
© Semperoper Dresden/Ludwig Olah
L’Orfeo, eine fünfaktige Favola in musica von Claudio Monteverdi, wurde am 24. Februar 1607 im Palazzo Ducale in Mantua uraufgeführt. Das Libretto von Alessandro Striggio basiert auf der griechischen Legende und erzählt von Orpheus’ Abstieg in den Hades und dem Versuch, seine Braut Eurydike in die Welt der Lebenden zurückzubringen. Die Handlung spielt auf den thrakischen Feldern (1., 2. und 5. Akt) und in der Unterwelt (3. und 4. Akt). Als Monteverdi die Partitur 1609 bei Ricciardo Amadino in Venedig veröffentlichen ließ, forderte er ein Orchester mit 41 Instrumenten, ohne jedoch deren genaue Verwendung zu nennen, was bedeutet, dass jede Aufführung des Werks einzigartig ist, weil die Mitwirkenden eine Rolle im kreativen Prozess spielen müssen. (Rezension der Vorstellung vom 08. Mai 2023)
Die Inszenierung von Nikolaus Habjan an der Semperoper Dresden am 8. Mai 2023, dessen Premiere ursprünglich für März 2021 geplant war, zeigte die erstaunliche Aktualität Monteverdis frühbarocker Oper. Das Bühnenbild von Jakob Brossmann und die Kostüme von Cedric Mpaka erinnerten ein wenig an den Pseudobarock, waren aber nicht so opulent wie in der klassischen Produktion des Opernhauses Zürich aus dem Jahr 1977 von Jean-Pierre Ponnelle. Das Konzept des Regisseurs basiert nicht auf Realismus, sondern auf der Wahrhaftigkeit der Gefühle der einzelnen Charaktere und ihrer Interaktionen untereinander. Der Einsatz von Puppen, Beleuchtung und ausdrucksstarkes Schauspiel hauchte dieser 416 Jahre alten Oper neues Leben ein.
Der Auftritt von La Musica, verkörpert von Alice Rossi, hat am Anfang der Oper hohe Erwartungen an die Vorstellung geweckt. Rossi konnte nicht nur die tragische einleitende Botschaft stimmlich ausdrücken, sie hat auch diese ansonsten kleine Rolle zu einer interessanten Figur erhoben, die ein wesentlicher Bestandteil der Geschichte ist. Rossi hat auch den kurzen Auftritt von Eco im fünften Akt übernommen und somit Orfeo in seiner Verzweiflung getröstet.

Rolando Villazón stellte einen äußerst emotionalen Orfeo dar, von Verzückung während der vorehelichen Feierlichkeiten im ersten Akt bis zur Erschütterung von Eurydikes Tod. Villazón betonte Orfeos intensive Liebe zu Eurydike und seine Entschlossenheit, sie zurückzugewinnen. Orfeos Streben nach dem Unmöglichen wurde durch Villazóns Interpretation deutlich veranschaulicht. Gleichzeitig zeigte Villazón auf kluge Weise, dass Orfeo mehr ist als nur ein verzweifelter Liebhaber, sondern ein würdevoller Mann, der alles tun würde, um die Liebe seines Lebens nicht endgültig zu verlieren. Daher ist Orfeos Unfähigkeit, Plutones Gebot zu befolgen, Eurydike nicht anzusehen, bevor er die Unterwelt verlässt, besonders bewegend und tragisch. All diese Qualitäten werden durch Villazóns reiche, dunkle Tenorstimme unterstrichen, die dem Orfeo ein Gefühl von Reife und Erfahrung verlieh.
Als Orfeos geliebte Eurydike war Anastasiya Taratorkina stimmlich und schauspielerisch so überzeugend, dass ich mir wünschte, Monteverdi hätte der Figur eine größere Gesangsrolle gegeben. Eurydikes Gesangspart ist viel kleiner als der von Orfeo. Taratorkina macht das Beste aus dieser Rolle, indem sie der Figur so viel emotionale Tiefe verleiht, wie es der Text nur zulässt, und so Orfeos überwältigenden Wunsch, sie zurückzubekommen, nachvollziehbar macht.

La Messaggiera (die Botin) von Štěpánka Pučálková bringt die tragische Nachricht von Eurydikes Tod, die Orfeos voreheliche Feierlichkeiten mit seinen Freunden unterbricht. Pučálkovás warmer Mezzosopran brachte Mitgefühl in eine kleine Rolle, die nüchtern wirken kann, wenn sie nicht mit der stimmlichen Ausdruckskraft vorgetragen wird, die sie ihr verleiht.
Die kurzen Auftritte der für die Entwicklung der Handlung wichtigen Figuren (La Speranza[die Hoffnung], gesungen vom Countertenor Eric Jurenas, Caronte, dargestellt vom Bass Bogdan Talos, Proserpina, gesungen von der Sopranistin Ute Selbig, und Plutone, gespielt vom Bass Tilmann Rönnebeck) wurden mit Engagement vorgetragen. Der Tenor Simeon Esper verkörperte einen mitfühlenden Apollo, der Orfeo nicht nur gottgleich in den Himmel erhob, sondern auch väterlich den Kummer seines Sohnes tröstete. Die kleinen Rollen wurden von Christiane Hossfeld (Ninfa), Justyna Ołów (1. Pastore), Aaron Pegram (2. Pastore und 1. Spirito), Joseph Dennis (3. Pastore und 2. Spirito) und Ilya Silchuk (4. Pastore und 3. Spirito) gesungen.
Unter der musikalischen Leitung von Wolfgang Katschner spielte das historische Instrumentenensemble die Lautten Compagney Berlin mit Leidenschaft und einem erfrischenden Improvisationsgeist. Obwohl klassische Themen in der Renaissance und im Barock oft christianisiert wurden, war die Entscheidung, L’Orfeo mit dem Eingangschor aus der Marienvesper (Vespro della Beata Virgine) zu beschließen, unglücklich, weil sie dem Publikum die Möglichkeit nahm, den Schluss in Monteverdis gedruckter Partitur zu hören. Die Parallele zwischen dem Gottvater (Apollo), der seinen Sohn (Orfeo) in den Himmel hebt, und dem Christentum liegt auf der Hand und erfordert nicht die Einfügung liturgischer Musik, um diesen Punkt zu verdeutlichen.
- Rezension von Dr. Daniel Floyd / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Semperoper / Stückeseite
- Titelfoto: Rolando Villazón (Orfeo), Ensemble, Sächsischer Staatsopernchor Dresden © Semperoper Dresden/Ludwig Olah
Ich hatte 2023 die wenigen Aufführungen von l’Orfeo leider verpasst. Ist diese Oper seitdem nicht mehr auf dem Spielplan gewesen? Was ist für 2025 zu hoffen?