Salzburg: Mitreißende konzertante Aufführung von Haydns „L’anima del filosofo“

Salzburger Festspiele 2023/L´anima del filosofo 2023: Gianluca Capuano (Musikalische Leitung), Les Musiciens du Prince – Monaco
© SF/Marco Borrelli

Franz Joseph Haydns 1791 komponierte „Dramma per musica“ L’anima del filosofo ossia Orfeo ed Euridice“ (Hob. XXVIII:13) wurde für das Londoner Haymarket Theatre von dem Impresario und Choreografen John Galliniin in Auftrag gegeben. Carlo Francesco Badini legte dem Libretto das 9. und 10. Buch der Metamorphosen von Ovid zugrunde und unterschied es bewusst von Christoph Willibald Glucks äußerst populären Orfeo ed Euridice (1762) mit einem Libretto von Ranieri de‘ Calzabigi. Die Uraufführung von Haydns Oper wurde abgesagt, weil König Georg III. die Lizenz für das neue Opernhaus verweigerte. Da Haydns Honorar in Höhe von 3000 Gulden vorab bezahlt wurde, brach er offenbar die Arbeit ab, nachdem er erfahren hatte, dass keine Aufführung zu erwarten war. Die Welturaufführung dieser Oper fand am 9. Juni 1951 beim Maggio Musicale Fiorentino im Teatro della Pergola in Florenz unter der Leitung von Erich Kleiber mit Maria Callas als Euridice und Genio statt. (Rezension der Aufführung v. 27. Mai 2023 in der Felsenreitschule Salzburg)

 

Badinis Libretto wurde nie gedruckt und ist verschollen, was es schwierig macht, festzustellen, ob es jemals einen fünften Akt gab, wie Haydn in einem Brief an Fürsten Anton Esterházy (8. Januar 1791) erwähnte. Haydns Text enthält nur vier Akte. Es ist ungewiss, ob Haydn die Oper vollendet hat oder ob er sie noch weiter überarbeitet und vielleicht ein anderes, tröstliches Ende in einem fünften Akt hinzugefügt hätte. Das Ende mit Orfeos Tod und dem Ertrinken der Bacchantinnen, die ihn vergiftet haben, ist für eine Oper dieser Zeit ungewöhnlich tragisch, aber es ist logisch und effektiv. Haydn und Badini hätten der Oper vielleicht mehr dramatischen Schwung und weniger „Philosophie“ verliehen können, wenn sie das Produktionsstadium erreicht hätte, doch ist sie so, wie sie ist, immer noch gelungen.

Die Aufführung, die ich am 27. Mai 2023 in der Felsenreitschule im Rahmen der Salzburger Pfingstfestspiele besuchte, hat die Realisierbarkeit von Haydns selten gespielter Opera seria bewiesen. Unter der Leitung von Gianluca Capuano haben Il Canto di Orfeo, Mitglieder des Bachchor Salzburg sowie Les Musiciens du Prince – Monaco auf historischen Instrumenten mit großem Engagement, Respekt vor Haydns (möglicherweise fragmentarischer) Partitur und gleichzeitig mit Flexibilität in Bezug auf Akzente, die die Dramatik unterstreichen, und Tempi, die die emotionale Wirkung der Musik verstärken, gespielt. Diese Vorstellung widerlegt die Annahme, dass Haydn in seinem Kompositionsstil kühl und zurückhaltend war. Haydns Oper ist ebenso fesselnd wie die Werke einiger frühromantischer Komponisten (beispielsweise Robert Schumann), die ihn als formal und veraltet abtaten.

Salzburger Festspiele 2023/L´anima del filosofo 2023: Thomas Hampson (Creonte), Cecilia Bartoli (Euridice), Gianluca Capuano (Musikalische Leitung), Rolando Villazón (Orfeo), Les Musiciens du Prince – Monaco
© SF/Marco Borrelli

Cecilia Bartolis Besetzung der Rolle der Euridice ist mir aus ihrer 1995 erschienenen Aufnahme der Rolle, zusammen mit der kleinen Rolle des Genio, mit der Academy of Ancient Music unter der Leitung von Christopher Hogwood vertraut. Ihre Interpretation war in den meisten Punkten ähnlich wie die der Aufnahme, aber sie hat an emotionaler Tiefe gewonnen. Bartoli schildert Euridices Schrecken, als sie vor einer unerwünschten arrangierten Ehe mit Prinz Aristaeus flieht und sich in einem Wald verirrt, wo die wilden Bewohner sie gefangen nehmen und ihren Gott opfern wollen. Sie verkörperte auch die Zärtlichkeit und Liebe der Figur zu Orfeo, mit dem sie sich auf eine Zukunft freut, bevor sie von einer Schlange in den Fuß gebissen wird. Selbst ohne Bühnenbild war Bartoli so mitreißend, dass es leicht war, sich in die Aufführung hineinzuversetzen und sich die Handlung noch lebendiger vorzustellen, als es die meisten Regisseure vermögen.

Ebenso war Rolando Villazón ein überaus einfühlsamer Orfeo, dessen Klage um seine Euridice, nachdem er sie zum zweiten Mal verloren hat, als er der Versuchung nicht widerstehen konnte, sie zu betrachten, bevor er die Unterwelt verlässt. Am 8. Mai 2023 hatte ich das Glück, Villazón in der Rolle des Orfeo von Claudio Monteverdi in der Semperoper Dresden zu erleben, eine Aufführung, die ich rezensiert habe. So aufregend er auch in Monteverdis Fassung der Rolle war, schien er in Haydns Orfeo noch stärker eingebunden zu sein, was der Figur noch mehr Raum für die Beweinung des Verlusts seiner Liebe im vierten Akt gibt. Das Liebesduett zwischen Orfeo und Euridice am Ende des ersten Aktes, gesungen von Villazón und Bartoli, war besonders bewegend, vor allem angesichts der bevorstehenden Tragödie, die sie für immer trennen wird.

Die kleine, aber musikalisch entscheidende Rolle des Genio wurde von der Sopranistin Mélissa Petit mit beeindruckend feurigen Koloraturen in der einzigen Arie der Figur gesungen. Petit vermittelt ein gewisses Mitgefühl für Orfeo in der Rezitation, in der sie ihm verspricht, ihn in die Unterwelt zu begleiten, um Euridice von den Toten zurückzuholen. Thomas Hampsons warme Baritonstimme machte aus dem eindimensionalen Creonte einen sympathischen Charakter, selbst in seiner Rachearie am Ende des zweiten Aktes „Mai non fia inulto“. Die kleine Rolle des Plutone wurde von einem Chorsolisten, Pier Marco Viñas Mazzoleni, übernommen.

Es ist zu hoffen, dass es in naher Zukunft weitere Aufführungen dieser und anderer Haydn-Opern durch diese Interpreten bei großen Musikfestivals geben wird. Was bei dieser sehr gut besuchten und enthusiastisch bejubelten Aufführung deutlich wurde, ist, dass Haydns Musikdramen raffinierte Werke sind, die ins Repertoire gehören.

 

  • Rezension von Dr. Daniel Floyd / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Salzburger Pfingstfestspiele / Stückeseite
  • Titelfoto:  Salzburger Festspiele 2023/L´anima del filosofo 2023: Thomas Hampson (Creonte), Cecilia Bartoli (Euridice), Rolando Villazón (Orfeo), Mélissa Petit (Genio), Gianluca Capuano (Musikalische Leitung), Les Musiciens du Prince – Monaco, Il Canto di Orfeo, Mitglieder des Bachchor Salzburg/Foto © SF/Marco Borrelli
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