
„Kirchenmusik war das Lieblingsfach Mozarts“, so sagte Mozarts erster Biograph Franz Xaver Niementschek, der den Komponisten noch persönlich kennenlernte, und so zitiert ihn auch das Programmheft der Berliner Philharmoniker-Konzerte am 27. und 28. April. Da der Hausherr dirigiert – Kirill Petrenko, Chefdirigent der Berliner Philharmoniker – diverse Solisten erwartet werden sowie der angereiste spanische Chor Orfeó Català und das Programm mit Mozarts Exsultate, Jubilate, der Krönungsmesse in C-Dur und Schumanns Symphonie Nr. 4 in d-moll beliebte Stücke beinhaltet, ist der Saal entsprechend voll. (Konzert vom 28.04.2023)
Die Motette Exsultate, Jubilate des damals sechzehnjährigen Mozarts wurde eigentlich für den Star-Kastraten Venazio Rauzzini im Jahr 1773 geschrieben. Über die Jahrhunderte blieb es ein kleines Juwel von Stück, das heutzutage von erwachsenen Sopranistinnen gesungen wird. Solistin Louise Alder legt in der gleichnamigen Eröffnungsarie eine leicht schelmische Freude an den Tag sowie runde tiefe Noten, die in den Zeilen „o vos anime“ bestens zur Geltung kommen. Die Koloraturen stets geschmeidig bis zum Ende und im Einklang mit dem Vibrato der britischen Sopranistin, steigert sie sich zu mehr Kraft und unbändiger Freude in der finalen Arie Alleluia. Einzig das hohe C am Ende der Arie bleibt unerwartet aus – diese vorletzte Note, auf die man hinfiebert, die dem Jubilieren des Stückes den letzten glänzenden Schliff verleiht, die ertönt nicht in Alders sattem Sopran. Gründe ungeklärt, die Erwartung bleibt in der Luft hängen – dennoch ein höchst charmanter Auftakt, bei dem Kleinlichkeit um hohe Töne nicht angebracht ist. Unter den Berliner Philharmonikern sind derweil die Oboen hervorzuheben, deren elegante Tonbögen in tänzerischen Legato daherkommen und von Kirill Petrenko offenbar geschätzt werden, hebt er sie doch gern hervor. Kleine Kraftausbrüche des Orchesters während des Alleluias geben einen kleinen Vorgeschmack auf Petrenkos Pläne, was die Gestaltung des weiteren Programms anbelangt.
Der Chor Orfeó Català eröffnet die Krönungsmesse in C-dur nämlich mit einem dramatischen Kyrie voller Lautstärkekontraste. Gleißende, silberne hohe Noten, aufsteigend in die Höhen des Großen Saals, können einem einen Satz später im Gloria Schauer über den Rücken jagen. Im Sanctus kommt Schwung in die Sängerreihen; bei den Hosanna-in-excelsis-Phrasen verfällt manch ein Sängerkopf ins Wippen. Die Solisten erzeugen stets in ihren gemeinsamen Einsätzen einen harmonischen Wohlklang, insbesondere im Benedictus, für die akustisch Ambitionierten sind sie einzeln jedoch selten heraushörbar. Die tiefen Stimmen haben das Nachsehen im Quartett: insbesondere die umjubelte Altistin Wiebke Lehmkuhl geht in ihren Einsätzen fast unter. Ein ähnliches Schicksal ereilt zunächst Bass Krešimir Stražanac, der schließlich aber in seinen Solo-Stellen des Credos mit sauberem Klang zur Geltung kommt. Mauro Peter, der eigentlich angedachte Tenorsolist, sang krankheitsbedingt leider nicht und wird von Linard Vrielink vertreten, der einen etwas nasalen, engen Klang an den Tag legt. Das Glanzsolo der Messe, Agnus Dei, geht – naturgemäß – an die Sopranistin, diesmal erneut Louise Alder. Sängerin, Dirigent und Orchester erlauben sich gemeinsam warme Zärtlichkeit, bevor mit „dona nobis pacem“ wieder höchste Lebendigkeit einkehrt. In diesen zackigen Interpretationen muss stets alles sitzen, jede Feinheit und jeder Streich, sonst hält Schludrigkeit Einzug – und es sitzt. Am Ende sind die Solisten wohl doch das Sahnehäubchen des Stücks; die Krönungsmesse erhält vor allem von einem engagierten Chor und Orchester ihr Fundament und ihre Stärke. Und der Meister dieser Architektur ist: Kirill Petrenko.

Dieser lässt in der zweiten Hälfte des Konzerts mit Schumanns 4. Symphonie in d-moll ganz die Romantik walten. Der Komponist tritt auf mit Karacho und Kontrasten. Schmelzige Streicher und etwas hauchende Flöten im ersten Satz werden schließlich doch eingeholt von den lebhaften Passagen, die nicht nur das Publikum begeisterten – Petrenko selbst verfällt beim Dirigieren in eine Art Tänzchen, das man allzu gern nachmachen will auf seinem eigenen Sitz. Im zweiten Satz sind – wieder einmal – die Holzbläser lobenswert, die mit wohlkonzentriertem Klang und feinem Vibrato ganz dem Titel des Satzes, Romanze, gerecht werden, sowie das geschmeidige Solo des Konzertmeisters Noah Bendix-Balgley. Die plötzliche Dramatik der Sinfonie kostet Petrenko im dritten Satz, dem Scherzo, ganz aus – der philharmonische Pauker darf zwischendrin auftrumpfen, während Petrenko und sein Orchester die Kontraste zwischen spannungsgeladener Agilität und romantischem Feinklang navigieren. Insgesamt tendiert das Dirigat zur leichten Streicherlastigkeit, die besonders dann beeindruckt, als sich im letzten Satz die Töne von den Celli hochwetzten in die Geigen und schließlich besonders im Zusammenklang mit den Blechbläsern starke letzte Takte gestalten. „Liebesfrühling“ tituliert das Programmheft die Schaffensperiode aus Robert Schumanns Leben, in der die 4. Symphonie schrieb – eine intensive, vielseitige Jahreszeit, dieser äußerliche und emotionale Frühling, der hier zum Leben erweckt wird.
Die schönste Szene spielt sich dennoch vielleicht jenseits der Musik ab (wenn so etwas denn möglich ist!). Nach Beendigung des Konzerts haben sich einige ganz Hartgesottene offenbar telepathisch durch die Blöcke hinweg zum rhythmischen Applaus verbündet, der so lang vor sich klatscht, bis der Chef doch noch einmal aufs Podium tritt, ohne Orchester vor halbvollen Saal und halber bemanteltes Publikum. Diese Gelegenheit zum „Bravo!“-Schreien wurde heiß ersehnt und daher auch passioniert durchgeführt. Dann darf sich auch der Chefdirigent der Berliner Philharmoniker und sein Publikum ins Wochenende verabschieden.
- Rezension von Lynn Sophie Guldin / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Berliner Philharmoniker
- Titelfoto: Berliner Philharmoniker, Konzert v. 28.4.23 /Foto @ Stephan Rabold