Händels „Giulio Cesare in Egitto“ in der Oper Köln gefeiert

Oper Köln/Giulio Cesare/Raffaele Pe (Giulio Cesare), Kathrin Zukowski (Cleopatra)/Foto © Karl & Monika Forster

Nicht enden wollte der Beifall bei der Premiere von Händels „Giulio Cesare in Egitto“, der vermutlich erfolgreichsten Barockoper aller Zeiten. Regisseur Vincent Boussard und sein Team fokussieren die Aufmerksamkeit auf die Stärken der Barockoper: charismatische Sängerpersönlichkeiten, perfekte Orchesterbegleitung und opulente Ausstattung. Das Publikum steigerte sich vom Szenenapplaus nach jeder Arie zu frenetischem Schlussapplaus.(Rezension der Premiere vom 6. Mai 2023)

 

 

Händels „Giulio Cesare in Egitto“ war der Höhepunkt seiner Erfolge als Direktor Royal Academy of Music für die Spielzeit 1723/24 des Londoner Theaters am Haymarket. Wieder entdeckt wurde die Heldenoper 1922 anlässlich der Göttinger Händel-Festspiele, als Oskar Hagen eine deutsche Fassung erarbeitete und den Cäsar mit einem Bariton besetzte. Die erste historisch informierte Aufführung leitete Nikolaus Harnoncourt bei den Wiener Festwochen mit dem Concentus Musicus im Theater an der Wien 1995. In Köln verwendet man moderne Streichinstrumente und transponiert nicht. Cäsar ist ein Countertenor, Tolomeo, Sesto und Nireno sind Hosenrollen, werden also von Frauen gesungen.

Musikalisch führt der Barockexperte Rubén Dubrowski das bestens disponierte durch Lauten und Theorben (Sören Leopold und Simon Linné) ergänzte Gürzenich-Orchester mit delikaten Lamenti, aber auch auftrumpfenden tänzerischen Passagen immer transparent und dem Gesang dienend durch Händels Partitur. Auch Sturm und wilder Seegang sind immer klar durchhörbar. Am Cembalo begleitete Fernando Aguado die Secco-Rezitaive, Solo-Violine (Natalie Chee) und Solo-Horn (Uwe Schrumpf) schmückten wundervolle Arien, die, genregerecht, stehend an der Rampe gesungen wurden.

Die von Boussard erdachte Rahmenhandlung – eine Theatertruppe aus der Entstehungszeit mit barocken Corsagen, Reifröcken und Gehröcken führt die Heldenoper um Cäsar und Cleopatra auf und zeigt Parallelen zur Gegenwart – regte zum Nachdenken an, denn politische Intrigen und Übergriffe und rassistische Vorurteile sind auch heute noch an der Tagesordnung.

Hier geht es um den Machtkampf um den ägyptischen Thron, der eigentlich von den Geschwistern Tolomeo und Cleopatra gemeinsam besetzt werden sollte. Cleopatra ist die ältere und intelligentere, während Tolomeo ein zügelloser und unberechenbarer Chaot ist, den sie vom Thron verdrängen will. Es geht ihr um politische Klugheit und ihren eigenen Ruhm, aber auch um geschwisterliche Rivalität.

Oper Köln /Giulio Cesare/Anna Lucia Richter (Sesto)/Foto © Karl & Monika Forster

Dramaturgisch genial beginnt die Oper mit einem Knalleffekt: der Überreichung des Kopfes des Pompeo, Cäsars unterlegenem Rivalen, durch Tolomeos ägyptischen Feldherrn Achilla an Cäsar. Pompeios Tod wird von Cornelia, seiner Witwe, und Sesto, seinem jungen Sohn, ausgiebig betrauert. Cäsar ist empört, denn er hat zwar Pompeio bis nach Ägypten verfolgt, wollte ihm aber Gnade gewähren. Tolomeos Idee, sich Cäsar beliebt zu machen, verkehrt sich also ins Gegenteil. Seine Schwester Cleopatra verbündet sich mit Cornelia und Sesto und bezirzt Cäsar in der überirdisch schönen Parnass-Szene, in der Händel erotische Verführung mit musikalischen Mitteln berückend beschreibt. Cäsar wird um Haaresbreite von Tolomeo umgebracht, kann sich jedoch durch einen Sprung ins Wasser retten, während man Cleopatra berichtet, Cäsar sei auf der Flucht ertrunken. Tolomeo lässt Cleopatra gefangen nehmen, aber Cäsar gelingt es, sie zu befreien. Tolomeo wird von Sesto beim Versuch, Cornelia sexuell zu bedrängen, überrascht und mit dem Schwert erstochen. Cäsar setzt Cleopatra als Königin Ägyptens ein und reist nach Rom zurück. Große Gefühle von Trauer, Liebe und Rache und eine detaillierte Charakterisierung der Personen durch Instrumentation und Gesangslinien zeichnet diese Oper Händels aus. In Boussards Inszenierung kommen dazu die phantastischen Kostüme von Christian Lacroix, die präzise die soziale Stellung der Protagonisten kennzeichnen. Die Ägypter werden in bunten Phantasiekostümen als Exoten dargestellt, während die Römer heutigen westlichen Kleidungskonventionen folgen. Ägypter tragen rote Mäntel, wilde Haare und bunten Federschmuck, Tolomeo zeigt seinen Phallus ganz ungeniert, es werden Klischees über „Wilde“ bedient.

Die Bühne von Frank Philipp Schlössmann ist mit verschiebbaren schwarzen Elementen sehr variabel. Sie wechselt häufig die Breite und kann auch in zwei getrennte Bühnen geteilt werden. Mit wenigen Requisiten wie einem rollbaren Sofa, einem Drehstuhl, vom Himmel regnenden Blumen und einem Floß deutet er Schauplätze an. Die Videopräsentation von Nicolas Hurrevent im Hintergrund mit ägyptischem Dekor wie Pyramiden und Ibissen zeigt Lokalkolorit, aber auch die optische Verstärkung großer Emotionen mit sturmbewegten Palmen, hohen Wogen und wehenden Wolken.

Regisseur Vincent Boussard besinnt sich mit seinem Regieteam auf Charakteristika der Barockoper: die sparsamen Kulissen werden geschoben, die Kostüme von Christian Lacroix sind prachtvoll, die acht Sängerinnen und Sänger sind virtuos und bilden auch den Coro. Jede Stimme ist charakteristisch für die Rolle, und es werden anstatt Countertenöre für Tolomeo und Nireno Frauen eingesetzt, weil es keine Kastraten mehr gibt und die Kopfstimme des Mannes in der Regel nicht so weit trägt wie eine Frauenstimme.

Unverkennbar charakterisiert Lacroix den römischen Feldherrn, Staatsmann und Autor Julius Cäsar mit einem kostbaren bodenlangen Kamelhaarmantel und seidenglänzender gleichfarbiger Stola über einem stilisierten goldfarbenen Brustschild, „heißer Kandidat für das eindrucksvollste Kostüm der Spielzeit“, wie Michael Kaminski in concerti schreibt.

Countertenor Rafaele Pe als Giulio Cesare zeigt eine erstaunliche Intensität der Gefühle und einen komplexen Charakter. Er hat als Hauptperson die meisten Arien, in denen er sowohl als autoritärer Herrscher, Staatsmann und Kriegsheld, als auch als Kunstkenner, Philosoph und entflammter Liebhaber gezeichnet wird. Sein Countertenor ist kraftvoll, ausdrucksstark und fokussiert. In den lyrischen Passagen zelebriert er delikate Piani, und seine Reflektionen sind geprägt von tiefem Verständnis. Das Kostüm strahlt Macht und Autorität aus.

Mit wunderschönen Lyrismen charakterisiert Publikumsliebling Katrin Zukowski die Liebhaberin Cleopatra alias Lidia. Mit unglaublich fokussierten exponierten Spitzentönen verkörpert sie die Entwicklung der jungen Prinzessin Cleopatra von der unschuldigen jungen Frau zur gewieften Machtpolitikerin, die bewusst die Waffen der Frau einsetzt. In den ausgeschmückten Wiederholungen ihrer Arien singt sie kristallklare, nie gehörte Spitzentöne. Besonders beeindruckend ihr kurzes Duett mit Tolomeo, in dem die Rivalität der Geschwister zum Ausdruck kommt. Die rationale Komponente Cleopatras drückt Kostümbildner Christian Lacroix durch einen strengen Herren-Zweireiher aus, die emotionale mit einem spitzenverzierten langen A-Linien-Kleid. Ihre Rolle wird gedoubelt von Silke Natho mit der gleichen schwarzen Bob-Perücke, die fast immer gleichzeitig mit ihr im jeweils anderen Kostüm auf der Bühne steht.

Oper Köln/Giulio Cesare/Sonia Prina (Tolomeo), Adriana Bastidas-Gamboa (Cornelia)/Foto © Karl & Monika Forster

Tolomeo, ungehobelter und chaotischer jugendlicher Machthaber und Frauen belästigender Rüpel, scheitert auf der ganzen Linie. Sein makabres Geschenk an Cäsar – der Kopf des Pompeio – verfehlt seine Wirkung. Mezzo Sonia Prina drückt in Tolomeos flegelhafter Körpersprache und seinen virtuosen abgehackten Gesangsfetzen aus, dass er egozentrisch, sexbesessen und als Herrscher unfähig ist. Eine Hosenrolle ohne Hose mit deutlich sichtbarem Penis muss man erst mal so offensichtlich ohne Schamgefühl auf die Bühne bringen! Adriana Bastidas-Gamboa ist eine ergreifende Cornelia, Pompeios trauernde Witwe im schwarzen Ledertrenchcoat, die Frau, die in ihrer edlen Würde von allen Männern außer Cäsar begehrt wird. Mit ihrem warmen Mezzosopran verleiht sie tiefen Gefühlen der Trauer ergreifenden Ausdruck, sie hebt aber auch zu virtuosen Rachephantasien im Duett mit ihrem Sohn Sesto ab.

Sesto war schon in der Uraufführung ein weiblicher Sopran. Der noch minderjährige Sesto macht eine enorme Entwicklung durch. Anna Lucia Richter in der Hosenrolle als mit der Rache an Tolomeo überforderte jugendliche Lichtgestalt mit silberner Rüstung à la Lohengrin und Trenchcoat macht die Überforderung in ihrer Körpersprache und musikalisch deutlich. Sesto ist anfangs zu schwach, das Schwert des Vaters zu heben, am Ende ersticht er Tolomeo in flagranti bei dessen Versuch, seine Mutter zu vergewaltigen.

Matthias Hoffman als dröhnender – seine Auftrittsarie wird durch drei Fagotte begleitet – ägyptischer Feldherr Achilla zeigt auch als gescheiterter Liebhaber Cornelias, der sich noch im Tod an Tolomeo rächen will, intensive musikalische Gestaltungskraft. Regina Richter als Nireno und Sung Jun Cho runden das hochkarätige Ensemble ab.

In seinen Kostümen ist Achilla typisch für eine Intention der Regie. Eigentlich trägt er einen normalen schwarzen Business-Anzug, bei der Überreichung des grausigen Geschenks an Cäsar allerdings ein buntes Phantasiekostüm mit einer roten Maske und hellblauen Haaren. Die Ägypter übererfüllen die Erwartungen der Römer an die besetzten Barbaren, was Grausamkeit und Skrupellosigkeit angeht, und erfüllen damit die Erwartungen der Besatzer. Aus der Fehlplanung Achillas resultiert letzten Endes ein neuer blutiger Krieg, denn Cäsar als intellektuell und strategisch überlegener Feldherr gibt sich keine Blöße.

In der Parnass-Szene, musikalisch höchst anspruchsvoll, beeindruckt Cleopatra Cäsar durch Musik Händels, die so in Europa noch nie gehört wurde. Cäsar zeigt sich von den Sphärenklängen absolut beeindruckt, ist also der fremden Kultur gegenüber offen und beeindruckt. Als Machtmenschen sind Cäsar und Cleopatra kongenial, es ist also logisch, dass er ihr den ägyptischen Thron zuspricht.

Es bleibt der Eindruck eines adäquat umgesetzten Meisterwerks Händels mit exquisiten Gesangsleistungen in einer überwältigenden Ausstattung mit einer aktuellen Botschaft. Ein Muss für Liebhaber der Barockmusik!

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Oper Köln / Stückeseite
  • Titelfoto: Oper Köln/Giulio Cesare/Raffaele Pe (Giulio Cesare)/Foto: © Karl & Monika Forster
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Ein Gedanke zu „Händels „Giulio Cesare in Egitto“ in der Oper Köln gefeiert

  1. Warum eine Guckkastenbühneninsizenierung spannend sein soll, erschließt sich mir nicht. Der Cesare schrie teilweise, wohl um das Publikum hinten zu erreichen. Die Sängerinnen und Sänger standen steif an der Bühnenkante. Langweilig. Das Orchester (akademisch steril) solide … die Musik rettete diesen Abend.
    Zur Premiere war der Saal durch die Klimaanlage so kalt , dass sich das Publikum in der Pause die Mäntel holte.

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