Wenn Bilder, wie auch Töne, Herz und Seele überschwemmen, so dass Worte erst nur schweigen …
… in der Hoffung ihre später erweckte Macht, wird der Ausdruckskraft von Giuseppe Verdis „Messa da Requiem“, gerecht. Aber auch der Leistung von Orchester, Chor, Solisten, sowie der szenischen Umsetzung durch Regisseur Calixto Bieito und seinem Team.
Denn die Staatsoper Hamburg entschied sich gegen eine konzertante Aufführung und betraute den Spanier Calixto Bieito mit der Bühnenfassung. Einen Regisseur, der bekannt ist, für emotional provokative Inszenierungen, die Sänger wie Publikum oft an die Grenzen des Erträglichen bringen. Doch die Rechnung ging auf.
Es bleibt unbestritten, dass eine konzertante Aufführung einer oder gerade auch dieser Totenmesse, die fast hypnotische Wirkung der Musik noch dadurch verstärkt, dass sich das Publikum einem Meer aus fast ausschließlich schwarz gekleideten Menschen gegenüber sieht. Der Chor thront fast über Orchester und Solisten, ansonsten befinden sich alle Beteiligten auf einer Ebene, mehr oder weniger auf Augenhöhe mit dem Zuschauer. Auch der Klang des Orchesters ist ein anderer, als wenn er „nur“ aus dem Graben kommt. Und ist diese kompakte „Gefangennahme“ der Aufmerksamkeit der Zuschauer nicht die Absicht von Werken wie diesem? Steht nicht zu befürchten, dass ein in Szene setzen ablenkt und die Wirkung schmälert. Andererseits wird die „Messa da Requiem“ nicht selten Verdis „größte Oper“ genannt. Der berühmte Dirigent und Liszt Schwiegersohn, Hans von Bülow, ging soweit das Werk als „Oper im Kirchengewand“ zu titulieren. Und wirklich, klingen nicht selten Melodien an, die an Arien erinnern, die Verdi als wundervollen Opernkomponisten auszeichnen. Bieito gelang es auch tatsächlich dem durchweg begeisterten Publikum ein homogenes, musikalisch wie visuell an die Nieren gehendes Stück zu präsentieren, das uns auf empathische, alles andere als skandalöse und gerade darum überwältigende Art, mit dem Thema „Tod“ konfrontiert.
Das Stück beginnt in Stille. Sopranistin Maria Bengtsson sitzt auf dem Souffleurkasten, spielt mit einem Ball. Nach und nach gesellen sich ein Junge aus der Kinderstatisterie, Gábor Bretz (Bass), Nadezhda Karyazina (Mezzosopran) und Tenor Dmytro Popov dazu. So entspinnt sich im ersten Teil, dem Introitus eine familiäre, spielerische Szene. Der bühnenbildnerische Hintergrund besteht aus mehreren von Susanne Gschwender entworfenen Holzelementen, die verschiebbar und vertikal teilbar sind. Zu Beginn nehmen sie die gesamte Bühnenbreite ein, erinnern an eine edle Wohnwand mit quadratischen Fächern, sind aber der häuserähnlichen Bauweise des Friedhofs „Cementiri de Montjuïc“ in Barcelona nachempfunden und von hinten auch beleuchtet wie eine Kathedrale.
Die Idylle wird dann mit dem Dies Irae zu einer Szene des Schreckens, der Verzweiflung als der Chor Furien gleich regelrecht über die Sopranistin herfällt. Maria Bengtsson kommt so die Rolle der Hauptleidenden zu. Der Junge ist inzwischen wieder von der Bühne verschwunden. Anfangs ist es nur eine Vermutung, die später Gewissheit wird: Er ist die Hauptperson, der besondere Tote unter vielen zu Betrauernden. Ansonsten überlässt Bieito der Vorstellungskraft und dem Einfühlungsvermögen des Publikums. Er gibt dezente Hinweise, gibt dem der es möchte, zahlreiche Gelegenheiten, den Blick schweifen zu lassen, um zu entdecken, dass Mezzosopran und Tenor sich selbst verletzen, sich auseinanderleben und auch bei Bass und Tenor kriselt es.
Diese Unaufdringlichkeit in der bildlichen Umsetzung bewegt umso mehr, da sie nicht Aktion, sondern Stimme und Musik im Vordergrund lässt:. Ganz nach dem Motto „Prima la Musica“. Wer einen Skandal entgegengefiebert hat, wurde sicherlich enttäuscht. Wer jedoch jenes Fieber der Entrücktheit mag, das auch in eigenen Emotionen seinen Ursprung hat und für wohlige Gänsehaut und Tränen sorgt, der ist hier genau richtig. Besonders auch wenn er es schätzt nichts übergestülpt zu bekommen.
Es ist erstaunlich, doch die Spannung entwickelt sich gerade dadurch, dass nicht übertrieben hektisch über die Bühne gerannt wird. Im Gegenteil, die Handlungen sind gezielt und pointiert. Sei es wenn Chor als eine Einheit auf den Knien singt, Bengston durch die Menge krabbelt oder läuft, um das tote Kind zu suchen. Dabei stößt sie gezielt Damen bei Seite, die wie der Junge von Anja Rabes leuchtend grüne Kostüme bekamen.
Am Ende dann wir mit ganz sparsamen Mitteln gezeigt dass auch Popov, Bretz und Karyazina die Last vieler Tode mit sich tragen. Denn Bengston spannt die drei buchstäblich vor den sinnbildlichen Karren des Leids: Alle Mitglieder des Chors befinden sich in den Kästen eines nun liegenden Bühnenbildelements. Die drei Solisten bemühen sich vergeblich, mittels Lederriemen die Last zu ziehen und brechen schließlich beim „Libera me“ zusammen. Das Requiem endet, wie es begann: Bengtson sitzt vor der abgedunkelten Bühne, noch Augenblicke nachdem, der letzte Ton längst verklungen ist. Das ist die Subtilität, die Erlebtes lange nachschwingen lässt und hilft den Fokus nie von den Musikern zu nehmen, deren Leistungen durchweg hervorragend waren.
Es beginnt bei Dirigent Kevin John Edusei und dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg. Der ständige Wechsel von Forte und furioso zu zum zarten Pianissimo gelingt ohne Schwierigkeiten, ebenso wie die fast schwerelos scheinende Verständigung zwischen Bühne und Graben: Alles ist synchron und wie es soll. An einer Stelle und zu keiner Zeit werden die Sänger überdeckt, gar verschluckt vom orchestralen Enthusiasmus.
Ein besonderes Lob gilt jedoch allen Mitgliedern des Chors der Hamburgischen Staatsoper. Ihnen gelingen die zarten Töne ebenso leicht, wie sie stimmgewaltig dem Saal alle Teile des Dies Irae oder auch das Lacrimosa auf beeindruckende Weise regelrecht „um die Ohren hauen“.
Außerdem stand Bieito und Edusei ein Sängerquartett der Superlative zur Verfügung, vielleicht -noch?- nicht namentlich, aber auf jeden Fall stimmlich wie emotional darstellerisch. Einzig Gábor Bretz konnte bei der gestrigen Aufführung stimmlich nicht hundertprozentig überzeugen. Sein Bass klang besonders in der Mittellage nicht immer klar und auch die Lagenwechsel wirkten hin und wieder angestrengt. Doch lässt sein Stimmmaterial noch viel Schönes erwarten. Schon jetzt voller sicherer Klarheit ist die Stimme von Tenor Dmytro Popov, dem es daneben auch gelingt Leid und Zerrissenheit so zu transferieren, so dass das Publikum nicht anders kann als mitzufühlen.
Der Löwenanteil von Erfolg und Applaus galt jedoch zu recht den beiden Damen. Nadezhda Karyazina besticht nicht allein durch eine fast exotische Bühnenpräsenz, doch in erster Linie dadurch, dass ihre darstellerische Ausdruckskraft perfekt auch in der Modulationfähgkeit ihres warmen wohltönenden Mezzos, zeigt. Sie gibt sich der Rolle mit allen ihren Gefühlen und ihrem ganzen Können hin. Sie entzückt in der Anfangsszene durch ihre Verspieltheit, beeindruckt, wenn sie in ca. 3 Meter Höhe an Lederriemen vom hölzernen Bühnenelement hängend, von Leid und Tod singt, bewegt bis ins Innere in der letzten Szene, wenn sie gegen die Vergeblichkeit einer ewigen Last kämpft.
Ähnliches gilt für Maria Bengtsson. Sie ist blond, wirkt in ihrer Erscheinung zerbrechlich und zart. Und dennoch kämpft sie vehement gegen Chor und Leid. Ganz wie die um ihr Junges trauernde Löwin. Ihr Sopran ist zart und weich, aber dennoch von einer faszinierenden Strahlkraft, Beim ersten Vorhang verführte ihre Leistung dazu, sie einfach nur eine Zeitlang anzuschauen. Bevor Körper und Seele dazu in der Lage waren, begeistert zu applaudieren.
Wie nicht anders zu erwarten teilten nicht alle Besucher die Begeisterung, bezüglich der szenischen Umsetzung und es gab vereinzelte Buhs. Alle anderen Beteiligten jedoch bekamen, wie heutzutage leider üblich, recht kurzen doch wahrlich enthusiastischen Applaus. Bravi Tutti!
Alles in allem also, ist der Besuch der Staatsoper Hamburg zur Aufführung von Verdis „Messa da Requiem“ wärmstens zu empfehlen, wenn es darum geht schöne Musik dargeboten von schönen Stimmen in unaufdringlichen Bildern zu genießen.
- Rezension der besuchten Premiere vom 11.03.2018 in der Staatsoper Hamburg von Birgit Kleinfeld
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- Titelfoto: Verdi/Messa da Requiem/
Hamburgische Staatsoper/ Dmytro Popov, Nadezhda Karyazina, Maria Bengtsson, Gábor Bretz, Chor der Hamburgischen Staatsoper/Foto @ Brinkhoff/Mögenburg