Konzert „Im Spiegel“ mit Wagners „Götterdämmerung“ in der Version für Orchester in der Bonner Oper

Beethoven Orchester/Konzert v.9.2.2025/Foto: Tilmann Böttcher

Dass das Beethoven Orchester Wagner spielen kann, hat es schon mit der Produktion der „Meistersinger von Nürnberg“ zu Beginn der Spielzeit 2024/25 in der Bonner Oper gezeigt. Im ausverkauften Freitagskonzert am 7. Februar hat man Györgi Ligetis 10-minütige Komposition „Lontano“ von 1967 vor die 70 Minuten Musik aus dem gesamten „Ring“ gesetzt, beim Gesprächskonzert am Sonntag, dem 9. Februar 2025 mit dem niederländischen Dirigenten Antony Hermus, moderiert von Bettina Böttinger, ging es vor allem um die „Götterdämmerung“. Die Moderatorin sah Parallelen zur heutigen Lage vor den Wahlen und konnte sich den Appell ans Publikum, doch bitte demokratisch zu wählen, nicht verkneifen. Zum Glück sind demokratische Wahlen etwas unblutiger als der Kampf um den Ring des Nibelungen. (Besuchtes Konzert am 9.2.2025)

 

Bettina Böttinger begrüßte den Gastdirigenten des Konzerts, den 1973 geborenen Niederländer Antony Hermus, Chefdirigent des Belgischen Nationalorchesters und Gastdirigent etlicher bedeutender Orchester wie dem Royal Concertgebow Amsterdam und der Bamberger Sinfoniker, der der Wagners „Ring“ 2012 bis 2025 in Dessau aufgeführt hatte.

Abweichend vom Programm begann Antony Hermus das Konzert am Sonntag mit dem Vorspiel des „Rheingold“. Dessen Anfang ist besonders innovativ, denn er entwickelt sich vom minutenlang auf der 5 mm dicken h-Seite gespielten Kontra-Es der Kontrabässe zu den wogenden Fluten des Rheins, die bei Siegfrieds Rheinfahrt in der „Götterdämmerung“ in einer anderen Tonart wieder gespielt werden – ein typisches Leitmotiv.

Nach diesem musikalischen Auftakt erklärte Hermus, bei Wagner sei die Musik fast noch wichtiger als der Gesang, weil die Emotionen und Hintergründe mit Hilfe der Leitmotive im Orchester ausgedrückt werden. Es sei legitim, aus dem „Ring“ eine Art sinfonische Programmmusik zu machen, wie die von Henk de Vlieger aus Orchesterpassagen zusammengestellte und durch Überleitungen verbundene Fassung des „Rings“, von dem die „Götterdämmerung“ am Sonntag gespielt wurde. Als Kenner des „Ring des Nibelungen“ erkennt man die Melodien alle wieder und stellt sich dazu im Geiste Bilder aus gesehenen Inszenierungen vor. Wenn man noch nie dieses gigantische Gesamtkunstwerk mit insgesamt 16 Stunden Aufführungsdauer an vier Abenden erlebt hat, hat man das Gefühl, Programm-Musik wie zum Beispiel Beethovens „Geschöpfe des Prometheus“ oder seine 6. Sinfonie zu hören und ist tief beeindruckt von der Überwältigungsästhetik dieser Musik. Sie war ein Vorläufer der Filmmusik, denn Richard Wagner war der erste Komponist, der darauf bestand, im Saal das Licht zu löschen, solange die Musik spielte.

Beethoven Orchester/Konzert v.9.2.2025/Foto: Tilmann Böttcher

Aus der „Götterdämmerung“ erklangen fünf Szenen: das Erwachen von „Siegfried und Brünhilde“ am Morgen, das in einem Liebesrausch endet, „Siegfrieds Rheinfahrt“ – der Held eilt zu neuen Taten und lässt seine Verlobte Brünnhilde zurück, „Siegfrieds Tod“ – Hagen hat Siegfried ermordet, um in den Besitz des Rings zu gelangen. Danach „Trauermusik“, der ergreifende Trauermarsch, zu dem der tote Siegfried in die Burg der Gibichungen getragen wird, und der von den Nationalsozialisten dazu instrumentalisiert wurde, im Reichsrundfunk den Untergang ganzer Armeen bei Stalingrad zu untermalen. „Brünnhildes Opfertat“ beschreibt mit züngelnden Motiven die Flammen, in denen Walhall untergeht und Brünnhildes Opfertod, der in ihrer musikalisch ausgedrückten Erlösung mündet. Brünnhilde als legitime Eigentümerin hat von der Hand des ermordeten Siegfried den Ring genommen und gibt ihn den Rheintöchtern zurück in die Fluten. Nur mit dem restlosen Untergang der alten Welt kann eine neue Welt entstehen.

Dirigent Antony Hermus wich den Fragen Bettina Böttingers nach der politischen Interpretation des „Rings“ in der heutigen Weltlage mit seinem charmanten niederländischen Akzent elegant aus, stattdessen erklärte er Wagners Leitmotivtechnik und Tonartensymbolik und spielte dazu mit dem Orchester Passagen an, die man im anschließenden Konzert wiedererkennen konnte. Daneben ergänzte er Anekdoten um Wagners Werk und seine Aufführungspraxis.

Bettina Böttinger erwies sich als gut vorbereitet. Sie wusste zum Beispiel, dass in der 1848-er Revolution auch Frauen mit der Waffe gekämpft haben. Sie erklärte zum Beispiel Brünhilde als eine völlig atypische Operngestalt ihrer Zeit, weil diese durch ihren selbst gewählten Opfertod und den Verzicht auf den Ring eine neue Ordnung überhaupt erst ermöglicht habe. Alle männlichen Figuren des „Ring“ seien durch Machtmissbrauch gescheitert, Siegfried durch seine Naivität. Hermus bestätigte, Brünnhilde sei die komplexeste Figur im „Ring“, denn sie entwickelt sich von einer Walküre, einer weiblichen Kriegerin, Tochter des Gottes Wotan, zu einer menschlichen, Empathie empfindenden Figur, die, durch Siegfrieds Verrat gekränkt, Hagen, seinem ärgsten Widersacher, das Geheimnis seiner Verwundbarkeit enthüllt. Sie erkennt, dass die einzige Chance zu einer neuen Ordnung darin liegt, den Ring den Rheintöchtern zurückzugeben, damit ein Neubeginn möglich ist. Das Konzert endet musikalisch mit der völligen Zerstörung Walhalls und Brünnhildes Erlösung durch den Tod.

Bettina Böttinger bezog diese Vorlage auf Wagner als Revolutionär, der eine neue Ordnung im Deutschland des 19. Jahrhundert ersehnte und dem klar war, dass die alte Ordnung der Kleinstaaterei und auch der Monarchie dem Untergang geweiht war. Auf Böttingers Frage, warum Richard Wagner von vielen abgelehnt werde und auch polarisiere, gab Hermus zu, dass Wagner als Mensch sehr ambivalent gewesen sei. Einerseits ein innovativer Komponist, andererseits ein übler Antisemit. Viele hätten auch ein Problem damit, dass Wagners Musik im 3. Reich missbraucht worden sei.

Physisch sei Wagner sehr anstrengend für die Orchestermusiker, die in diesem Opernzyklus in langen Auftritten von zum Teil mehr als vier Stunden besonders anstrengende Passagen zu spielen haben. Deshalb habe er Massagen für die Musiker in Dessau, wo er 2012 bis 2025 den „Ring des Nibelungen“ trotz großer Sparanstrengungen der Stadt einstudiert hat, organisiert. Hermus hat anlässlich der kompletten Aufführung des „Rings“ für den Rathausturm in Dessau auf einem Keyboard den Ritt der Walküren eingespielt. Bettina Böttinger empfahl den Besuchenden des Orchesterkonzerts, sich auf den „Ring des Nibelungen“ an vier Abenden in 16 Stunden Aufführungsdauer einzulassen. In Dortmund sei der Ring-Zyklus im Sommer 2025 auf dem Spielplan.

Das Beethoven Orchester prangte mit zwei Harfen und fünf Kontrabässen in großer Besetzung auf der Opernbühne und folgte Antony Hermus mit beeindruckendem Wagner-Klang. Satte Trompeten und Posaunen, delikate Hörner, samtige Streicher und perlende Flöten. Den Blumenstrauß, der ihm am Schluss überreicht wurde, schenkte der Dirigent der hervorragenden Ersten Hornistin Gillian Williams, die Siegfrieds Erkennungsmotiv perfekt gestaltet hatte.

Die Konzertreihe „Im Spiegel“, immer sonntags als Matinee, wiederholt Teile der Freitagskonzerte des Beethoven Orchesters mit Moderation, die den Bezug der Musik zu Themen der Zeit reflektieren. Schüler*innen und Studierende erhalten Tickets zum Sonderpreis. Es gibt ein hervorragend redigiertes Programmheft, das man vor dem Konzert aus dem Netz laden kann. Das Freitagskonzert „Der Ring“ wird als Gastspiel am 14. Februar 2025 in der Rhein-Mosel-Halle Trier noch einmal aufgeführt. Mich hat das Konzert in dem Plan bestärkt, den „Ring des Nibelungen“ in diesem Jahr noch einmal komplett live mit Gesang zu sehen.

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Beethoven Orchester
  • Titelfoto: Beethoven Orchester/Konzert v.9.2.2025/Foto: Tilmann Böttcher

 

Ursula Hartlapp-Lindemeyer

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