Prima la musica – „Les Troyens“ von Hector Berlioz in der Oper Köln begeistert bejubelt

Oper Köln/Les Troyens © Matthias Jung

Es ist eine Grand Opéra, genau das repräsentative Spektakel, mit dem man eine Spielzeit (und gegebenenfalls ein neues Opernhaus) eröffnen kann: „Les Troyens“ (Die Trojaner) des französischen Komponisten Hector Berlioz. Mit dieser Produktion spielen der Kölner Generalmusikdirektor Francois Xavier Roth, der neue Intendant Hein Mulders und der Regisseur Johannes Erath noch einmal die Trümpfe der Ersatzspielstätte Staatenhaus, einer riesigen Messehalle, aus. Vergils Mythos der Gründung der Stadt Rom durch den Halbgott Aeneas wurde im ausverkauften Haus vom opernbegeisterten Publikum stürmisch gefeiert. (Rezension der Premiere v. 24.09.2022)

 

Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker eröffnete den Abend mit den besten Wünschen für den neuen Intendanten Hein Mulders, der die Aufgabe übernommen habe, die Kölner Oper beim Einzug in das voraussichtlich am 24. März 2024 fertig gestellte Haus am Offenbachplatz zu führen.

Generalmusikdirektor Francois Xavier Roth, der sich 2015 mit „Benvenuto Cellini“ von Hector Berlioz in Köln einführte, ist bekennender Fan des französischen Komponisten. Er brennt für dessen anspruchsvolle und unverwechselbare Musik, die er mit dem exzellenten Gürzenichorchester, dem mit Sonderchor verstärkten Chor der Oper Köln unter der Leitung von Rustam Samedow und einem exquisiten Ensemble mit den Gästen Isabelle Druet als Kassandra, Veronica Simeoni als Dido, Eneo Scala als Aeneas und 27 weiteren Solisten aus dem Ensemble der Kölner Oper zum Funkeln brachte.

Das Thema ist brandaktuell, denn Berlioz schildert in seinem Werk, das er nach der Dichtung Vergils komponierte, den Untergang Trojas, die Flucht des überlebenden Helden Aeneas nach Karthago, die große Liebe der karthagischen Königin Dido zu Aeneas und dessen Abreise nach Italien, die Dido in Verzweiflung stürzt und in dem Fluch gipfelt, der seither auf Rom liegt.

Oper Köln/Les Troyens/Gürzenich-Orchester Köln, Isabelle Druet, Statisterie der Oper Köln © Matthias Jung

Im Bühnenbild und mit Kostümen von Heike Scheele erzählt Regisseur Johannes Erath, wie Kassandras Prophezeiungen des Untergangs der Stadt Troja ungehört bleiben: getäuscht vom scheinbaren Abzug der Griechen nach zehnjährigem Krieg den Frieden ausgelassen feiernd, reißen sie selbst die Stadtmauern ein und holen das todbringende Pferd in ihre Stadt. Den Untergang Trojas, von Kassandra als Mauerschau beschrieben, schildert mit starken Klangeffekten die Musik von Berlioz. Die französische Mezzosopranistin Isabelle Druet ist die charismatische Heldin der ersten beiden Akte: sie ist die verkannte Seherin Kassandra, die die jungen Frauen anstiftet, sich selbst zu töten, um dem Feind nicht in die Hände zu fallen.

Regisseur Johannes Erath stellt auch optisch die Musik in den Mittelpunkt: Das Orchester nimmt die Mitte der Bühne in einer Art kreisförmiger Manege ein, dem runden Grundriss der antiken Stadt Troja nachempfunden. Man kann dem Magier François Xavier Roth beim Dirigieren der gewaltigen Klangmassen zusehen. Die sechs Harfen sind dekorativ auf der rechten Seite aufgebaut, und um die Manege herum führt ein etwa ein Meter breiter transparenter von unten beleuchteter Laufsteg, der sich mit den Darstellern und wenigen Requisiten langsam dreht. Hinter der Bühne erheben sich amphitheaterartige Ränge, auf denen der ca. 80-köpfige Chor steht, der bei Bedarf aber auch aus dem Off singt. Auch Bühnenmusik mit Blas- und Schlaginstrumenten wird seitlich vom Zuschauerrang gespielt. Dadurch ergeben sich verblüffende, beeindruckende Raumklangeffekte. Die zeitlos gültige Geschichte von Krieg und Exil wird von Hector Berlioz mit der Musik erzählt.

Die zwölf olympischen Götter und Göttinnen treten alle als Sänger oder Statisten auf, liebevoll durch in Weiß und Silber gehaltene Kostüme charakterisiert. Alle Chormitglieder sind individuell in schwarz-weiß gekleidet, die Kostüme sind zeitlos. Der Ausstatter hat der Versuchung widerstanden, aus diesem Stück, wie früher häufig, einen Sandalenfilm zu machen oder es in antiken Ruinen spielen zu lassen. Auch auf eine Aktualisierung hat man verzichtet. Einziges großes Dekorstück ist eine riesige Maske der Dido, unter der Menschen Schutz finden und die das Bühnenbild beherrscht. Mit der Bühnenmechanik des sich drehenden Kreisrings entsteht ein absolut präzise durchdachtes mechanisches Kunstwerk, in dem das Drama von Krieg und Exil seinen Lauf nimmt.

Aeneas, Sohn der Göttin Venus, gelingt mit seinem Vater Anchises, seinem Sohn Ascanio und einigen Seeleuten die Flucht aus dem zerstörten Troja nach Karthago, einer blühenden Stadt unter der Regierung der wunderschönen Königin Dido. Der dritte und vierte Akt sind der mehr als 90 mal vertonten großen Liebe von Dido und Aeneas gewidmet. Ihr Liebesduett „Nuit d´ivresse et d´extase infinie“, bei dem sich die verwitwete Dido nach langem Zaudern der Liebe des Aeneas hingibt, ist der lyrische Höhepunkt der Oper. Die Welt gerät aus den Angeln – das Orchester dreht sich um sich selbst, der Dirigent wird samt Orchester in einem großen Kreis gedreht – ein überwältigender Effekt!

Oper Köln/Les Troyens/Enea Scala, Veronica Simeoni © Matthias Jung

Aber der göttliche Auftrag der Gründung einer Stadt in Italien ist stärker: Aeneas ist trotz Didos bitterer Vorwürfe zur Abreise entschlossen. Enea Scala liegt der selbstverliebte Held Aeneas mit metallischem Glanz in der Stimme deutlich mehr als der lyrisch schmachtende Liebhaber. Die delikaten Höhen muss er ein wenig forcieren.

Die französische Mezzosopranistin Veronica Simeoni als Dido, Spezialistin des französischen Repertoires, hat in einer großen Szene das letzte Wort: sie beschließt zu sterben und sieht im Tode das unsterbliche Rom erstehen. Hannibal, der karthagische Feldherr, wird sie rächen. Nicht umsonst heißt die Oper „Les Troyens“ und nicht „Dido und Aeneas“. Das Gemeinwesen stellt Vergil über das Private. Die Bedeutung der Götter nimmt ab, Aeneas nimmt das Schicksal der Trojaner selbst in die Hand.

Hector Berlioz war es nicht vergönnt, seine große Oper vollständig aufgeführt zu erleben. Lediglich die letzten drei Akte wurden 1863 unter dem Titel „Les Troyens à Carthage“ mit mäßigem Erfolg im Théȃtre Lyrique in Paris uraufgeführt. Die Form der Grand Opéra hatte sich überlebt, zumal Berlioz ausgesprochen anspruchsvolle Chöre und Ensembles geschaffen hat, die nur in allerersten Häusern angemessen umgesetzt werden können.

Erst mit der vollständigen Aufführung durch Colin Davies in Covent Garden 1969 nach der „Neuen kritischen Ausgabe“ setzte sich die Erkenntnis durch, dass der Rang der „Trojaner“ über eine Grand Opéra à la Meyerbeer weit hinausgeht. Die Aufführungsdauer von gut fünf Stunden mit zwei Pausen mag gewöhnungsbedürftig sein, die Aufmerksamkeit wird aber immer wieder gefesselt durch faszinierende Bilder und natürlich durch die Musik. Das Werk wird ungekürzt mit der Ballettmusik gespielt, die der Regisseur mit Pantomimen bebildert.

Oper Köln/Les Troyens/Gürzenich-Orchester Köln, Enea Scala © Matthias Jung

François Xavier Roth ist davon überzeugt, dass Berlioz es wert ist, heute noch aufgeführt zu werden. Er schlägt Funken aus der anspruchsvollen Partitur, bei der zum Beispiel Septette mit mehrstimmigem Chor und ein voll besetztes Opernorchester mit der unfassbar subtilen Instrumentierung Berlioz´ immer neue sensationelle Klangfarben erzeugen. Instrumentalsoli, fantasievoll begleitete Arien, Ensembles und gewaltige Chöre, die ganz große Gefühle ausdrücken, werden von Roth delikat ausgedeutet.

Der Erfolg der Kölner Premiere gibt ihm Recht: das Publikum applaudierte begeistert und feierte Musik und Regie gleichermaßen.

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Oper Köln / Stückeseite
  • Titelfoto: Oper Köln/Les Troyens/Chor der Oper Köln, Gürzenich-Orchester Köln © Matthias Jung

 

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