Pastore III). Einer der vielen Vorzüge dieser Sängerbesetzung ist, dass sie alle Spezialisten für Alte Musik sind und Monteverdis Idiom beherrschen. Hilfreich ist auch, dass sie ausnahmslos italienische Muttersprachler sind, was es ihnen ermöglicht, den Text klar und leicht verständlich zu artikulieren.

 

  • Rezension von Dr. Daniel Floyd / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Salzburger Festspiele / Stückeseite
  • Titelfoto: Salzburger Festspiele /L’Orfeo 2023: Marionetten des Marionettenensembles Carlo Colla & Figli/Foto © OMC/Marco Borrell
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