Opernhaus Zürich / BORIS GODUNOW
Oper von Modest Mussorgski
Premiere, 20. September 2020
Das Opernhaus Zürich startete am Sonntag die neue Saison mit Modest Mussorgski’s„Boris Godunow“. Wegen der Pandemiesituation mussten die Social Distancing Vorschriften auf der Bühne und im Orchestergraben eingehalten werden, was eine besondere Herausforderung bedeutete.
Dazu erdachte sich die Regie die Lösung des Problems mit einer genialen Weltpremiere. Während sich die Handlung auf der Bühne abspielte, agierten Orchester und Choraus einem ein paar Kilometer entfernten Proberaum und wurden mittels Glasfaserkabel und modernster Technik direkt ins Opernhaus übertragen. Da es sich bei „Boris Godunow“ um eine Choroper mit großem Orchester handelt, waren die Erwartungen besonders hoch und mit Spannung sah man einem noch nie dagewesene Opernerlebnis entgegen.
Was für eine positive Überraschung, als sich schon nach wenigen Minuten das Gefühl einstellte, das Orchester befinde sich im Graben und der Chor auf der Bühne. Man konnte selbst die feinsten Töne der Instrumente hören. Diese Neuinszenierung erforderte eine große Bereitschaft aller Mitwirkenden, sich auf etwas ganz neues einzulassen. Anfänglich stand man diesem Experiment mit einer gewissen Skepsis gegenüber, denn man war sich bewusst, dass nichts der Akustik eines im gleichen Raum spielenden Orchesters und Chors gleichkommen kann, aber das Ergebnis dieses Experiments übertraf alle Erwartungen und man darf den vielen Beteiligten an diesem Projekt höchstes Lob aussprechen.
Barrie Kosky, hat sich nach kurzer Überlegung bereit erklärt, sein ursprünglich schon lange geplantes Konzept diesen neuen Umständen anzupassen. Das Eröffnungsbild führt uns in ein mit Akten und Dokumenten überfülltes Archiv, sinnbildlich für die enorme Geschichte Russlands. Der einsame Gottesnarr befindet sich im Raum und wird nicht, wie gewohnt, durch den Chor, sondern von singenden Büchern umgeben. Wo hat man sowas schon einmal gesehen? Wenn dann Boris in der Krönungsszene in seinem funkelnden Gewand auftritt, wirkt er wie im Raum verloren und sein gequälter Monolog umso eindringlicher. Die Stimmung der Einsamkeit in der sonst durch den Chor überfüllten Szene ist fühlbar. Es gelingt Barrie Kosky und seinem Bühnenbildner Rufus Didwiszus, allen Szenen eine überzeugende Deutung zu verschaffen. Die variablen Bücherwände lassen sich schnell verändern und die Lichtgestaltung von Frank Evin, sowie die Kostüme von Klaus Bruns, passen ausgezeichnet.
Im Polenakt erleben wir das spannende Zusammentreffen der Marina Mnischek mit Rangoni und dem Prätendent in einem mit goldenen Wänden und Türen dekorierten, aber bedrohlich wirkenden Raum. In der Todesszene hängt eine riesige Glocke über dem Haupt des Boris und senkt sich langsam über den im Wahn Sterbenden. In dieser Fassung wird die Szene im Wald von Kromy gespielt. Es ist verblüffend, wie diese Choroper ohne die vielen Menschen auf der Bühne so gekonnt umgesetzt werden konnte. Die einzelnen Rollen gewinnen so eine noch intensivere Wirkung.
Auf der musikalischen Seite gab es viele Höhepunkte zu hören. Michael Volle, ein dem Opernhaus sehr verbundener Sänger, debütierte als Boris Godunow und überzeugte mit seiner höchst dramatischen Darstellung der Zerrissenheit dieses Mannes. Seine Stimme passte ausgezeichnet und war stets voll präsent und ergreifend.
Es gab an diesem Abend auch zwei Debüts im Hause. Oksana Volkova als Marina Mnischek sang diese Partie mit großer, sicherer Stimme und spielte die Verführerin sehr glaubhaft. Edgaras Montvidas als Prätendent (der falsche Dimitri) konnte mit seinem Tenor überzeugen.
Brindlay Sherratt als Pimen, John Daszak als Fürst Wassili und Johannes Martin Kränzle boten exzellente Rollenportraits. Spencer Lang als Gottesnarr zeigte mit seinem schönen Tenor und viel Elan ebenfalls eine gelungene Leistung.
Mit Konstantin Shushakov als Andrei, Katia Ledoux als Schenkwirtin, Iain Milne und Alexei Botnarciuc als Bettelmönche, Irène Friedli als Amme, Mika Mainone als Fjodor und Lina Dambrauskaité als Xenia, sowie Valeriy Murga, Polizeioffizier, Savelii Andreev, Leibbojar und Ilya Altukhov, Jesuit/Bauer, Brent Michael Smith, Jesuit, stand dem Opernhaus ein bestbesetztes Ensemble zur Verfügung.
Die Philharmonia Zürich unter der Leitung von Kirill Karabits boten eine sorgfältig einstudierte Leistung und konnten alle Facetten dieses Werkes ausleuchten, sei es mit feinsten Töne, aber auch großen klangvollen Momenten. Der Chor der Oper Zürich, sowie Chorzuzüger und SoprAlti der Oper Zürich, einstudiert von Ernst Raffelsberger, boten eine beeindruckende Leistung und schufen auch aus der Ferne einen wesentlichen Beitrag zu diesem gelungenen Opernabend. Was für ein Erlebnis muss dies auch für die Musiker gewesen sein, an einer solchen für alle Mitwirkenden ungewohnten Situation mitzuspielen.
Ein ganz spezieller Dank geht an Oleg Surgutschow, den Tonmeister der Live-Übertragung und dessen Team. Das Publikum bedankte sich mit starkem Applaus für die Solisten und einer besonders kräftigen Zustimmung für das aus der Ferne wirkende Orchester und den Chor. Es bleibt zu wünschen, dass nach der langen Pause, viele Opernfreunde wieder den Weg zurück ins Opernhaus finden und diese gelungene Aufführung besuchen werden.
- Rezension von Marco Stücklin / Red. DAS OPERNMAGAZIN-CH
- Opernhaus Zürich / Stückeseite
- Titelfoto: Opernhaus Zürich/Boris Godunow/Michael Volle/ Foto @ Monika Rittershaus