Das Opern – und Kulturmagazin im Internet von Detlef Obens
Theater Aachen: Grosse Oper an kleinem Haus – „Dialogues des Carmélites“ von Poulenc / Premiere am 15.04.2018
Blanche hat Angst. Todesangst. Aber die Überwindung ihrer Ängste gelingt im Kreis der Karmeliterinnen. Tosender Applaus und Ovationen für eine grossartige Premiere. Hier hat alles gestimmt. Gesang, Musik und Regie verbinden dieses sehenswerte Werk zu einem Gesamterlebnis, das auch die Anreise lohnt. Dem Theater Aachen gelingt die Inszenierung dieser Oper in beachtenswerter Weise! ALLES RICHTIG GEMACHT!!!
Poulencs Dialogues des Carmélites am Theater Aachen
Die Ordensschwester ‚Mutter Maria von der Menschwerdung’ verfasste einen Bericht über ein 1794 erfolgtes Massaker an 16 Mitschwestern in den Wirren der Französischen Revolution, dem sie selbst als Einzige entgangen war.
Dieser Bericht führte 1906 zur Seligsprechung dieser Nonnen, die sich trotz Lebensbedrohung geweigert hatten, ihre Gelübde zu brechen.
Einem größeren Publikum wurde diese Geschichte durch die literarische Aufarbeitung von Gertrud von le Forts Novelle DIE LETZTE AM SCHAFOTT bekannt. Der Komponist Poulenc lernte den Stoff durch das nach der Novelle geschriebene Bühnenstück DIE BEGNADETE ANGST von Bernanos kennen.
Francis Poulenc (*1899, +1963), aus katholischer Familie, fühlte sich von der Handlung besonders angesprochen. Er verwarf den Vorschlag einer Auftragsarbeit (Ballettmusik) für die Mailänder Scala und komponierte statt dessen seine Oper DIALOGUES DES CARMELITES, die dort 1957 zur Uraufführung kam.
Die Oper handelt von einer erfundenen jungen Adligen, die von Lebensängsten gepeinigt keinen anderen Weg als die Flucht in den strengen Orden der Karmeliterinnen sieht, um den Bedrohungen der Welt (zur Zeit der Französischen Revolution) zu entfliehen.
Dort findet sie unter dem Namen ‚Blanche von der Todesangst Christi‘ Aufnahme. Eine andere Novizin, Konstanze, berichtet ihr von ihrer Vision, am selben Tag wie Blanche zu sterben.
Die alte Priorin, die seinerzeit selbst den Ordensnamen „von der Todesangst Christi“ anzunehmen wünschte und sich daher Blanche besonders nahe fühlt, segnet Blanche, bevor sie mit einer Vision von der Plünderung des Klosters und in der Leugnung Gottes stirbt.
Nach der Auflösung des Klosters durch das Revolutionstribunal geht Blanche als Magd verkleidet zurück in ihr Elternhaus. Ihr Vater wurde inzwischen hingerichtet; ihr Bruder ist ins Ausland geflohen. Dort erfährt sie vom Schicksal ihrer zum Tode verurteilten Mitschwestern, die sich geweigert hatten das Kloster zu verlassen. Einzig Mutter Maria von der Menschwerdung, die Novizenmeisterin, wurde aus dem Kloster gesandt, um Blanche zu schützen, so dass sie der Verurteilung entging.
Blanche fühlt sich ebenfalls dem gemeinsam getroffenen Gelöbnis des Martyriums verpflichtet. Sie folgt dem Karren der zum Tode Verurteilten und geht als letzte freiwillig aufs Schafott. Sie hatte durch ihre Gegenwart beim Tod der alten Oberin den Glauben an das richtige Sterben gewonnen, so dass sie ihren Mitschwestern angstfrei folgen konnte.
In den Gesang des „Salve Regina“ der Ordensschwestern erklingt als Schockeffekt regelmäßig das Niedersausen des Fallbeils, worauf jeweils eine weitere Ordensschwester verstummt.
In der Widmung des Werks nennt Poulenc Monteverdi, Verdi und Mussorgski als seine Vorbilder für dieses Werk, dies vor allem in der Dominanz der Stimme über das trotz der großen Besetzung nie in den Vordergrund rückenden Orchester, in der Klarheit der Form und der metrisch-rhytmischen Behandlung der Sprache.
Nicht ohne Grund gelten die GESPRÄCHE DER KARMELITERINNEN als eine der schönsten Opern des 20. Jahrhunderts.
Immer tonal bleibend zeichnet Poulenc in seinen Werken auf geniale Weise eine Zusammenstellung an Kammermusik, Chören, mystischer Kirchenmusik, Konzert und Instrumentalmusik, die lange in ihrer unplakativen Modernität unterschätzt wurden.
Und auch in dieser Oper erleben wir die neoromantische, durch und durch betörend schöne Klangsprache des Komponisten.
Die Inszenierung von Ute M. Engelhardt, seit 2013 freischaffende Regisseurin, geht unter die Haut. Wenn sich auch die Idee einer über das Libretto hinausgehende Beziehung zwischen Mutter Marie und dem Hause de La Force nicht ganz erschließt, ist alles Weitere durchgehend gelungen. Besonders eine hinzugefügte Figur, ein weiß gekleidetes Mädchen als alter ego für Blanche, ihre Todesangst symbolisierend und nur für sie sichtbar, ist stark. Anfänglich erschrickt Blanche bei jeder Begegnung; später tanzt sie mit dem (inneren) Kind.
Die bis heute große Aktualität des Stückes („Märtyrertode“ durch Sprengstoffgürtel sind tagesgeschehen) wird nicht durch Hinzufügungen, sondern durch Weglassen verdeutlicht. Bühne und Kostüme von Jeannine Cleemen und Moritz Weißkopf – seit 2011 entwerfen die Beiden Bühnenbild und Kostüm für Schauspiel, Musik- und Tanztheater zusammen – zeichnen sich durch Schlichtheit und Zeitlosigkeit aus. Einfache Gewänder, einem Ordenshabit ähnlich, und Kleidung für Chor und Volk aus verschiedenen Jahrhunderten und Moden, lösen das Geschehen aus dem historischen zeitlichen Rahmen. Zwei Türme, die immer wieder verschoben die verschiedenen Handlungsorte auf ansonsten sehr schlicht gehaltener Bühne andeuten, sorgen für wechselnde Perspektiven.
Die Stimmen sind stark!
Marquis de La Force Andrew Finden
Der Australier studierte mit zahlreichen Stipendien an der Londoner Guildhall School of Music and Drama. Er ist erstmalig Gast am aachener Theater. Sein warmer Bariton passt gut zur Figur des liebenden Vaters.
Blanche, seine Tochter wird von Suzanne Jerosme gesungen. Stimmlich wie persönlich eine Idealbesetzung. Die französische Sängerin, Sopran, ist seit 2015 immer wieder in Aachen zu hören gewesen. Inzwischen ist sie festes Mitglied des Ensembles.
Der Chevalier, Bruder von Blanche, wird von Alexey Sayapin gesungen. Der junge russische Tenor, der auch in der vergangenen Spielzeit bereits als Gast gesungen hat, ist auch in dieser Spielzeit in verschiedenen Rollen zu hören.
Madame de Croissy, Priorin Katja Starke
Die Mezzosopranistin Katja Starke, ein weiterer Gast des Hauses, war bereits als Kabanicha in Janáceks »Katja Kabanowa« zu hören. Ihre Partie der sterbenden Priorin ist einer der dramatischen Höhepunkte des Abends.
Madame Lidoine, die neue Priorin Katharina Hagopian
Der Sopran gehört seit der Spielzeit 2011/12 zum Ensemble des Theater Aachen.
Ebenfalls sehr gut!
Mutter Marie, Novizenmeisterin Irina Popova ist als strenge, aber mütterlich besorgte Novizenmeisterin großartig, aber vor allem auch glaubhaft in ihrer Rolle.
Schwester Constance, Novizin Faustine De Monès verstärkt als Gast das Aachener Ensemble. Sie ist der lebhafte und lebensbejahende Gegenpart zur angstbesetzten Blanche. Wie zwei Schwestern singt sie zusammen mit Susanne Jerosme auf der Bühne. Auch sie ein Besetzungsglück.
Die kleineren Rollen werden aus dem Ensemble, dem Opernchor Aachen und dem Extrachor Aachen besetzt.
Mutter Jeanne Anne Lafeber
Schwester Mathilde Margarita Dymshits
Der Beichtvater des Karmel Patricio Arroyo
1. Kommissar Hans Schaapkens
2. Kommissar und Thierry, Diener Rein Saar
Ein Offizier und Javelinot, Arzt Stefan Hagendorn
Kerkermeister Pawel Lawreszuk
Die Musikalische Leitung hat Justus Thorau
Seit 2014 ist Justus Thorau als 1. Kapellmeister und stellvertretender GMD am Theater Aachen engagiert. Die Spielzeit 17/18 leitet er als kommissarischer GMD. Er holt aus dem Sinfonieorchester Aachen heraus, was an Kraft und Stärke heraus zu holen ist. Als eingespieltes Team gelingt eine ausgezeichnete musikalische Leistung, die die Dramatik des Handlungsgeschehens nachhaltig unterstützt.
Choreinstudierung Elena Pierini
Dramaturgie Christoph Lang
In der Pause nach dem 2. Akt diskutieren vor dem Theater Musikwissenschaftler aufgeregt jede Sechzehntel-Note. Viel bedeutsamer erscheint mir jedoch die Einschätzung zweier Ordensschwestern, die das Theater Aachen um Beratung gebeten hatte, und die der Einladung zur Premiere gefolgt waren: Als am Ende der Oper der Vorhang fiel, – es war reichlich Blut geflossen – klatschten auch sie begeisterten Applaus und lobten die Aufführung. Auch bei ihnen war der Gänsehaut-Effekt nicht ausgeblieben. Eine solche Oper kann den Glauben stärken.
Anhaltender Applaus für die Sänger, die Musik und das Produktionsteam.
Vor nicht ganz ausverkauftem Haus ging ein Opernabend zu Ende, der in der Folge ausverkaufte Vorstellungen verdient hätte.
Dialogues des Carmélites
Oper von Francis POULENC
Libretto vom Komponisten
Uraufführung der istalienischen Fassung am 26. Januar 1957 im Teatro alla Scala, Mailand
Uraufführung der französischen Originalfassung am 21. Juni 1957 am Theatre de l‘Opera, Paris
Premiere So 15. April 2018, Bühne
Dauer ca. 3 Stunden, 10 Minuten
Pause nach dem 2. Akt
-weitere Termine, Infos und Karten unter diesem LINK
*Rezension der besuchten Premiere am Theater Aachen von Ingo Hamacher
(Titelfoto: Dialogues des Carmélites/Theater Aachen/Faustine De Monès; Suzanne Jerosme/Foto @ Ludwig Koerfer)