Szenen einer (gewalttätigen) Ehe: „Otello“ an der Bayerischen Staatsoper

Bayerische Staatsoper/OTELLO/Arsen Soghomonyan, Rachel Willis-Sørensen/ Foto @ Wilfried Hösl

Psychodrama statt Heldenepos: Irgendwo zwischen Traumafolgestörungen und verletzter Männlichkeit siedelt Amélie Neumayer ihre aktuelle Inszenierung von Giuseppe Verdis „Otello“ in der Bayerischen Staatsoper an. Doch anstelle von tiefenpsychologischen Analysen wirkt Amélie Niermeyers Interpretation in der aktuellen Wiederaufnahme so grau wie das Bühnenbild, sodass die Musik unangefochten in dem Mittelpunkt rückt. (Besuchte Vorstellung am 2. Juni 2022)

 

 

Als sich der Vorhang hebt, peitschen die Stürme durch das Nationaltheater am Max-Joseph-Platz. Gleich zu Beginn schafft Dirigent Daniele Rustioni einen großen Klangrausch. Die Wellen donnern förmlich durch das Rund des Opernhauses. Es pfeift und kracht, doch niemals wird es lärmend. Unermüdlich und mit vollem Körpereinsatz treibt Rustioni, der seit dieser Saison Erster Gastdirigent des Hauses ist, das Orchester der Bayerischen Staatsoper in den ersten Momenten an. Auf der Bühne sehen die Zuschauer:innen währenddessen eine verzweifelte Desdemona sehnlich ihren geliebten Otello erwartend. Sie ist gefangen in ihrer Angst und den kalten und kahlen Räumen ihres Hauses. Alle vier Akte werden sich hier in ihrem Schlafzimmer abspielen. Kein Schwert, nichts heldenhaftes, kaum große Chorszenen – in Amélie Niermeyers Inszenierung wird „Otello“ zu einem Kammerspiel, das Szenen häuslicher Gewalt vor großer Klangkulisse zeigt.

Bayerische Staatsoper/OTELLO/A. Soghomonyanm, L. Salsi/Foto @ Wilfried Hösl

Noch immer stirbt jeden dritten Tag in Deutschland eine Frau durch die Hand ihres Partners oder Ex-Partners. Motiv: Eifersucht. Allein diese Tatsache zeigt, wie beunruhigend aktuell das Thema von „Otello“ noch immer ist. In ihrer aktuellen Inszenierung von Verdis Spätwerk, die vor vier Jahren Premiere feierte, verlegt Regisseurin Amélie Niermeyer die Geschehnisse aus dem 16. Jahrhundert irgendwann in die letzten Jahrzehnte. Hier ist Otello kein strahlender Feldherr, sondern ein scheiternder Ehemann Typ Finanzbeamter im grauen Anzug. Passend dazu gestaltet Arsen Soghomonyan seinen Otello mit dunkel-baritonaler Färbung und wenig Heldenglanz. Es ist eine Gestaltungsweise, die Traditionalisten wenig zusagen wird, aber zur Inszenierung Niemeyers passt. Hin und wieder fragt man sich dennoch, was diesen Otello eigentlich so besonders und anziehend machen soll. Soghomonyans einleitendes „Esultate“ ist lautstark, gefestigt und erregt Aufsehen. In der Folge jedoch geht der armenische Tenor in der Inszenierung darstellerisch etwas verloren, gesanglich ist er weiterhin solide kraftvoll. Erst mit Fortschreiten des Abends findet Soghomonyan sich immer besser in seiner Rolle zurecht. Als Otello steigert er sich immer weiter in seine von Jago geschürte Eifersucht hinein, die schließlich zum Mord an seiner Frau führen wird.

Bayerische Staatsoper/OTELLO/R. Willis-Sørensen/Foto @ Wilfried Hösl

Als Desdemona steht an diesem Abend Rachel Willis-Sørensen auf der Bühne. Sie hat die undankbare Aufgabe Anja Harteros zu ersetzen, die die aktuelle Aufführungsserie von „Otello“ an der Bayerischen Staatsoper absagte. Erst vor einem guten Dreivierteljahr gab die amerikanische Sängerin in Rollendebüt als Desdemona an der Wiener Staatsoper. Im bayerischen Pendant findet sie sich in einer besonderen Inszenierung wieder. Die weibliche Hauptrolle ist von Niermeyer als starke Frau angelegt, die in den Mittelpunkt der Oper gerückt wird. Gerade in den ersten Momenten, die das Innenleben der Desdemona zeigen, verlangt die Regisseurin der weiblichen Titelpartie mit ihrer Interpretation großes darstellerisches Können ab. Es ist in diesen Szenen, da Willis-Sørensen nur schauspielern und nicht singen darf, da sie mit ihrer Rolle scheinbar fremdelt. Erst als sie auch stimmlich in Erscheinung treten darf, findet sie in den Abend. Ihr Gesang ist rein und mühelos in den hohen Tönen und doch voll dramatischer Intensität. Ob im „Ave Maria“ oder im Lied von der Weide, es ist vor allem in den feinen und lyrischen Momenten, in denen die Sängerin glänzt.

Währenddessen brilliert Luca Salsi als Jago an diesem Abend durchweg. Mit vielfarbiger Nuancierung schafft er ein beeindruckendes Rollenportrait. Dieser Jago ist nicht von Beginn an die Inkarnation des Bösen, sondern ein Aufrührer mit allzu großer Lust an der Manipulation. Einschmeichelnd, intrigierend, gnadenlos brutal – scheinbar mühelos meistert Salsi alle vokalen Herausforderungen seiner Partie und zeigt dabei eine große psychologische Durchdringung seiner Rolle. Stimmgewaltig und mit großer dynamischer Bandbreite nimmt er das Publikum mit auf die Reise seines teuflischen Erkenntnisprozesses. Hier ist sein zugleich erschreckendes aber auch prachtvolles „Credo“ kein Manifest, sondern die erste Ausformulierung des Bösen, das schließlich zum Tod zweier Menschen führen wird.

Bayerische Staatsoper/OTELLO/Foto @ Wilfried Hösl

Besonderer Höhepunkt des Münchener „Otellos” sind die Auftritte des stimmgewaltigen Staatsopernchores, der sich ebenso effektbewusst und präzise wie vielschichtig sein eigenes Scheinwerferlicht sucht, da von der Regie eher in den Halbschatten gedrängt. Den passenden und ausdifferenzierten Klangteppich dafür schafft Daniele Rustioni unterdessen gemeinsam mit dem Bayerischen Staatsorchester. Transparent und strahlend wechselt er dabei gekonnt zwischen aufgepeitschten Crescendi und zurückgenommen-lyrischen Passagen, die der gebürtige Mailänder vor allem in der zweiten Hälfte ohne Taktstock allein mit der Kraft seiner Hände formt. Er gestaltet, um- und untermalt, stets auf die Sänger:innen bedacht, die er – außer in den erforderlichen Momenten – nicht überstrahlt. Ein Dirigat, das Lust auf mehr macht.

 

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2 Gedanken zu „Szenen einer (gewalttätigen) Ehe: „Otello“ an der Bayerischen Staatsoper&8220;

  1. Mit Verlaub: Es wäre nicht zuviel verlangt, als Rezensentin wenigstens die Namen der Künstler korrekt zu schreiben. Die Regisseurin des OTELLO heisst weder Neumeyer noch Niemeyer, sondern Amélie Niermeyer!

    1. Vielen Dank für Ihren freundlichen Hinweis. Der Name der Regisseurin wurde korrigiert. Solche Fehler sind durchaus ärgerlich, können aber immer mal passieren. Von daher bin ich froh, so aufmerksame Leser wie Sie zu haben, die uns darauf hinweisen. (Detlef Obens)

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