„Elektra“ zu den Salzburger Festspielen: Der dreifache Triumph der Wiener Philharmoniker

Phillip Richter/Redaktion DAS OPERNMAGAZIN

Ein ganz persönlicher und vollkommen subjektiver Erfahrungsbericht!

Die Intensität von Richard Strauss Einakter „Elektra“, anderthalb Stunden hoch konzentrierter Psychoterror, hat mich süchtig werden lassen. Ich würde Elektra zweifelsohne nicht als gelungenste oder sogar beste Oper überhaupt bezeichnen, da ist manch ein Werk von Richard Wagner oder auch Mozarts „Le Nozze di Figaro“ durchaus bedeutsamer, aber ganz persönlich bezeichne ich Elektra sehr wohl als meine Lieblingsoper! Das Werk habe ich in den letzten Jahren auf fast jeder großen und kleinen Opernbühne, mit allen bedeutenden Sängerinnen und Sängern, Dirigenten und Orchestern erlebt, mehrmals auch konzertant. Grob geschätzt waren es sicherlich 50 Live-Aufführungen. Meine eindrücklichsten Elektra-Erlebnisse sammelte ich jedoch in diesem Jahr 2020, gleich dreimal auf unterschiedlichste Art und Weise, stets mit den Musikern der Wiener Philharmoniker! 

 

Begonnen hat die Reise im Februar 2020, als sich eine unschlagbare Besetzung in einer Repertoirevorstellung der Wiener Staatsoper versammelte: Die sich normalerweise in Europa rar-machende US-Sopranistin Christine Goerke in der Titelrolle mit dem Stuttgarter Publikumsliebling Simone Schneider als kleine Schwester, sowie die legendäre Waltraud Meier neben einem großartigen Michael Volle. Am Pult des aus Wiener Philharmonikern gebildeten Orchesters der Wiener Staatsoper der versierte Strauss-Dirigent, Semjon Bytschkow.

Staatsoper Wien/ELEKTRA/ C. Goerke/ Foto @ Ashley Taylor

Das Opernmagazin berichtete darüber begeistert (Link).

In dem glauben, dass es für mich vor und nach dieser Elektra an der Wiener Staatsoper lange nichts klanglich eindrucksvolleres mehr auf der Opernbühne geben wird, plante ich kurz darauf meinen Sommerbesuch zu den Salzburger Festspielen – ein absoluter Muss für Strauss-Liebhaber. Als einer der wenigen Glücklichen gelang es mir, trotz eines aufgrund der Corona-Pandemie stark kontingentierten Ticketangebots, einen Platz für die diesjährige Neuinszenierung der Elektra zu ergattern.

Mir war bewusst, dass die Hauptrollen der Elektra zu den Salzburger Festspielen mit Aušrinė Stundytė, Asmik Grigorian und Tanja-Ariane Baumgartner außergewöhnlich besetzt wurden.

SALZBURGER FESTSPIELE 2020/ Elektra 2020: Ausrine Stundyte (Elektra), Asmik Grigorian (Chrysothemis)© SF / Bernd Uhlig

Für Baumgartner und Stundytė sollte es ein Rollendebut werden, Grigorian – die zuvor umjubelte Salzburger „Salome“ – verkörperte die Rolle der Chrysothemis schon andernorts. Die Regiearbeiten von Krzysztof Warlikowski schätze ich sowieso sehr, insbesondere seine komplexen Deutungen von Strauss-Opern an der Bayerischen Staatsoper München faszinierten und regten zum Nachdenken an. Und doch war ich zunächst skeptisch, dass diese Solistenbesetzung adäquat für Elektra sein sollte. Obgleich Aušrinė Stundytė mich als Darstellerin stets begeisterte, insb. im Feurigen Engel oder als Lady Macbeth, hat mich ihre vokale Leistung beispielsweise in der Rolle der Salome etwas irritiert. Und auch Franz Welser-Möst am Pult der Wiener Philharmoniker hat mich zunächst skeptisch auf die Festspiele blicken lassen. Da sich dieser österreichische Dirigent nach seinem Zwist mit der damaligen Intendanz der Staatsoper Wien außerhalb Salzburgs sehr rar gemacht hat, konnte ich ihn bislang nie live erleben. Seine Referenzen der letzten Jahrzehnte lesen sich eher mit Misserfolgen durchwachsen, „Franky worse than most“ wurde er uncharmant in London genannt.

Franz Welser-Möst © Michael Pöhn

Und dann kam es doch ganz anders und diese Salzburger Festspiele sollten jede bislang dagewesene Strauss-Aufführung in den Schatten stellen.

Als Aufführungsstätte diente der kühle, mit langer Nachhallzeit ausgestattete Saal der Felsenreitschule, ein idealer Bühnenraum für experimentelle Inszenierungsansätze. Mittig in der vorletzten Reihe nahm ich Platz und versank urplötzlich mit dem ersten Ton des aufkommenden Agamemnon-Motivs in einer Art Schockstarre, ein Theatererlebnis der intensivsten Art spielte sich vor mir auf der Bühne ab. Der Live-Stream kann nur in Ansätzen wiedergeben, was das Publikum durchmachen musste. Warlikowskis nervenzerrende Ästhetik begleitet von einem Orchester on fire: Franz Welser-Möst bewies sich in Salzburg am Pult der Wiener Philharmoniker – sein Kollege Christian Thielemann wird mir dies hoffentlich verzeihen – als versiertester Strauss-Dirigent der Gegenwart. Wie kein andere zuvor gelang es Welser-Möst sämtliche Feinheiten der Partitur in einen Kontext gegenüberzustellen, dabei klar die Harmonien herauszuarbeiten, ohne dabei einer Detailarbeit zu erliegen.

So oft ich diese Oper zuhause mit der Partitur studiert auch haben mag, Welser-Möst stellte die Holzbläserläufe in einen logischen Zusammenhang zum Text der Dichtung Hugo von Hofmannsthal, der so nie deutlich geworden ist: Er blieb stets im musikalischen Fluss des Dramas, forcierte eine hohe Lautstärke, entwickelte trotzdem einen transparenten, die Stimmen aufnehmenden Klang. Wo andere Strauss-Dirigenten durch die Partitur hetzen und die Details der Komposition verkennen, wählte er exakt das richtige Tempo, so dass schlichtweg alles zusammenpasste. „Frankly better than most“, sollte man ihn fortan nun nennen.

SALZBURGER FESTSPIELE 2020/ Elektra 2020: Tanja Ariane Baumgartner (Klytämnestra) © SF / Bernd Uhlig

Opernfestspiele sollen ja aus ihrer Eigenschaft heraus schon eine gewisse Exklusivität bieten; eine Besetzung, die es anderswo so nicht gibt, außerordentliche Orchesterleistungen oder eine ungewöhnliche Bühnenproduktion. Die Salzburger Festspiele wurden in dieser Elektra allen Anforderungen gerecht! Die drei weiblichen Hauptrollen überzeugten nicht nur durch voluminöse und eindrückliche Stimmen, sondern auch als exzentrische Bühnentiere, die sich in ihrer Mimik und Gestik soweit verausgabten, dass es einer Selbstentäußerung gleichkam.

Aušrinė Stundytė wirkte zu Beginn etwas zu tief für die Sopranpartie der Elektra aber bei genauerem hinhören wurde deutlich, wie sie ihr Organ bewusst einsetzte und sich mit raffinierten Tricks die Rolle der Elektra ganz zu eigen machte, eine unübliches, gleichfalls überragendes Rollendebut! Ebenso großartig geriet Asmik Grigorians lautstark-leidenschaftliche Chrysothemis. In der Kombination mit Tanja Ariane Baumgartner als exzentrische Mutter Klytämnestra, die akribisch die von Richard Strauss vorgegebene Gesangslinie verfolgte, gerieten die Damen zu einem Trio Infernal!

Tanja Ariane Baumgartner ist schon jetzt eine Klytämnestra für die Ewigkeit, sie bewies sich als würdige Nachfolgerin einer Waltraud Meier oder Doris Soffel, die beide das letzte Jahrzehnt in dieser Rolle die Opernbühnen dominierten.

 

 

  • Artikel von Phillip Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN 
  • Titelfoto: Elektra 2020: Tanja Ariane Baumgartner (Klytämnestra), Ausrine Stundyte (Elektra) © SF / Bernd Uhlig
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