Eindrucksvolle Aufführung von „Giulio Cesare in Egitto“ an der Oper Leipzig

Yuriy Mynenko als Giulio Cesare, Olga Jelínková als Cleopatra
Olga Jelínková, Yuriy Mynenko/ Giulio Cesare in Egitto/ Oper Leipzig / Foto © Ida Zenna

Händels Barockoper Giulio Cesare in Egitto in der Koproduktion von Théâtre des Champs-Elysées (Premiere 11. Mai 2022), Oper Leipzig, Opéra national de Montpellier und Théâtre du Capitole Toulouse hatte am 1. April in der Oper Leipzig Premiere.
Dr. Daniel Floyd berichtet für DAS OPERNMAGAZIN von seinen Eindrücken.

Georg Friedrich Händels dreiaktiges „Dramma per musica“ Giulio Cesare in Egitto (Julius Cäsar, HWV 17) wurde am 20. Februar 1724 im King’s Theater am Londoner Haymarket uraufgeführt. Das Libretto von Nicola Francesco Haym (nach Giacomo Francesco Bussani) ist eines der raffiniertesten der gesamten Opernliteratur und bietet mehr Möglichkeiten als die meisten anderen für Interpretationen, die Beziehungen zwischen den Figuren, aufzuzeigen, wie Liebe, Anziehung, Verführung, Eifersucht, Hass, Verrat, Betrug und so weiter.

Regisseure haben die Verantwortung, sich mit den Libretti in ihrer ganzen Komplexität auseinanderzusetzen. Es ist unrealistisch, eine Darstellung Alexandrias im Jahr 48 vor Christus zu erwarten, aber es ist möglich, den Figuren die Gelegenheit zu geben, sich so auszudrücken, wie sie im Libretto dargestellt werden. Damiano Michielettos Inszenierung (Bühne: Paolo Fantin, Kostüme: Agostino Cavalca), die ich am 1. April 2023 in der Oper Leipzig gesehen habe, war besonders erfolgreich in ihrer Darstellung der Beziehung zwischen Cleopatra und ihrem Bruder Tolomeo. Cesare wirkte wie ein echter Anführer: charismatisch, dominant und selbstbewusst. Tolomeo hingegen drückte seine innere Unsicherheit aus, indem er herrschsüchtig und missbräuchlich war. Eine große Stärke dieser Inszenierung ist, dass sie die Gegensätzlichkeit von Cesare und Tolomeo in der Ausübung ihrer Autorität hervorhebt. Cesare inspirierte und leitete die Menschen an, das Beste aus sich zu machen, während Tolomeo die Menschen lediglich kontrollierte und benutzte, um seinen eigenen Interessen zu dienen.

Peter Dolinšek als Curio, Ulrike Schneider als Cornelia, Kathrin Göring als Sesto
Peter Dolinšek, Ulrike Schneider, Kathrin Göring/ Giulio Cesare in Egitto/ Oper Leipzig/ Foto © Ida Zenna

Es gab jedoch einige Merkwürdigkeiten in dieser Inszenierung, insbesondere die Anwesenheit von stummen Figuren, die im Libretto nicht vorgesehen und für die Handlung unnötig sind. Die drei Parzen (Anita Gotthardt, Sophia Hofmann, Maike Wolff), die sich während eines Großteils der Aufführung auf der Bühne bewegen und gelegentlich mit den Figuren interagieren, sind eine Erfindung der Regie. Ihre Anwesenheit ist nicht störend, aber sie trägt auch nichts Wertvolles bei. Der Lebensfaden, den sie spinnen, ist pseudointellektuell, denn es ist offenkundig, dass alles Leben endet. Sie wirken tatsächlich wie die drei Nornen aus Richard Wagners Götterdämmerung und gehören daher nicht in Händels Oper. Der Geist des Pompeos (Florian Schön) taucht an mehreren Stellen der Inszenierung auf, die auch im Libretto nicht erwähnt werden. Es ist klar, dass Cornelia und Sesto sein Andenken beschwören, aber es gibt keinen Grund für sein Erscheinen auf der Bühne, insbesondere nicht als Statue gegen Ende der Oper, die an den Commendatore aus Wolfgang Amadeus Mozarts Don Giovanni erinnert. Die Ermordung Cäsars, die am Ende dieser Aufführung gezeigt wird, ist anachronistisch, da dieses Ereignis vier Jahre später in Rom und nicht in Ägypten stattfand. Die Darstellung dieses Ereignisses während des angeblichen Jubelchors am Ende der Oper steht im Widerspruch zu dem gesungenen Text und der Musik, mit der er vertont wurde.

Countertenor statt Kastrat

Giulio Cesare und Tolemeo sind für „alto-castrato“ geschrieben, einen Stimmtyp, den es nicht mehr gibt. Egal, wie hervorragend Countertenöre singen, ihr Stimmtyp entspricht nicht unbedingt dem, wie Händel selbst diese Rollen gehört hätte. Stimmtypen wie den Kastrat zu reproduzieren ist unmöglich, und selbst wenn es möglich wäre sie nachzubilden, unsere Sichtweise und unser Geschmack haben sich seit dem 18. Jahrhundert verändert. Wir wissen nicht, ob wir die Stimme eines Kastraten tatsächlich genießen würden. Wir akzeptieren, dass die Countertenor-Stimme, so sehr sie dem heutigen Publikum auch gefallen mag, nicht einem Kastraten gleichzusetzen ist, der andere Klangfarben hätte.

Was die Sänger betrifft, so handelt es sich um eine der wenigen Produktionen, in denen alle Sänger ihre Rollen überzeugend spielen. In der Titelrolle des Giulio Cesare strahlte Yuriy Mynenko Autorität aus und ließ seinen Rivalen Tolomeo besonders schwach und verzweifelt aussehen. Mynenko ist ein hervorragender Countertenor, der seine hohe Stimme so einzusetzen weiß, dass sie Stärke und Kraft vermittelt.

Die gesanglich und schauspielerisch befriedigendste Leistung wurde von Olga Jelínková als Cleopatra erbracht. Bei Jelínková ist Cleopatra nicht nur schön und verführerisch, sondern auch geschickt darin, ihren Bruder Tolomeo zu überlisten, der sie manipulieren und von einer Führungsposition fernhalten will. Cleopatra erregt Cesare nicht nur sexuell, sondern sie bringt auch echte Liebe für ihn zum Ausdruck. Ihre Arie im 2. Akt (Nr. 29) „Se pietà di me non senti, giusto ciel, io morirò“, die sie singt, als sie glaubt, dass Cesare bald sterben wird, ist eine der eindringlichsten und innigsten, die Händel je geschrieben hat. Jelínková betont das Gefühl der Tragödie in dieser Arie und zeigte die ernste und fast tragische Seite der Cleopatra trotz der bizarren Maske, die sie während eines Teils der Arie tragen musste.

Rémy Brès als Tolomeo
Rémy Brès/ Giulio Cesare in Egitto/ Oper Leipzig/
Foto © Ida Zenna

Eine weitere großartige Leistung des Abends lieferte Rémy Brès als Tolomeo, Cleopatras böser Bruder und Rivale um die alleinige Herrschaft in Ägypten. Brès setzt seine Countertenor-Stimme ein, um genau das Gegenteil von dem zu vermitteln, was Mynenko mit seiner Stimme erreicht: Brutalität, Wildheit und Egoismus. Dies ist ein beängstigender Tolomeo, vor dem Cleopatra fliehen sollte. Sein Feldherr und Berater Achilla, eine Figur, die oft kaum mehr zu sein scheint als ein eigennütziger Verräter, wurde von Franz Xaver Schlecht nicht nur mit Kraft und einem Gefühl der frustrierten Lust auf Cornelia gesungen, sondern auch mit einem Maß an Sensibilität, das seinen Wunsch nach Rache an Tolomeo sympathisch erscheinen lässt.

Als Cornelia, der Frau von Cesares Rivalen Pompeo, der vor Beginn der Handlung von Tolomeo enthauptet wird, ist Ulrike Schneider ihrem Sohn Sesto gegenüber mütterlich und weist die Annäherungsversuche von Achilla und Tolomeo mit angemessener Kraft zurück. Schneider macht Cornelia zu einer unerschütterlichen, integren Frau, die ihren Sohn bei der Rache an dem Mörder ihres Mannes unterstützt. Die Mezzosopranistin Kathrin Göring macht Sesto zu einer Figur, die unerbittlich auf Rache an Tolomeo für den Mord an seinem Vater sinnt.

Die kleine Rollen von Curio, einem römischen Tribun (Peter Dolinšek) und Nireno, Cleopatras Vertrautem (Nora Steuerwald), wurden mit Leidenschaft gesungen und im Einklang mit dem Regiekonzept gezeigt. Das von Barockinstrumenten (wie z.B. Laute, Theorbe, Cembalo) unterstützte Gewandhausorchester unter der Leitung des Händelspezialisten Rubén Dubrovsky spielte wie ein Ensemble mit historischen Instrumenten und schuf, soweit dies heute möglich ist, die instrumentale Klangwelt des frühen achtzehnten Jahrhunderts. Dubrovsky verlieh einer von Händels reichhaltigsten und tiefgründigsten Partituren wirklich Feuer und Energie und machte deutlich, dass diese Oper wohl die bedeutendste vor Mozart ist.

Dr. Daniel Floyd

  • Rezension von Dr. Daniel Floyd / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Stückseite / Oper Leipzig
  • Titelfoto: Olga Jelínková/ Giulio Cesare in Egitto/ Oper Leipzig/ Foto @ Ida Zenna

Veröffentlicht durch Stefan Romero Grieser in Vertretung für Detlef Obens.

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