Die Staatsoper Berlin eröffnete die neue Spielzeit mit der raffiniertesten Produktion ihres Repertoires, Richard Strauss „Ariadne auf Naxos“ in der Inszenierung von Hans Neuenfels. Diesem Grandseigneur des Regietheaters gelang vor fünf Jahren der ganz große Coup, indem er – vollkommen befreit von Provokationen oder Skandälchen – in simplifizierter Ästhetik die Menschlichkeit der Worte Hugo von Hofmannsthal auf der Staatsopernbühne arrangierte. Da das Werk regulär nur knapp 40 Musikerinnern und Musiker fordert, ist es auch in Pandemiezeiten gut spielbar. In dieser Wiederaufnahme wurde es allein durch Ensemblemitglieder der Staatsoper gestaltet. Am Pult der Staatskapelle stand ein junger Dirigent auf seinem Weg zu einer Weltkarriere, Thomas Guggeis.
Besuchte Vorstellung: Dienstag, 15. September 2020 (Fotos v.d. Premiere am 14.06.2015)
Die komplexe Partitur der „Ariadne auf Naxos“ fordert einen Dirigenten, der sein Orchester binnen weniger Takte von kammermusikalischer Innigkeit zu sattem Klang der Spätromantik ansteigen lassen kann. Auch aufgrund der zahlreichen dramatischen Unterbrechungen mit Schauspiel- sowie Balletteinschüben benötigt diese Oper wie keine andere eine musikalische Leitung, in dessen Adern Blut mit natürlichem dramatischem Gespür für die Bühne fließt.
Die Staatsoper Berlin hat mit Thomas Guggeis eine solche Persönlichkeit gefunden. Der junge Dirigent hat sich in den letzten Jahren in seiner Position als Assistent von Daniel Barenboim emanzipiert und darf sich aufgrund seiner Verdienste für das Haus fortan „Staatskapellmeister der Staatsoper Unter den Linden“ nennen. Mit seiner ersten Opernproduktion in dieser Stellung bewies Guggeis, dass er sein Handwerk versteht und sich diesen Titel wahrlich verdient hat. Unter seiner musikalischen Leitung blieb die Spannung im Orchester stets spürbar, wobei er mit zügigen Tempi den Humor des Librettos gekonnt in Musik umzusetzen vermochte. Guggeis wusste, welche Holzbläser besonders akzentuiert phrasieren müssen, um den Zynismus von Hoffmannsthal herauszuarbeiten. Er führte seine Sängerinnen und Sänger sicher an und ließ die Einsätze der Tutti-Passagen mit prachtvollem Klang erklingen, gleichzeitig blieb jedes Wort der Solisten verständlich.
Vorzüglich auch die Sängerbesetzung dieser Wiederaufnahme! In der Opernliteratur des 20. Jahrhunderts gibt es kaum eine anspruchsvollere Partie für Koloratursoprane als jene der Zerbinetta. Da ist es verständlich, dass manch Sängerin diesen Olymp erst nach jahrelanger Bühnenerfahrung erklimmen mag. Umso mehr erstaunte Sarah Aristidou mit ihrem Rollendebüt, denn als Opernstudiomitglied wurden ihr bislang nur die kleineren Rollen anvertraut. Erfreulich, dass diese talentierte Sopranistin innerhalb weniger Monaten von der Papagena oder dem Taumännchen die Bühne der Staatsoper Berlin mit großen Rollen erobert. Aristidou verkörperte eine darstellerisch temperamentvolle und energiegeladene Zerbinetta mit hinreißender Bühnenpräsenz. Mit sicheren Höhen und makelloser Technik war sie der Partie schon in ihren jungen Jahren auch stimmlich absolut gewachsen.
Hingegen als Ensemblemitglied mit jahrzehntelanger Erfahrung glänzte Katharina Kammerloher in der Partie des Komponisten, den sie mit sicheren Höhen und rührender Phrasierung auffallend menschlich gestaltete. Sie ließ sämtliche Emotionen der Rolle spürbar werden.
Der Regisseur Hans Neuenfels lässt seine Figuren entgegen des Librettos keine Verwandlung durchleben, vielmehr zeichnet er eine Parabel zwischen der realen Kunstwelt von Ballett, Orchester und Sängern und nutz die Tragödie der Ariadne auf Naxos nur als äußeren Rahmen. Seine Inszenierung gab den Sängerinnern und Sängern nicht nur im Vorspiel, sondern auch in der eigentlichen Oper die Möglichkeit, ganz sich selbst zu spielen und einmal vollkommen authentisch zu wirken. Im Mittelpunkt des Vorspiels und seit der Premiere unübertroffen gestaltete Elisabeth Trissenaar die herrische Sprechrolle des Haushofmeisters. Sie ist die Ehefrau des Regisseurs Hans Neuenfels und demonstrierte eindrücklich, wie viel Tiefgang der Text von Hoffmannsthal zu bieten hat, wenn man seine Rolle als Schauspielerin von Maß, wie sie eine ist, vollends verinnerlicht hat.
Andreas Schager ging in seiner Doppelrolle gänzlich auf und stellte mit kraftvoller Stimme einen grotesk überzeichneten Bacchus dar, der auch im Panzerhemd immer nur der Tenor des Vorspiels, eben ganz Andreas Schager selbst blieb. Stimmlich trotzte er nur vor Kraft, – die hell rausgeschmetterten Spitzentöne im Circe-Ruf suchten Ihresgleichen – verschreckten jedoch das verletzliche Wesen einer Ariadne. Es ist damit auch nur folgerichtig, dass diese ihr „hinüber“ nicht erleben wird. Ariadne hat sich bei der Ankunft von Andreas Schager das Leben genommen, sie hielt ihn für den Todesgott, der sie niemals verwandeln könne. Anna Samuil trumpfte in der Titelpartie besonders in den dramatischen Phrasen mit einer kraftvollen und klangschönen Stimme. Sie offenbarte jedoch Defizite in den intimeren Stellen des Werks, gerade in den Piano-Phrasen. Denn dem bei Hofmannsthal elementaren Wort-Ton-Verständnis im Philosophieren über die Ewigkeit des Todes wurde sie nicht gerecht. Hier blieb die Sopranistin zu dramatisch und konnte die innigen Worte des Librettos nicht mit der notwendigen Ausdrucksweise und Eloquenz einer Poetin formen.
Hach, man gerät so schnell ins Schwärmen! Diese Inszenierung ist einfach entzückend und immer wieder sehens- und hörenswert. Es bleibt zu wünschen, dass der „Ariadne auf Naxos“ noch unzählige Wiederaufnahmen an der Staatsoper vergönnt sind.
- Rezension von Phillip Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Thomas Guggeis auf FACEBOOK
- Staatsoper Unter den Linden Berlin
- Titelfoto: Ariadne auf Naxos in der Staatsoper Berlin/Ensemble/Foto @ Monika Rittershaus