„AIDA“ an der Semperoper Dresden – überzeugend inszeniert

Semperoper Dresden/AIDA/Krassimira Stoyanova/Foto © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Aida, eine lyrische Oper (Opera lirica) in vier Akten von Giuseppe Verdi (1813-1901) nach einem Libretto von Antonio Ghislanzoni (1824-1893), wurde am 24. Dezember 1871 im Khedivial-Opernhaus in Kairo uraufführt. Khediven Ismail Pascha wollte die Eröffnung des Suezkanals 1869 und des neuen Khedivial-Opernhaus mit einem neuen Werk von Verdi feiern. Verdi konnte, trotz anfänglicher Skepsis, durch den Entwurf der Handlungsskizze überzeugt werden den Auftrag zu übernehmen. (Rezension der Vorstellung v. 13.3.2022)

 

 

Die neue Inszenierung, die ich am 13. März 2022 in der Semperoper Dresden erlebt habe, konzentriert sich auf die psychologischen Aspekte der Handlung und die Beziehungen zwischen den Protagonisten, sowie Verdi und Ghislanzoni dies vorgeschrieben haben. Die Regisseurin Katharina Thalbach hat eine Fantasiewelt mit ägyptisch inspirierten Flair konzipiert, in der die Intimität der Oper auf dem ersten Platz steht. In Verdi und Ghislanzonis imaginärem antiken Ägypten wird von dem Krieg erzählt, nur die Siegesfeierlichkeiten Ägyptens sind in der Musik zu hören und werden auf der Bühne gezeigt. Daher ist der Krieg nur der Hintergrund, vor dem sich die Liebe zwischen Charakteren verfeindeter Nationen abspielt. Im Gegensatz zu vielen anderen Inszenierungen, die dieses intime und liebliche Stück als einen Zirkus trivialisiert haben, konzentriert Thalbach sich auf die Gefühle von Liebe, Eifersucht, Groll, Hass und Traurigkeit der Charaktere in verschiedenen Stadien der Geschichte.

Semperoper/AIDA/Oksana Volkova, Francesco Meli/Foto © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Thalbach stellt die verbotene Liebe zwischen Radamès, dem ägyptischen Feldherr, und Aida, der äthiopischen Königstochter, die als Sklavin am ägyptischen Königshof behandelt wird, in den Mittelpunkt. Vor diesem Hintergrund wirkt die gewünschte Ehe zwischen Amneris, der Tochter des ägyptischen Königs, und Radamès anrührend als ihr bewusst wird, dass es nicht geschehen kann, weil er Aida liebt. Amneris‘ Eifersucht und Rache gegenüber dem Liebespaar ist furchterregend und ihre tief empfundene Reue, als Radamès zum Tode verurteilt wird, ist ergreifend. Übrigens stellt diese Inszenierung die harten Regeln der Priester sowie Aidas Dilemma zwischen der Liebe zu Radamès und den strengen Forderungen ihres Vaters Amonasro, König von Äthiopien, ihrer Heimat zu dienen, optimal dar. Natürlich sind all diese komplexen Situationen in der Musik und im Libretto offensichtlich, aber Thalbachs durchaus überzeugendes Konzept bringt sie auf eine Weise auf die Bühne, die den Zuschauer auf einer tiefgehenden Ebene berührt. Thalbach nutzt ihre eigene Kreativität, diese zärtliche Oper bezüglich des Librettos schlicht zu präsentieren.

Obwohl der Schauplatz im alten Ägypten liegt, sind die Erlebnisse von universeller Bedeutung, ein Umstand, dem diese Inszenierung voll und ganz gerecht wird. Die Aktualität dieser Oper wurde deutlich gemacht als die ukrainische Nationalhymne direkt vor dem Vorspiel erklang. Krieg, Neid, Durst nach Rache, Liebe zur Heimat als Gegensatz zu persönlichen Beziehungen sind die wichtigsten Botschaften dieser Oper. Am Ende verliert Ägypten seinen besten Feldherr und Äthiopien seinen König und seine Prinzessin; Amneris ist außer sich vor Traurigkeit.

Unter der Leitung von Maestro Christian Thielemann setzt diese Aufführung einen Maßstab für unsere Zeit. Um einen Vergleich zu finden müssen wir zu klassischen Referenzaufnahmen greifen, wie z.B. Arturo Toscanini (1949), Tullio Serafin (1955), Herbert von Karajan (1959), Georg Solti (1961) und Riccardo Muti (1974). Thielemann dirigiert mit Respekt für Verdis Partitur und Verständnis für die Komplexität und Subtilität der Orchestrierung und die damit verbundenen menschlichen Gefühle, die sie vermittelt. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung mit Richard Wagner und Anton Bruckner ist Thielemann in der Lage, die symphonischen Qualitäten von Verdis Orchesterpalette zu realisieren mit einer frischen Perspektive. Die Einleitung zum dritten Akt klingt so zauberhaft wie bei keinem anderen Dirigenten seit Karajan; der Triumphmarsch im zweiten Akt ist kraftvoll, aber nicht bombastisch. Inwieweit Verdi von Wagner beeinflusst wurde, bleibt umstritten, aber Thielemann beweist, dass die Vertrautheit mit dem einen die Interpretation des anderen verbessert. Durchwegs ist Thielemann meisterhaft detailliert und irgendwie magisch (er macht die thematischen sowie musikalischen Ähnlichkeiten zwischen Die Zauberflöte, Aida und Die Frau ohne Schatten deutlich).

Semperoper /AIDA/Krassimira Stoyanova, Chor/Foto © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

In der gleichnamigen Hauptrolle verkörpert die großartige Sopranistin Krassimira Stojanowa berührend Aidas Vulnerabilität sowie ihre Tapferkeit als sie von ihren Vater manipuliert wird, Radamès. dazu zu bringen, ein militärisches Geheimnis zu enthüllen, und später mit ihm im unterirdischen Gewölbe zu sterben. Stojanowas emotionale Tiefe, Lieblichkeit und Gesangstechnik machen sie zu einer idealen Vertreterin der Rolle, die eine einzigartige Kombination aus Unschuld und Weisheit erfordert. Man merkt, Stojanowas Identifizierung mit der Rolle sowie ihre Expertise in diesem Repertoire an.

Der Tenor Francesco Meli als Radamès begleitet Stojanowas Aida zauberhaft mit seiner sanften Stimme und Bühnenpräsenz. Bei Meli ist Radamès weniger ein Krieger als ein Liebhaber, der hin- und hergerissen ist zwischen seiner Pflicht gegenüber dem ägyptischen Königreich und seiner Liebe zu der gefangenen äthiopischen Prinzessin. Seine wohlklingende Stimme erinnert etwas an Carlo Bergonzi in derselben Rolle in der berühmten Aufnahme unter Karajans Leitung. Meli bietet einen sensiblen Blick auf einen Charakter, der hauptsächlich ein Liebhaber ist, aber auch als Kriegsheld interpretiert werden könnte.

Eine große Entdeckung des Abends war die Mezzosopranistin Oksana Volkova, die eine Amneris porträtiert, die abwechselnd süß ist, wenn sie glaubt, Radamès Hand für die Ehe sichern zu können, und erschreckend gehässig und rachsüchtig, als ihr klar wird, dass er Aida liebt, eine ausländische Sklavin, die sie für eine unwürdige Rivalin hält. Volkovas ausdrucksstarker Gesang und Schauspielkunst stellen die Reue, als Amneris das von ihr mit herbeigeführte Todesurteil gegen Radamès anhört, zutiefst bewegend dar.

Semperoper/AIDA/Oksana Volkova, Andreas Bauer Kanabas  Georg Zeppenfeld, Tänzer*innen/Foto © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Der Bass Andreas Bauer Kanabas singt die kleine Rolle des ägyptischen Königs mit Stärke und einer Sensibilität, die diesem ansonsten einseitigen Charakter eine gewisse Sympathie entgegenbringt. Georg Zeppenfeld porträtiert den herzlosen, gesetzestreuen Oberpriester Ramfis als Janusköpfigen Ratgeber und Richter, der zunächst Radamès kühne Siege gegen den Feind lobt, sich aber kaltblütig gegen Radamès, als er sein Vaterland unbewusst verrät, wendet. Zeppenfelds kraftvolle Bassstimme, seine herrische Körpersprache und sein Gesichtsausdruck verleihen dem Charakter, der sich böswillig an die Regeln hält, eine erschreckende Schärfe. Der Bariton Quinn Kelsey vermittelt, dass Amonasro, König von Äthiopien und Aidas Vater, eher ein Manipulator ist, der nicht aus Liebe zu seiner Tochter handelt, sondern sie benutzt, um seine eigenen Interessen voranzutreiben.

Ezio Toffoluttis sparsames Bühnenbild in kleinen Räumen mit goldenen Hintergründen, Pyramidenformen, einfachen, aber farbenfrohen Kostümen und strategischen Gegenständen deuten auf das altägyptische Thema hin, ohne auf exotische Klischees oder extravagante Effekte zurückzugreifen, die von der Handlung und Charakterentwicklung ablenken. Da diese Aufführung von ARTE aufgenommen wurde, ist es zu hoffen, dass die Inszenierung eine neue Generation von Aida-Liebhaber gewinnen wird.

Giuseppe Verdi, Aida mit Andreas Bauer Kanabas (Der ägyptische König), Oksana Volkova (Amneris), Krassimira Stoyanova (Aida), Francesco Meli (Radamès), Georg Zeppenfeld (Ramfis), Quinn Kelsey (Amonasro), Simeon Esper (eine Bote), Ofeliya Pogosyan (eine Tempelsängerin), Sinfoniechor Dresden – Extrachor der Semperoper Dresden, Sächsischer Staatsopernchor Dresden, Sächsische Staatskapelle Dresden, Christian Thielemann.

 

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