Osterfestspiele Salzburg 2023/ „Tannhäuser“ – Mehr als nur ein Rollendebüt

Osterfestspiele Salzburg/TANNHÄUSER/Foto @ Monika Rittershaus

Den aus München angereisten Zuschauern – und von denen gibt es bei den Osterfestspielen Salzburg einige – dürfte die Neuproduktion von Richard Wagners Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg bekannt vorkommen. Bei der diesjährigen großen Opernproduktion der Festspiele handelt es sich um eine Neueinstudierung einer Inszenierung von Romeo Castellucci, die schon 2017 an der Bayerischen Staatsoper Premiere feierte. Völlig neu hingegen ist die Besetzung: Jonas Kaufmann und Marlis Petersen geben ihre Debüts als Tannhäuser und Elisabeth und präsentieren beide eine so ungewöhnliche wie faszinierende Art des Wagnergesangs. (Rezension der Vorstellung v. 05.04.2023)

 

„Sag mal, bist du eigentlich wegen Jonas Kaufmann da oder wegen Wagner?“, fragt eine Besucherin in der Pause ihre Bekannte. Kaufmann oder Wagner – ein Blick ins Programmbuch genügt, um festzustellen, dass die Formulierung dieser Frage einiges unterschlägt. Ja, Jonas Kaufmann debütiert bei den diesjährigen Osterfestspielen die Partie des Tannhäuser (und das recht überzeugend, so viel sei jetzt schon verraten), und der Komponist von Tannhäuser ist Richard Wagner, doch das ist nicht alles, was diese Produktion auszeichnet und maßgeblich zu ihrem Gelingen beiträgt. Eine Aufführung von Tannhäuser und der Sängerkrieg Wartburg, wie der vollständige Titel der Oper lautet, steht und fällt auch mit dem Chor, denn Stücke wie der Einzug der Gäste auf der Wartburg oder auch die Pilgerchöre, die sich durch die ganze Oper ziehen, gehören zu jenen berühmten Stellen, auf die jeder Zuschauer wartet und die dementsprechend gelingen müssen. Bei den Osterfestspielen Salzburg singen in diesem Jahr gleich zwei hervorragende Chöre: Einerseits der Tschechische Philharmonische Chor Brünn unter der Leitung von Michael Dvorák, andererseits der Bachchor Salzburg unter der Leitung von Benjamin Hartmann. Die beiden Chorleiter und alle Sängerinnen und Sänger leisten großartige Arbeit. Auf der Bühne verschmelzen die Chöre nahtlos zu einem großen Ganzen und zeigen noch dazu außergewöhnliche musikalische Interpretationen der Chorstellen, in denen weniger die Hauptmelodie, sondern die Ober- und Unterstimmen in den Mittelpunkt rücken. Besonders im ersten und dritten Akt kommt es einem dank einer prominent und bravourös geführten Oberstimme fast so vor, als höre man nicht mehr den berühmten Pilgerchor, sondern ein ganz neues, wunderschönes Stück.

Osterfestspiele Salzburg/TANNHÄUSER/Foto @ Monika Rittershaus

Nicht weniger beeindruckend als die Chöre ist das Orchester. Im Graben des Großen Festspielhauses spielt das Gewandhausorchester Leipzig, die musikalische Leitung hat Gewandhauskapellmeister Andris Nelsons inne. Sein Dirigat ist zugegebenermaßen alles andere als sängerfreundlich. Die erste Hälfte des ersten Aktes ist fast unangenehm langsam, sodass Jonas Kaufmann und Emma Bell, Darstellerin der Venus, Schwierigkeiten haben, ihre Phrasen ohne Zwischenatmer zu singen. An anderer Stelle ist das Orchester zu laut und übertönt die Solisten, beinahe sogar den Chor. Für sich gesehen ist Nelsons‘ Interpretation der Partitur allerdings höchst spannend. Es gibt keine Szene, in der man nicht aufhorcht, weil Nelsons eine musikalische Figur oder ein Instrument in den Fokus rückt, das man in anderen Interpretationen kaum wahrnimmt. Zu einem besonderen Highlight gerät, trotz kleinerer Intonationsprobleme in den hohen Streichern, das Vorspiel zum ersten Akt. Auch das gestaltet Nelsons durchgehend ungewöhnlich ruhig. Wechsel in der emotionalen Stimmung der Musik gestaltet der lettische Dirigent eher durch Lautstärke als Tempowechsel. Für die Inszenierung Romeo Castelluccis ist das von Vorteil, denn in der Ouvertüre muss das Zusammenspiel zwischen der Musik und der Choreographie von Cindy van Acker klappen: Tänzer schießen mit Pfeil und Bogen gegen ein Wandbild. Das will präzise ausgeführt werden, damit die Geräusche der Pfeile die Musik nicht stören, sondern ergänzen. In dieser Aufführung gelingt die Choreographie nahezu perfekt. Jeder Schuss der Tänzerinnen und Tänzer von SEAD Salzburg und BODHI PROJECT sitzt auf den Schlag genau Die Wirkung der Szene ist überwältigend – man wird förmlich in das Bühnengeschehen hineingesogen.

Neu ist die Inszenierung nicht. Nikolaus Bachler, neuer künstlerischer Gesamtleiter der Osterfestspiele und ehemaliger Intendant der Bayerischen Staatsoper hat Castelluccis Gesamtkunstwerk fast schon wie eine Art Andenken an seine Münchner Amtszeit mit an die Salzach gebracht. Regisseur Castellucci, im Übrigen auch selbst verantwortlich für Bühne, Kostüme und Licht, nutzt die Neueinstudierung für eine Generalüberholung der Produktion. Im Vergleich zur letzten Aufführungsserie in München ist die Inszenierung viel farbenfroher. Der Venusberg etwa, in München noch ein fleischfarbener, höchstens etwas pulsierender Menschenhaufen, ist nun mit weniger Silikon und mehr Tänzern gestaltet, die schwarze, rote und fleischfarbene Anzüge tragen. Venus selbst bekommt ein rotes Kleid. Auch gerät die die Inszenierung mehr in Bewegung. Als Tannhäuser im zweiten Akt vom Venusberg schwärmt, stürmt eine schwarz gekleidete Tänzerin vor und beschmiert das weiße Gewand mit schwarzer Farbe – in München blieb das verbildlichte Übel trotz Tannhäusers Geständnis noch auf einen Punkt auf der Bühne fixiert und durfte nicht direkt an den Sänger heran. Tannhäusers Fall, seine Sünde, wurde damals nur durch den goldenen Pfeil gezeigt, den Elisabeth in seinem Rücken platziert.

Im Kern aber ist die Inszenierung nicht verändert worden. Castellucci setzt mehr auf ausdrucksstarke Bilder als auf eine klare Handlung, im Mittelpunkt seiner Inszenierung stehen Symbole. Omnipräsent ist etwa das schon durch die Bogenschützen im Vorspiel angedeutete Jagdmotiv. Denn Tannhäuser, so Castellucci, ist auf seiner Suche nach seinem Platz in der Welt und der Erlösung gleichzeitig ein Jäger und Gejagter. So hat er im Venusberg, wo er dem Glück in Form des endlosen Genusses nachjagt, noch selbst einen Bogen, später wird er von den Rittern bedroht, als sie ihn überreden, doch wieder zur Wartburg zurückzukehren. Tannhäuser wird im übertragenen Sinn zur Beute, was Castellucci dadurch zeigt, dass er die Haut eines von den Rittern erbeuteten Hirschs umgehängt bekommt und anstatt dessen zur Wartburg geführt wird. Am deutlichsten wird die Wichtigkeit von Symbolen für Castelluccis Inszenierung im dritten Akt, wo die textbasierte Handlung völlig in den Hintergrund rückt – zugunsten der Darstellung des Verwesungsprozesses an den Leichen Tannhäusers und Elisabeths, welcher ausdrückt, wie unerreichbar doch der Wunsch nach Erlösung und Zusammensein der beiden Hauptfiguren ist. Nicht alles, was Castellucci zeigt, erschließt sich auf den ersten Blick. Trotzdem gelingt es ihm, die im Tannhäuser gezeigten Emotionen und gestellten Fragen auf der Bühne in eindringlicher Weise darzustellen.

Osterfestspiele Salzburg/TANNHÄUSER/Foto @ Monika Rittershaus

Für die Sänger bedeutet eine so durchgeplante Inszenierung natürlich eine Stehpartie par excellence, eigentlich bekommt nur Tannhäuser selbst die Möglichkeit, seine Rolle eigenständig auszugestalten. Marlis Petersen hätte man daher eine andere Produktion für ihr Elisabeth-Debüt wünschen können. Die Sopranistin ist eine äußerst spielfreudige Darstellerin, immer in Bewegung, und es fällt ihr sichtlich schwer, sich in Castelluccis symbolgeladene Inszenierung einzufügen. Ihre Elisabeth wirkt stellenweise wie eine aufgeregte Teenagerin. An sich ist das eine interessante und am Text begründbare Interpretation der Figur, sie will nur leider einfach nicht in die Inszenierung passen. Musikalisch kann Petersen aber auf ganzer Linie überzeugen. Für sie ist diese Produktion im Übrigen mehr als ein Rollendebüt. Sonst singt sie vor allem Mozart und Strauss, nach der Absage ihrer geplanten Elsa im Münchner Lohengrin ist die Elisabeth in Salzburg Petersens erste Wagnerpartie überhaupt. Im Festspielhaus hört man deutlich, dass Wagners Heldinnen bisher nicht Petersens Metier waren – im positiven Sinne. Ihre Stimme klingt erfrischend anders als die einer typischen Wagnersopranistin, ungewöhnlich hell und mit einer erfreulichen Leichtigkeit in den Spitzentönen. Beim Sängerkrieg gerät Petersen allerdings an ihre stimmlichen Grenzen. Als Elisabeth sich schützend zwischen Tannhäuser und die Ritter stellt, hat sie hörbar damit zu kämpfen, die erforderliche Dramatik zu erreichen. Davon abgesehen aber gelingt das Debüt. Besonders positiv zur Geltung kommt Petersens Stimme im Duett mit Tannhäuser am Anfang des zweiten Aktes, wo sie sehr überzeugend Elisabeths Hoffnung, aber auch Verletzlichkeit Ausdruck verleiht. Ein weiteres Highlight ist das Gebet im dritten Akt, welches Petersen mit wunderschön subtiler Verzweiflung singt.

Ihr Partner ist nun also Jonas Kaufmann, für manchen Zuschauer offenbar einer von zwei möglichen Gründen, nach Salzburg zu fahren. Anders als Marlis Petersen ist der Tenor wagnererfahren, bisher kann er – unter anderem – Lohengrin und Parsifal zu seinem Repertoire zählen, außerdem glückte ihm im Sommer 2021 bei den Münchner Opernfestspielen ein umjubeltes Debüt als Tristan. Aber auch Kaufmann hat keine Wagnerstimme, trotz seines dunklen, fast schon baritonalen Timbres. Deutlich wird das im ersten Akt, da ist er merklich zu leise, das gibt sich aber im weiteren Verlauf der Aufführung. Allerdings will Kaufmann ja auch gar kein Wagnertenor sein. Seine sängerische Spezialität ist, die Musik dieses Komponisten auf italienische Art darbieten. Das passt gut zur Oper Tannhäuser, dessen Komposition zahlreiche italienische Einflüsse aufweist. Kaufmanns Stil zeigt sich in dieser Partie durch eine ausgesprochene Melodietreue. Der Fokus liegt stets weniger auf der Bedeutung der Worte als auf der Musikalität der Komposition. Stellenweise geht das auf Kosten der Textverständlichkeit und stimmlichen Darstellung, dennoch schafft Kaufmann es, eine klar charakterisierte Figur zu zeichnen. Sein Tannhäuser ist eine eher in sich gekehrte Person, Kaufmann verzichtet vokal wie darstellerisch auf große emotionale Ausbrüche. In der Romerzählung etwa erlebt man ihn eher resigniert anstatt wütend und am Rande des Wahnsinns, so wie manch anderer Tenor die Figur darstellt, und während des Sängerkriegs ist Kaufmann traurig und frustriert statt aufmüpfig. Es ist spannend, dieser von vorn bis hinten schlüssigen Interpretation zuzusehen. Kaufmann gelingt ein auf ganzer Linie überzeugendes Rollendebüt.

Osterfestspiele Salzburg/TANNHÄUSER/Foto @ Monika Rittershaus

Eigentlich war noch ein drittes Debüt geplant: Elīna Garanča sollte die Venus singen, musste aber aus gesundheitlichen Gründen ihre Mitwirkung an den diesjährigen Osterfestspielen absagen. An ihre Stelle tritt die britische Sopranistin Emma Bell mit scharfer, aber nicht unangenehmer Stimme und angenehmen Vibrato. Auch die übrigen Sänger begeistern. Christian Gerhaher glänzt als Wolfram von Eschenbach mit einem sehr natürlichem Timbre und unglaublicher Strahlkraft. Scheinbar mühelos trägt seine Stimme jeden Ton und jede Emotion bis auf den letzten Platz im Festspielhaus. Als Landgraf überzeugt Georg Zeppenfeld. Seine schlanke Bassstimme führt er mit gewohnter Souveränität und perfekter Diktion. Die anderen vier namentlich genannten Ritter werden alle von sehr jungen Sängern dargestellt: Sebastian Kohlhepp liefert einen strahlenden Walther von der Vogelweide, Edwin Crossley-Mercer singt Biterolf. Heinrich der Schreiber wird von Dean Power gestaltet. Eine besondere Ehre wird Alexander Köpeczi zuteil: In der Aufführung singt er den Reinmar von Zweter, im Anschluss an den Schlussapplaus wird ihm der Herbert von Karajan-Preis verliehen. Den jungen Hirten singt Emily Pogorelc souverän von hinter der Bühne, auf der Bühne agiert ein Kinderstatist.

Und wie ging nun das am Anfang dieses Textes zitierte Pausengespräch weiter? Die gefragte Dame gab zu, dass sie schon auch wegen Jonas Kaufmann gekommen sei, vor allem aber wegen des Gesamtpakets. Da kann man ihr nur zustimmen: Die Inszenierung funktioniert, Tänzer, Chöre, Solisten, sowie das Gewandhausorchester Leipzig unter Andris Nelsons agieren hervorragend. Aber nicht nur sind die einzelnen Komponenten der Inszenierung für sich beeindruckend. Beim Salzburger Tannhäuser tritt auch der beste vorstellbare Fall ein: Als Gesamtpaket ist die Aufführung schlichtweg überwältigend und so viel mehr als eine Bühne für aufregende Rollendebüts.

 

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3 Gedanken zu „Osterfestspiele Salzburg 2023/ „Tannhäuser“ – Mehr als nur ein Rollendebüt&8220;

  1. Ich war nicht in Salzburg, jedoch aufgrund einiger Kritiken in den Medien und der Kritik vom Opernmagazin kann ich mir schon eine persönliche Meinung bilden.
    Zum Dirigenten: Meine Wenigkeit liest in den Zeilen, dass er als Wagnerdirigent völlig ungeeignet ist, da er die Musik von Wagner unangemessen zerdehnt, die Sänger übertönt und von Dramatik und Stil von dieser Oper keine Ahnung hat. Für das Requiem von Brahms reicht es vielleicht aber nicht für den Tannhäuser! Jonas Kaufmann: Er hat bestimmt als Tenor seine Stärken, aber für mich überwiegende Schwächen! Seine schauspielerischen Fähigkeiten sind sehr beschränkt. Seine Bewegungen haben mit den wahren Gefühlen der zu interpretierenden Person meist gar nichts gemeinsam. Seine stimmlichen Dispositionen sind ebenfalls sehr eingeschränkt, meistens sehr eintönig, ohne Phantasie und ohne überzeugende Empathie. Alles ob Othello, Radames oder als Wagnersänger so alles nach Schema F.
    Jetzt muss ich ein Forte singen, ah jetzt ist ein Piano angesagt. Alles ist voraussehbar.
    Sein Passagio nie frei, sondern immer gestemmt und die Töne gequellt und unattraktiv. Was positiv ist, seine baritonale Stimmfärbung, die männlich ist und angenehm. Wollte das einfach mal gesagt haben. Leider ist er Heute sogenannt ein Startenor, aber nur das, weil es Heute im Tenorfach keine grossen Alternativen gibt. Das ist meine persönliche Meinung. Gerne lass ich mich eines Besseren belehren.

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