Umarmen wär mal wieder schön!

Detlef Obens/DAS OPERNMAGAZIN /Foto @ Jan-Philipp Behr

In den letzten Wochen habe ich einige Gespräche geführt, Email- und Chatkontakte gehabt, und immer wieder kam es dabei zu einem Punkt, der uns offenbar in Zeiten der Coronakrise sehr persönlich trifft. Das Fehlen von menschlicher Nähe, das schlichte sich einfach mal die Hand reichen – und – von einer freundschaftlichen Umarmung gar nicht erst zu reden. Es macht uns Menschen aus, dass wir das Zu- und Miteinander suchen. Das Trennende wollen wir nicht. Und das macht uns zu schaffen. Jeden Tag, den wir in dieser Krise unter den gegebenen Auflagen leben müssen, ein bisschen mehr. Aber es sagt auch viel über uns aus, was wir vielleicht allzu häufig in den Zeiten vor Corona vergessen hatten: Wir sind eine Gemeinschaft. Wir sitzen in einem Boot. Und wenn uns diese Krise eines lehren kann, dann ist es wohl auch die Erkenntnis demnächst immer zuerst das Verbindende zu sehen, als das scheinbar Trennende.

 

Wir lernen schnell. Wir setzen um, was uns aus gesundheitlichen Gründen geraten und empfohlen wird. Wer hätte vor wenigen Wochen noch gedacht, dass wir folgsam in 2-Meter-Abständen an Supermarktkassen stehen würden, beim Spaziergang wie ferngelenkt dem entgegenkommenden Passanten auf Sicherheitsentfernung ausweichen, kritische Blicke auf „Gruppen“ von mehr als zwei Personen haben würden und uns auch im ganz privaten Lebensraum, so gut es geht, einigeln? Alles das machen wir in der kollektiven Erwartung und Hoffnung auf Entspannung der Krise, auf ein Ende der Pandemie. 

Wir spüren auf einmal was es bedeutet, nicht einfach das machen zu können, wonach uns gerade ist. Dabei lockt gerade das Wetter nach draußen. Fast quälerisch die Sonne und die warmen Temperaturen für uns, die wir doch gerade an solchen herrlichen Frühlingstagen dann besonders aktiv und unternehmungslustig sein wollen. Die Natur um uns herum blüht gerade wie jedes Jahr um diese Zeit voll auf. Die ersten Vögel fangen an ihre Nester zu bauen. Es ist wie immer. Eigentlich. Und ich denke nach. Denke auch darüber nach, wie sehr ich diese Momente jetzt wahrnehme. Sonderbar, war es doch schon viele Jahre immer so. Aber ich bin sicher, dass ich diese Eindrücke nicht vergesse. 

Vieles ist gerade ganz anders als es sonst war. Manches ist geradezu surreal, seltsam, unerklärlich. In meinen Gesprächen mit Künstlern, die aktuell unter den finanziellen Auswirkungen der Theaterschließungen bangen, kommen wir immer schnell auf menschliche Themen. Themen, die augenblicklich verbinden weil sie uns alle betreffen. Der Wunsch nach Normalität, die Sorge um die eigene Gesundheit und von den Menschen, die uns nahe stehen, die Frage nach dem Zustand der Gesellschaft, wenn die eigentliche Krise überwunden ist und wie dann alles sein wird. Wird alles so sein wie immer oder nehmen wir neu gemachte Erfahrungen mit in die Zeit nach Corona? Liegt vielleicht sogar eine positive Kraft in allem, was wir nun erleben? Ich denke ja, wenn wir dann die richtigen Schlüsse ziehen werden, die fälligen Fragen stellen und auch bereit sind neue Wege zu gehen. Und das in vielen Bereichen. Nicht nur im ureigenen persönlichen Bereich.

Im persönlichen Bereich machen wir neue Erfahrungen. Darunter auch welche, die wir nicht machen wollten. Erfahrungen zu Lebenssituationen, die uns auf völlig natürliche Weise bekannt sind. Stationen des Lebens. Erfreuliche und traurige. Wie Geburt und Tod. Es ist gerade nicht mehr selbstverständlich, dass werdende Väter in jedem Krankenhaus ihrer Partnerin während der Geburt des gemeinsamen Kindes zur Seite stehen können. Und auch Trauerfeiern werden je nach Bundesland – und/oder Gemeinde – reglementiert und die Anzahl der Trauergäste klein gehalten. Damit entstehen in Zeiten der Krise auch sehr persönliche Situationen, die unwiederbringlich sind. Uns sogar im gefühlsmäßigen, und damit sehr persönlichen Lebensbereich, belastend treffen. Freude, aber auch Trauer, lassen sich schwerlich kontrolliert erleben. Aber die aktuelle Situation in der wir leben, zwingt auch dazu auf eine andere Weise Freude und Trauer zu erleben.

Ob ich das auch erleben wollte? Eigentlich nicht. Aber die Umstände waren so wie sie waren. Vor fast genau einem Monat verstarb meine Mutter nach kurzer, schwerer Krankheit. Wir hatten sie für die letzten Tage ihres Lebens in das Seniorenheim gebracht, in dem ihr Mann, mein Vater, seit 2 Jahren wegen körperlicher Probleme lebt. Und rückblickend war es eine wundervolle Regelung, dass diese beiden, die nächstes Jahr 70 Jahre verheiratet gewesen wären, sich noch einmal nahe kommen konnten. An ihrem Sterbebett sass ihr Paul stundenlang, obgleich er vor Rückenschmerzen kaum noch sitzen konnte, aber er wollte nicht von ihrer Seite weichen. Uns drei Kinder sah sie in ihren letzten Lebenstagen nur noch mit Mundschutz und in grünen Plastikkitteln. Sie wusste um die Vorsichtsmaßnahmen des Pflegeheimes zu Zeiten von Corona. Umarmen durfte man sich nicht. Aber es finden sich immer Wege Zuneigung auszudrücken. Wenige Tage später stand der erste Bestattungstermin an. Er musste wegen der strengen Auflagen verschoben werden. Es folgte dann ein neuer Termin zur Urnenbestattung am 19. März. Eine Frau, die drei eigene Kinder mit ihren Partnern, 10 Enkel und 5 Urenkel hinterliess, einer Familie von weit über 20 Menschen, wurde auf ihrem letzten Weg von vier engen Angehörigen begleitet. Es gab nur eine kleine, aber würdevolle, Ansprache und das war es dann. Neben meiner Trauer lastete ein bleischweres Gefühl der Enttäuschung auf mir, dass wir ihr nicht einmal ein letztes Lied mit auf die Reise geben konnten. Im Altenheim sass währenddessen mein Vater. Dort war es mittlerweile zur Besuchssperre zum Schutz der alten und besonders gefährdeten Bewohner gekommen. Er wartete dort den ganzen Vormittag vergebens auf das Taxi, dass ihn zur Beerdigung seiner Gisela fahren sollte. Es kam nicht. Er durfte das Haus nicht verlassen. Die Bestimmungen waren verschärft worden. Er trauerte allein.

Es sind Geschichten und persönliche Erlebnisse wie diese, die mich und sicher auch viele von denen, die es lesen, nachdenklich machen und nach dem Sinn fragen lassen. Die Antwort kann nur sein, dass wir alle aus dieser sehr gefühlsintensiven Zeit die für uns richtigen Schlüsse und Lehren ziehen. Zu begreifen, dass vieles in unserem Leben, was wir kennen und schätzen, eben nicht selbstverständlich ist. Das wir neben dem strengen und kritischen Blick auf uns selbst dabei nicht den gerechten und nötigenfalls mitfühlenden Blick auf unser Gegenüber außer acht lassen. Lernen aus dieser Krise kann auch bedeuten, über so manches in Zukunft anders, vielleicht gelassener oder auch kritischer, zu denken. Dabei aber nicht zu vergessen, dass uns alle viel verbindet. Unsere Emotionen sind nur ein Teil davon.

Die Wissenschaftler der bedeutendsten Universitäten der Welt forschen mit Hochdruck nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus SARS-CoV-2, dem Erreger von Covid-19. Sie werden erfolgreich sein, auch wenn es uns noch eine zeitlang Geduld, Disziplin und Solidarität abverlangt. Sie werden vermutlich aber vorher noch Medikamente erforscht und zu den Menschen gebracht haben, die schwere Krankheitsverläufe mildern, bestenfalls heilen, können. Ich bin da zuversichtlich und hoffnungsvoll. Denn auch Hoffnung ist ein Wesenszug von uns Menschen. Einer, der uns auch verbindet. Und der Mut macht.

Wir können unsere Solidarität und Verbundenheit mit unseren Mitmenschen dadurch zeigen, dass wir uns einfach eine Weile weniger zeigen und die Kontakte auf das Telefon oder das Internet verlegen. Wir schützen damit uns und andere und am Ende haben wir damit den erwünschten Erfolg. Die allermeisten Menschen handeln gerade auf diese Weise sehr solidarisch und mitmenschlich. Auch eine der jetzigen Erfahrungen, die es wert ist, sie hoch anzuerkennen. Wir spüren aber auch gleichzeitig, wie uns das Miteinander fehlt. Schon jetzt, nach nicht einmal drei Wochen. Mit diesem kollektivem Erleben werden wir auch die Folgeprobleme dieser Pandemie angehen können. Solidarisch und miteinander.

Ja, umarmen wär mal wieder schön! Die Zeit dafür kommt ganz sicher wieder. Und dann erleben wir die Umarmung sehr intensiv. Sehr verbindend. Sehr menschlich. Und alles andere als selbstverständlich.

 

  • Detlef Obens / DAS OPERNMAGAZIN – 9. April 2020

 

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2 Gedanken zu „Umarmen wär mal wieder schön!&8220;

  1. Lieber Detlef, vielen Dank, daß Du uns an deinen Gedanken zu den derzeiten äußeren und inneren Erfahrungen teilhaben läßt!
    Ja, das wünsche ich mir auch ganz besonders: daß wir Menschen jetzt und in Zukunft zuallererst auf das uns ALLE Verbindende schauen und dann natürlich auch unsere Handlungen zuerst daran orientieren🙏❤🌈.
    Im Geiste der #Solidarität
    Und der Hoffnung
    Renate

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