In diesem „Rheingold“ ist nicht alles Gold, was glänzt: Enttäuschender Ring-Auftakt an der Opéra national de Paris

Opéra national de Paris/DAS RHEINGOLD/Foto: Herwig Prammer

Der neue Zyklus von Richard Wagners Der Ring des Nibelungen unter der Regie von Calixto Bieito an der Opéra national de Paris wurde als eines der aufsehenerregendsten Opernprojekte weltweit antizipiert. Bedauerlicherweise drohte dieser, wie so viele Projekte der Kulturbranche, der Corona-Pandemie zum Opfer zu fallen. Während der szenischen Proben im Frühjahr 2020 wurde die Produktion zunächst verschoben, dann auch aus Budgetgründen vorerst abgebrochen und durch eine konzertante Aufführungsserie ersetzt. Endlich feierte nun Das Rheingold als Ring-Auftakt nach fünf Jahren des Bangens, mit stark veränderter Besetzung und neuem Dirigenten – Pablo Heras-Casado anstelle Philippe Jordan – Premiere. (Besuchte Vorstellung: 2. Februar 2025

 

Der polarisierende katalanische Regisseur Calixto Bieito ist für seine Inszenierungen so geliebt wie verhasst: Verhasst, weil seine radikal-brutalen, mit Blut, Nacktheit und Grausamkeit gefüllten Konzepte die Ästhetik manch eines Gemüts erschüttern, und dabei doch geliebt, weil gerade dieser Regisseur in der Hässlichkeit seiner überwältigenden Ästhetik eine schmerzvolle Menschlichkeit und eben auch die individuelle emotionale Psychologie seiner Figuren in der Tiefe zu ergründen vermag.

Opéra national de Paris/DAS RHEINGOLD/Foto: Herwig Prammer

Wagners Ring des Nibelungen an der Opéra Bastille in Paris in Szene zu setzen, bietet für ein Regieteam unbegrenzte Möglichkeiten: Eine der weltgrößten Opernbühnen, ausgestattet mit optimaler Bühnentechnik und unvergleichbar finanzieller Ressourcen, versprach fesselndes Musiktheater, insofern die Regie ausreichend Ideen zu Wagners Opus magnum mitbringt. An letzterem, nämlich den Ideen bzw. der Durchführung dieser, sollte dieser Ring-Auftakt jedoch kläglich scheitern: Die Bühne besteht aus einem silbrigen Metallgerüst aus welchem Schnüre und Kabel herausführen, dahinter bzw. darin scheint sich die Götterburg Walhall zu befinden. Noch ist diese dem Blick des Publikums vollständig verborgen, auch im Finale dieses Vorabends bleibt Walhall abstrakt und unkonkret. Über die Dauer der Vorstellung lässt der Regisseur bedeutungsschwangere, dabei doch arg profane, und beliebige Videos von Köpfen und Räumen, abstrakt glänzender Formen und funkelndem Geflimmer auf das Gerüst projizieren. Bieito scheint irgendeine Geschichte aus dem Silicon Valley rund um künstliche Intelligenz und Krypto-Mining aufbauen zu wollen. Bedauerlicherweise verfängt diese nicht. Auch das an der Bühnenrampe im Vordergrund des Metallgerüsts in schrillen Kostümen platzierte Ensemble agiert doch arg unbeholfen. Freilich, die ins Publikum strahlenden Scheinwerfer, die sich mit Schlamm einreibende und würgende Freia oder die über den Boden kriechende Fricka, sowie sich in Plastikvorhängen rekelnde Rheintöchter tragen unverkennbar Bieitos radikale, gewaltvolle Regiehandschrift. Seine bekannte Symbolsprache wirkt in dieser Produktion jedoch arg aufgesetzt und schablonenhaft, denn die andernorts starke Personenregie wird in diesem Rheingold lediglich angedeutet. Bieito vermag in seinen Figuren keinerlei Tiefe finden und baut zusätzlich auch keine szenische Handlung auf. So bleibt auch der von Rebecca Ringst besonders in den Tiefen von Nibelheim eindrucksvoll erschaffene Bühnenraum – eine Mischung aus Frankensteins Gruselkabinett und Gunther von Hagens Körperwelten – kaum genutzt. Es scheint gerade so, als habe Bieito in den vergangenen Jahren der Corona-Pandemie das Interesse an seinem eigenen Konzept verloren, so ließ sich der Regisseur am Premierenabend zum Schlussapplaus auch gar nicht erst blicken.

Bedauerlicherweise schimmerte das stimmliche Gold in der Besetzung dieser Wagneroper mit Ensemblecharakter lediglich matt-gelb und trüb verblasst: Simon O’Neill gilt als versierter Heldentenor und schlägt sich andernorts souverän durch die umfangreichen Partien eines Tristans, Siegmunds und Siegfrieds. In der Charakterpartie des listigen Feuergotts Loge schien O’Neill jedoch so blass wie deplatziert. Das stimmliche Material bringt der Heldentenor freilich mit; den Intellekt für diese fesselnde Charakterpartie, die Vielseitigkeit, das Spielen mit den Worten mittels einer klangfarbenreichen Phrasierung und Artikulation, ließ der neuseeländische Heldentenor mit seiner monochromen Ausdrucksweise jedoch missen. Auch verfügte Loges Gegenspieler Alberich, Brian Mulligan, zwar über eine angenehme, helle Baritonstimme, diese käme jedoch eher den Anforderungen eines Kavalierbaritons zugute, mit welcher Mulligan sicherlich einen berührenden Wolfram im Tannhäuser verkörpern könnte. Den Anforderungen eines tiefschwarzen, hasserfüllten Nachtalben Alberichs konnte Mulligan so überhaupt nicht gerecht werden.

Zu allem Überdruss wurde auch die umfangreichste Partie des Rheingolds, Iain Paterson als Göttervater Wotan, vorab mit einer Indisposition angesagt. Diese war jedoch derart ausgeprägt, dass der Bariton seine Partie bereits in der Auftrittskantilene „Der Wonne seligen Saal“ lediglich im rhythmischen Sprechgesang deklamierte und die Vorstellung über kaum einen Ton aussang. Dies ist für ein Opernhaus der Bedeutung der Opéra national de Paris eine vollkommen inakzeptable Situation, hier bedarf es eines kurzfristig einspringenden Covers! Chapeau an den Alberich dieser Vorstellung: Als Paterson selbst die Sprechstimme versagte, warf sich Brian Mulligan kurzerhand ein schwarzes Cape über sein Alberich-Kostüm und übernahm mit Partitur von der Seitenbühne von der Erda-Wotan-Szene an auch noch die Partie seines Kollegen. Und siehe da: Den Rheingold-Wotan konnte Mulligan dank seiner wohlklingenden, tragenden Baritonstimme weitaus angemessener mit Leben füllen als zuvor seine eigentliche Partie des Alberichs.

Opéra national de Paris/DAS RHEINGOLD/Foto: Herwig Prammer

Doch auch die weniger umfangreichen Partien von Froh (Matthew Cairns), Donner (Florent Mbia) und Freia (Eliza Boom), als auch die durchaus souveräne Erda von Marie-Nicole Lemieux, wirkten etwas pauschal und ungewohnt blass. Fast das gesamte Ensemble dieses Rheingolds vermochte in der großen Opera Bastille seiner jeweiligen Rolle kaum adäquat ein Fundament zu verleihen. Lediglich die beiden stimmgewaltigen Riesen Fasolt und Fafner, Kwangchul Youn und Mika Kares, sowie Gerhard Siegel als ein Mime par excellence sind in dieser Aufführung ihrer Partien hinsichtlich Klangvolumen, Artikulation und Ausdruck in Mimik und Gestik adäquat gerecht geworden. Einzige Überraschung: Die üblicherweise im französischen und italienischen Fach brillierende Eve-Maud Hubeaux. Mit funkelnd klangfarbenreicher Stimme verkörperte sie eine außergewöhnlich feinfühlige wie intensive, geradezu unwagnerianische Fricka.

Zahlreiche golden funkelnde Lichtblicke des Abends erklangen zudem aus dem Orchestergraben: Pablo Heras-Casado erzeugte am Pult des Orchestre de l’Opéra national de Paris einen fein austarierten, unaufgeregten, dennoch wohltuend eleganten Wagner-Mischklang mit pointiertem Fokus auf den Konversationscharakter der Dichtung. Heras-Casado gilt als heißer Kandidat für den Posten des neuen Generalmusikdirektors, des Directeur musicals der Opéra national de Paris. Indem er in der Premierenserie seinen ganz eigenen, durchhörbar französischen Wagnerklang zelebrierte, wird ihm der Posten nun so gut wie sicher sein.

 

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Ein Gedanke zu „In diesem „Rheingold“ ist nicht alles Gold, was glänzt: Enttäuschender Ring-Auftakt an der Opéra national de Paris

  1. Der Rezensent sollte Werknamen entweder kursiv oder in Gänsefüßchen setzen und auch nicht deklinieren. Also des „Ring” bzw. des “Rheingold”.dlDie Bezeichnung von Mulligan als Kavaliersbariton halte ich für überzogen und schon deshalb widersprüchlich, weil der dann den Wotan gut sang. Und der ist nun wirklich von Wagner nicht als kavaliersbariton komponiert!

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