Krieg der Geschlechter: „Der König Kandaules“ am Anhaltisches Theater Dessau

Anhalt. Theater Dessau/König Kandaules/KS Iordanka Derilova (Nyssia)/Foto © Claudia Heysel

„Die ganze Welt ist eine Bühne“, das wusste schon William Shakespeare. Wie selbst(ver)herrlich(end) und ohne Rücksicht auf die Gefühle des Einzelnen die Menschen auf dieser spielen zeigt das Anhaltische Theater Dessau in seiner Inszenierung von Alexander Zemlinskys „König Kandaules“. Regisseur Jakob Peters-Messer zeichnet eine Welt voller Selbstinszenierung und -darstellung, in der die einen mächtig sind und andere sich ermächtigen. (Besuchte Vorstellung am 6. Mai 2023)

 

Während die Welt an diesem Samstag auf einen anderen Monarchen blickt, sind die Reihen bei der letzten Vorstellung von „König Kandaules“ am ersten Mai-Wochenende licht besetzt. Weithin unbekannt ist die letzte Oper des gar nicht mehr so Unbekannten Alexander Zemlinsky. In den 1930er Jahren geschrieben und 1996 uraufgeführt, handelt sie von der antiken Geschichte des Fischers Gyges, der die Königin verführt, den König stürzt und so selbst zum Herrscher wird – alles dank eines geheimnisvollen Ringes, der ihn unsichtbar macht. Ein Stoff ganz für die Oper gemacht.

Wenig königlichen Glanz oder antike Pracht zeigt das Bühnenbild von Guido Petzold. Eine helle Bühne innerhalb der Bühne, Scheinwerfer, Filmrequisiten – so beginnt der „König Kandaules“. Wenig geschieht hier aus dem Selbst heraus, immer geht es um die Zurschaustellung des Ichs. Das Ego, nicht das Selbst, rückt Regisseur Peters-Messer in den Mittelpunkt der Inszenierung. Verschleierung ist dabei an der Tagesordnung: Tun die Männer es nur, in dem sie ihre eigenen Körper durch Kleidung, die eine optimierte Version ihres Körpers zeigt, verdecken, werden Frauen bist zur Entpersönlichung verhüllt. Hauteng aber schwarz bedeckt von Kopf bis Fuß, sind sie ein Objekt zwischen Begierde und Besitz. Das Leben der Frau zählt in dieser Welt nur, wenn sie ihrem Mann hörig ist. Nachdem Gyges von der Untreue seiner ersten Frau Trydo erfährt, bringt er sie vor den Augen des gesamten Hofstaates um. Immer wieder scheint in Zemlinskys Oper die Morbidität des Fin de Siècle durch, die Faszination von nackten Frauen und dem frühen Tod. Freud lässt grüßen und doch zeigt Peters-Messer wie zeitlos das Thema ist.

Anhalt. Theater Dessau/König Kandaules/KS Iordanka Derilova (Nyssia), Tilmann Unger (König Kandaules), Kay Stiefermann (Gyges)/Foto © Claudia Heysel

Teilen und Teilhabe, Macht und Ermächtigung, Großmut und Übermut – die Wechselwirkungen des menschlichen Seins stehen im Mittelpunkt der Inszenierung. König Kandaules kann sein Glück nur Genießen, wenn er es teilt. So entblößt er seine wunderschöne wie widerwillige Frau zunächst vor dem gesamten Hofstaat, ehe er seinen Kindheitsfreund Gyges, dank Ring unsichtbar, in das gemeinsame Schlafzimmer lädt. Der Beginn seines fatalen Endes. Der Regisseur erzählt von einer brutalen Männerwelt, einem archaischen Frauenbild, dem allmählichen Aufbruch der Konventionen und der Emanzipierung. Schließlich gibt er der Oper in seiner Inszenierung ein eigenes Ende, deutet sie um in gewaltvolle Machtübernahme. Der Beginn des Matriarchats. Fast wie Brecht’sches Theater mutet das bisweilen, es wird gesprochen, die vierte Wand durchbrochen. Nicht immer verbreitet sich so großer Bühnenzauber und doch bleiben die Zuschauer:innen bis ganz zum Schluss gebannt, auch wenn der hinzugefügte visuelle Schlussakkord – die Ermordung des Hofstaates durch die entschleierten Frauen – der Geschichte ein allzu definitives Ende setzt.

Das liegt nicht zuletzt auch an den expressive Klangfluten, die den Opernbesucher:innen entgegenschlagen. Am Pult der Anhaltischen Philharmonie Dessau steht an diesem Abend Peter Kuhn, bei der Premiere war es noch Generalmusikdirektor Markus L. Frank gewesen. Mit großer Intensität und bedacht auf die sachliche Struktur geleitet Kuhn das Orchester durch den Abend. Auch wenn man sich an der ein oder anderen Stelle feinere Steigerungen und Abstimmungen gewünscht hätte, um die psychologischen Qualitäten der Komposition feiner herauszuarbeiten, eine durchaus gelungene Aufführung.

Anhalt. Theater Dessau/König Kandaules/KS Iordanka Derilova (Nyssia), Kay Stiefermann (Gyges), Tilmann Unger (König Kandaules)/Foto © Claudia Heysel

Mehr als gelungen ist der Auftritt von Kay Stiefermann als Gyges. Mit warm-lyrischem Bariton sticht er aus dem Ensemble des Abends nicht nur gesanglich, sondern auch sprecherisch hervor. Selten hat man einen Opernsänger gehört, der Sprechtexte so beeindruckend vorbringen kann. Auch gesanglich glänzt er mit großer Wortdeutlichkeit. Mal herb, mal einfühlsam und stets eindringlich gestaltet Stiefermann seine Rolle. Ks. Iordanka Derilova als Königin Nyssa ist eine Frau, die ihr eigenes Schicksal in die Hand nimmt und vor allem im letzten Akt zu großer Stärke aufläuft. Mit großer Farb- und Strahlkraft gestaltet sie ihren Weg zur Selbstermächtigung. Tilmann Unger zeigt als König Kandaules große schauspielerische Durchsetzungskraft. Auch in den Nebenrollen ist das Stück stark besetzt, besondere Aufmerksamkeit dabei verdient Musa Duke Nkuna mit strahlendem Tenor als Syphax.

Auch wenn die Anzahl der Besucher:innen an diesem – und auch vielen vorherigen Aufführungstagen – Luft nach oben bietet, machen die Anwesenden am Ende ihre doch eher geringe Anzahl durch lautstarken und ausdauernden Jubel wett. So kommt es fast zum Unfall mit dem Bühnenvorhang, als sich die Sänger:innen ihren abermaligen Applaus abholen. „König Kandaules“ ist Oper, die einmal mehr Lust auf die Reise nach Dessau macht. Man kann nur hoffen, dass sich das Anhaltische Theater trotz aller Blicke auf die Auslastung auch weiterhin traut, Unbekanntes und selten Gespieltes auf den Spielplan zu setzen. Der Besuch lohnt immer wieder.

 

  • Rezension von Svenja Koch / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Anhaltisches Theater Dessau / Stückeseite
  • Titelfoto: Anhalt. Theater Dessau/König Kandaules/KS Iordanka Derilova (Nyssia), Kay Stiefermann (Gyges), Tilmann Unger (König Kandaules)/Foto © Claudia Heysel 

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