Das Meer gibt, das Meer nimmt: „The Wreckers“ mit dem Deutschen Symphonie-Orchester in Berlin

Robin Ticciati u. DSO/Smyth ›Les Naufrageurs‹ 25.9.2022/Foto @ Peter Adamik

Mehr als hundert Jahre ist es her, dass Ethel Smyths „The Wreckers“ in Leipzig unter dem deutschen Titel „Strandrecht“ 1906 Premiere feierte. Mit Erfolg: Nicht weniger als 16 Mal Vorhänge lang klatschte das Publikum. Wie so viele Werke weiblicher Komponistinnen geriet die Oper dann im Laufe des 20. Jahrhunderts in Vergessenheit. Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin unter der Leitung von Robin Ticciati brachte sie nun als „Les Naufrageurs“ (Die Strandräuber) in der deutschen Erstaufführung der französischen Originalfassung erneut auf die Bühne. (Besuchtes Konzert am 25. September 2022) 

 

Eine britische Nationaloper wollte Ethel Smyth schaffen, als sie „The Wreckers“ schrieb. Brutal, realistisch, düster und doch sagenhaft ist ihre Geschichte über die Bewohner:innen eines kleinen Dorfes in Cornwall nahe der steilen Felsenküste. Weil der Boden so unfruchtbar ist, ernten sie, was die See ihnen bringt: Angetrieben von ihrem vor Doppelmoral strotzenden Priester werden sie zu „wreckers“. Zu Deutsch: Schiffbruchmachende. Desnachts löschen sie die Lichter des Leuchtturms, plündern die gestrandeten Schiffe und ermorden ihre Besatzung. Doch es regt sich Widerstand gegen die unmenschliche Praxis, an deren Ende zwei Liebende auf martialische Weise in einer durch die Gezeiten gefluteten Höhle sterben müssen. Das Meer gibt, das Meer nimmt.

Reichhaltig ist Smyths Partitur, inspiriert von ihren Besuchen in Cornwall. Es stürmt und braust, peitscht und tost. „The Wreckers“ ist große romantische Oper, die wenige Momente zum Durchatmen gibt. Sie ist so dicht und voll, dass es eine wahre Herausforderung ist, das Werk auf die Bühne zu bringen. Atemlos preschen das Deutsche Symphonie-Orchester und sein Chefdirigent Robin Ticciati voran. Dabei wird jedoch vor allem im Verlauf der ersten Akte musikalisch einiges vom Winde verweht, so stürmisch sind ihre Klangwellen, dass darin einige der Feinheiten und Nuancen untergehen. Auch wirkt die Urfassung der Oper – die Smyth hinterher wiederholt überarbeitete – an der einen oder anderen Stelle im Schlagwerk überinstrumentiert. Vor allem Triangel-Fans kommen dabei zweifellos auf ihre Kosten, für alle anderen wirkt das wenig subtil, sondern überbordend.

Smyth war die wohl bekannteste Komponistin des beginnenden 20. Jahrhunderts. „The Wreckers“ ist ihre dritte Oper, auch die Vorherigen fanden in Deutschland ihre Uraufführungen. Seitdem in Vergessenheit geraten, sind Vergleichsaufnahmen ihres wohl bekanntesten sinfonischen Werkes bisher rar gesät. Wer aufmerksam zuhört, merkt dennoch, dass hier vieles drinsteckt und noch viel mehr durch eine transparente und feine Lesart zu entdecken ist. Noch nicht alles fügt sich an diesem Abend im Zusammenspiel zwischen dem Deutschen Symphonie-Orchester, seinem Dirigenten und den Sänger:innen zusammen, auch wenn in dessen Verlauf deutliche Steigerungen zu erkennen sind. Das am ersten Abend nicht immer alles klappt, ist nicht überraschend – auch sonst sind Premierenabende selten die beste Aufführung eines Werkes – doch ist es daher besonders schade, dass die Aufführung nur an diesem einzigen Tag geplant ist. Das gemeinsame Engagement für dieses eine der vielen aus der Musikgeschichte verdrängten Werke von Komponistinnen ist dennoch aller Ehren wert.

DSO/Smyth ›Les Naufrageurs‹ /Karis Tucker u. Rodrigo Porras Garulo/25.9.2022/Foto @ Peter Adamik

Schon zu Lebzeiten musste Smyth für die Aufführung ihrer Werke kämpfen und so ist sie in der Wahl ihrer Mittel dabei vor allem pragmatisch. In Deutschland ausgebildet, ist sie sich von Anfang an bewusst, dass sie ihr Publikum vor allem auf dem europäischen Festland finden wird – und so schreibt sie ihre Nationaloper in französischer Sprache. Doch zur Aufführung kommt sie in dieser Version lange nicht. Während deutsche und englische Übersetzungen in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts ihren Weg auf die europäischen Bühnen finden, gelingt dies der Originalfassung erst im Jahr 2022 – sie feiert während des Glyndebourne Festivals unter der musikalischen Leitung von Ticciati Premiere. Sturmerprobt zeigen sich daher die Sänger:innen an diesem Abend. Fast ausnahmslos standen sie bereits beim englischen Opernfestival auf der Bühne. Im Mittelpunkt dabei: Die verbotenerweise Liebenden Thurza (Karis Tucker) und Marc (Rodrigo Porras Garulo), die auch der nachts die warnenden Feuer entzünden, sowie Philip Horst als Thurzas Ehemann und Prediger Pasko und Lauren Fagan als Marcs ehemalige Geliebte Avis. Sie singen auswendig und geben der Oper einen szenischen Anstrich: Es wird gestritten, geliebt, gelogen, verraten und gestorben. Quer durch den halben Saal wechseln die Sänger:innen dabei ihre Positionen, an der Rampe aber auch aus dem Orchester heraus oder von der Tribüne herab wird gesungen.

DSO/Smyth ›Les Naufrageurs‹ 25.9.2022/Foto @ Peter Adamik

Dabei heraus sticht vor allem Fagan: Expressiv-rebellisch mit großer Spiellust und brillanten Höhen gestaltet sie ihre Rolle der eifersüchtigen und in ihrer eigenen Art gegen das System kämpfenden Avis. Ihr gegenüber steht Tucker als eher zurückhaltend-verschlossene Thurza, zerrissen zwischen den Ansprüchen der Gesellschaft und ihrer eigenen Moral. Kontrastreich sind auch die männlichen Hauptrollen besetzt: Während Horst mit dramatisch-bassbaritonaler Schwere und kalter Stärke auftritt, schafft Porras Garulo mit lyrischer Süße und flexibler Samtigkeit einen starken Gegenpunkt. Ihnen zur Seite steht Daniel Scofield als fies-verschwörerischer Leuchtturmwärter Laurent. Als wahre Naturgewalt erweist sich wieder einmal der Rundfunkchor Berlin, der die Oper als mal religiös-introvertierte, mal hetzend-anklagende Meute begleitet. Mit voller Fahrt voraus bejubelt das Publikum am Ende die Aufführung, sodass an diesem Abend nur all jene Schiffbruch erleiden, die die Existenz von spannenden komponierenden Frauen in der Geschichte noch immer in Zweifel ziehen anstelle ernsthaft zu hinterfragen, warum so wenige von ihnen heute noch bekannt sind.

 

  • Rezension  von Svenja Koch / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • DSO / Homepage
  • Titelfoto: DSO/Smyth ›Les Naufrageurs‹ 25.9.2022/Foto @ Peter Adamik
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4 Gedanken zu „Das Meer gibt, das Meer nimmt: „The Wreckers“ mit dem Deutschen Symphonie-Orchester in Berlin&8220;

  1. „[… ] wieder einmal der Rundfunkchor Berlin, der die Oper als mal religiös-introvertierte, mal hetzend-anklagende Meute begleitet [… ]“
    Lieber Herr Obens, sorry, sollte ich das übersehen haben! Aber obiger Satz war, ich könnte ’schwören‘, beim ersten lesen nicht vorhanden, zumal das fett hervorgehobene ‚Rundfunkchor‘ hätte mich stoppen lassen….
    Aber was soll’s, jetzt ist es da – und ich bedauere, nicht dort gewesen sein zu können.
    Sehr freundliche Grüße
    Ulla Greinke

    1. Habe noch mal nachgesehen: Der Satz war auch in der Rohform da. Ich hab dann nur, als Ihr Kommentar kam, den Rundfunkchor fett unterlegt. Aber alles ok – ich überlese auch schon mal was. Gerade bei etwas längeren Texten wie diesem. Und manchmal kommt es auch vor, dass mal was vergessen wird. Selten, aber passiert schon mal. Und dann freuen wir uns/freue ich mich/ über Kommentare wie den Ihren. Liebe Grüße nach Berlin, Ihr Detlef Obens

  2. Eine Frage: war der Rundfunkchor Berlin dabei, oder war er nicht dabei?!
    Jedenfalls mit keinem Wort erwähnt?!
    Auf dem Foto jedenfalls anwesend.
    Ist das richtig so?
    Frdl Gruß
    Ulla

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