
Die letzten warmen Sommertage neigen sich dem Ende zu und mit dem bevorstehenden Herbst findet auch die glamouröse Festspielsaison in Salzburg, Glyndebourne oder Luzern ihren Abschluss. Doch in dem beschaulichen Kanton Uri, in Andermatt, am Fuße des Gotthard-Passes auf ca. 1.500 Höhenmeter gelegen, beginnt es nun erst jetzt musikalisch richtig spannend zu werden. Wenige Wochen vor Eröffnung der Wintersportsaison versprach das GOTTHARD Klassik-Festival auch in diesem Jahr zwei spannende Musikwochen mit einem gemischten Programm voller Jazz, Kammermusik und großen Orchesterkonzerten. Im Sommer ist der Kurort Andermatt ein Ausgangspunkt für Wandertouristen und das Zentrum von Reisen mit dem „langsamsten Schnellzug der Welt“, dem Glacier Express. Weltbekannt ist die Region auch für die reißenden Wasserfälle in der Schöllenenschlucht mit ihrer sagenhaften Teufelsbrücke. (Swiss Chamber Music Circle Konzerthalle Andermatt, 24. September 2021)
Die Festival Strings Lucerne gelten als eines der renommiertesten Kammerorchester Europas. Sie eröffneten die diesjährigen Festtage unter der musikalischen Leitung ihres Konzertmeisters Daniel Dodds mit Beethovens „Coriolan-Ouvertüre“. Das aufbrausende, mit sich selbst im inneren Zweifel gespaltene Wesen Coriolans lässt eine gewisse Analogie zum Temperament des Komponisten Ludwig van Beethovens erahnen. Dodds riss am Pult der ersten Violine sogleich mit einer energischen und kompromisslosen Interpretation sein Orchesterensemble, als auch das Publikum in seinen Bann. Die Festival Strings imponierten durch ihre temperamentvolle, dabei stets voranpreschende Spielweise in strenger Geschlossenheit. Stechend scharf zeigte sich auch der Klang der vor zwei Jahren eröffneten Konzerthalle Andermatt. Während sich das Publikum in andere Konzertsäle erst einmal reinhören muss, bewies sich die Akustik in Andermatt mit dem ersten Akkord sogleich als raumumfassend und fesselnd. In dem familiären Ambiente der 650 Gäste fassenden Konzerthalle traf jeder Instrumententon sofort ins Mark, jede Schattierung des Orchesters wurde deutlich. Hier triumphiert Andermatt als Spielstätte gegenüber anderen Schweizer Musikfestivals, bei denen sich das Publikum den akustisch schwierigeren Bedingungen eines Festspielzelts stellen muss.
Rudolf Buchbinder gilt im Alter von 74 Jahren als einer der bedeutendsten Konzertpianisten der Gegenwart. Er wurde insbesondere für seine Interpretation der Klavierkonzerte und Klaviersonaten Ludwig van Beethovens weltberühmt. Buchbinder hat mehrere Bücher über den Komponisten verfasst und wird als Botschafter und Vermittler seiner Musik angesehen. Dieser Pianist kann mit Fug und Recht als wahre Legende bezeichnet werden. Erst kürzlich erschein bei der Deutschen Grammophon seine neue Gesamtaufnahme der fünf Klavierkonzerte Beethovens. Diese Werke bilden das Fundament im Kanon der Klaviermusik und bedürfen keiner weiteren Erläuterung. In Begleitung der Festival Strings Lucerne spielte er an diesem Abend das Klavierkonzert Nr. 1 in C-Dur, op. 15, sowie nach einer Pause das Klavierkonzert Nr.3 in c-Moll, op. 37.

Rudolf Buchbinder bewies am Klavier sogleich seine technische Perfektion. Zugegeben, seine Beethoven-Interpretation ist weder subjektiv, noch besonders radikal oder neu. Es ist Buchbinders Klarheit im Klavierspiel, sein vitales Musizieren und seine klangliche Frische, welche berührt und begeistert und die seine Konzerte so einzigartig werden lassen. Als Vollblutmusiker lässt er jegliche Eitelkeit in der Garderobe zurück, in seinem Tastenschlag schwang stets der Geiste Beethovens mit.
Üblicherweise erlebt man Rudolf Buchbinder in Orchesterbegleitung in den gewaltigsten Konzertsälen der Welt, seine neue Gesamteinspielung wurde vor mehreren tausend Menschen im traditionsreichen Musikverein Wien und der Semperoper Dresden eingespielt. Das Konzert in Andermatt wurde so zur intensiven und persönlichen Erfahrung, ganz so als hörte man eine Referenzaufnahme mit Kopfhörern – das Orchester und der schwarze Flügel zum Greifen nahe. Denn die Grenzen zwischen Musiker und Publikum verschwammen an diesem Abend, der Klang umschlang von allen Seiten und ließ den Zuhörer ein Teil der Interpretation werden: Als Buchbinder zum Abschluss einer Kadenz ins Publikum zwinkerte, daraufhin die Orchesterbegleitstimme sanft mitsummte, entstand eine intime Nähe zu diesem Ausnahmepianisten. Der Rezipient im Publikum wurde zum Augenschließen verleitet, denn nur so konnte die notwendige Distanz zum Künstler – ja, sogar die Distanz zum Komponisten Ludwig van Beethoven, bewahrt bleiben. Solch ein exklusives musikalisches Erlebnis bietet einzig das GOTTHARD Klassik-Festival. Denn nur die beschauliche Konzerthalle Andermatt schafft solch einen intimen Raum und baut derartige Brücken zwischen Bühne und Zuschauerraum! Welch eine ergreifende, erschütternde und aufwühlende Konzerterfahrung!
Mit Spannung wird das Festivalprogramm für das nächste Jahr erwartet! Schon jetzt ist sicher, dass der Festivalintendant Prof. Jörg Conrad mit seinem Gespür für ein ausgefallenes Festivalprogramm auch zukünftig die Schweizer Alpenregion um musikalische Glanzstunden bereichern wird.
- Rezension von Phillip Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Gotthard Klassik-Festival
- Titelfoto: Gotthard Klassik-Festival 2021. Gala-Eröffnungskonzert vom 24. September 2021 in der Konzerthalle Andermatt. Die Festival Strings Lucerne unter der Leitung von Rudolf Buchbinder, Pianoforte. Konzertmeister Daniel Dodds, Violine. Bild: Peter Fischli / Gotthard Klassik-Festival