Oper Dortmund: Premiere von „Fernand Cortez oder die Eroberung von Mexico“ mit Mirko Roschkowski

Oper Dortmund / FERNAND CORTEZ/Foto @ Björn Hickmann, Stage Picture

In Gaspare Spontinis „Fernand Cortez oder die Eroberung Mexikos“ ist der Titelheld ein Conquistador, der nach unserem heutigen Verständnis eindeutig völkerrechtsrechtswidrig ein Land überfallen und besetzt hat, und das in erster Linie aus Goldgier. Im 19. Jahrhundert kamen starke Führerpersönlichkeiten und schmissige Marschrhythmen beim Publikum sehr gut an, aber spätestens nach dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine muss man sich fragen, welchen Sinn es macht, so etwas auf die Bühne eines Opernhauses zu bringen. Es ist ein Stück über die Gräuel des Krieges und der Besatzung geworden. Spätestens seit dem 24. Februar 2022 liegen die Parallelen auf der Hand. Liest eigentlich keiner die Libretti, bevor Opern auf den Spielplan gesetzt werden? Neugierig geworden war ich durch das Foto von Tenor Mirko Roschkowski im Kostüm des Cortez im Internet. (Rezension der Premiere v. 7.04.2022)

 

 

Eigentlicher Kristallisationspunkt der Handlung ist die einzige weibliche Solistin, Melody Louleidjian als mexikanische Prinzessin Amazily. Ihre Partie wurde 1951 von Renata Tebaldi gestaltet und ist eine ausgesprochen große komplexe Rolle für einen lyrisch-dramatischen Sopran mit vier großen Arien, die Louleidjan stimmstark und souverän bewältigt. Sie steht zwischen den Konfliktparteien, denn sie ist Schwester des Feldherrn Télasco und gleichzeitig die zum Christentum übergetretene Geliebte des spanischen Eroberers Fernand Cortez. Sie möchte zwischen den Kriegsparteien vermitteln und zerbricht an dieser Aufgabe. Sie macht im dritten Akt schließlich das Angebot, sich selbst für eine spanische Geisel ihrem Volk zu opfern.   

Regisseurin Eva-Maria Höckmayr erzählt die Geschichte aus Amazilys Sicht. Die Bühne von Ralph Zengler ist ein goldglänzender Kasten, auf dessen Wände Amazily Botschaften schreibt, und verdeutlicht, worum es eigentlich geht: um Gold, Blutgold, denn die Wände sind mit blutigen Texten beschmiert. Zwar wird die christliche Botschaft, symbolisiert durch ein großes Kreuz, als Vorwand für die Besetzung Mexikos genommen, aber im Grunde geht es Cortez nur um Reichtum.

Oper Dortmund / FERNAND CORTEZ/Foto @ Björn Hickmann, Stage Picture

Der „Frieden“ wird im dritten Akt mit den Waffen der technisch überlegenen Spanier hergestellt, denn Cortez und seinen Truppen gelingt es, die Stadt einzunehmen und den mexikanischen Oberpriester davon abzuhalten, Amazilys Opfer anzunehmen.  Dabei wird Cortez als starker charismatischer Heerführer und großer Feldherr gezeichnet: Heimspiel für den in Dortmund geborenen Tenor Mirko Roschkowski, der die anspruchsvolle Titelpartie übernommen hat. Sein Tenor ist gereift, er spielt jetzt nach den Prinzen die Helden wie Max im „Freischütz“ und Lohengrin. Mit großer Kraft überstrahlt er das Orchester und motiviert er seine müden Krieger zum Sieg, mit lyrischer Süße gestaltet er sein Liebesduett mit Amazily.

Er tritt erst im zweiten Akt auf und muss die spanischen Soldaten, die kriegsmüde sind und sich vor der mexikanischen Übermacht fürchten, motivieren, weiter zu kämpfen. Der mexikanische Feldherr Télasco bietet einen Handel an: gegen Freilassung seines gefangenen Bruders Alvar und einen großzügigen Goldschatz soll Cortez das Land verlassen. Die mexikanischen Frauen verführen die spanischen Soldaten zur Heimkehr. Aber Cortez, ganz der große Feldherr, verbrennt seine Flotte und setzt in einer großen flammenden Arie ganz auf Sieg.

Es werden beide Konfliktparteien dargestellt: die Mexikaner, die Alvar, den Bruder des Cortez gefangen haben, in normaler Geschäftskleidung, die Spanier eher abgerissen und verlottert. Auf der einen Seite stehen der Oberpriester, der Rache für die Kriegsgräuel will, der König Montezuma und sein Feldherr, die zu Verhandlungen bereit sind, auf der einen Seite die kriegsmüden spanischen Soldaten, die sich als Besatzer im feindlichen Land lieber heute als morgen verabschieden wollen. Dass Amazily, die mexikanische Prinzessin, und Cortez ein Paar sind, ist am Anfang bereits klar. Schon nach dem zweiten Akt ist offensichtlich, dass weder den spanischen Soldaten als Minderheit gegenüber einem fremden Volk noch den Azteken an einer Fortsetzung der kriegerischen Handlungen gelegen ist. Cortez kann durch eine flammende Ansprache und das Verbrennen seiner Flotte seine Soldaten noch einmal so motivieren, dass sie die Hauptstadt unter seiner Führung einnehmen und den Azteken ihre Bedingungen diktieren können: die Etablierung der mexikanischen Führungsriege unter der Dominanz der spanischen Besatzung.

Das war die von Auftraggeber Napoleon I. im Jahr 1807 gewünschte Botschaft: selbst wenn man fremdes Territorium besetzt, kann man durch charismatische Führung und patriotisches Engagement Erfolg haben. Preußen befand sich 1824 in einer sehr komfortablen Situation, denn aufgrund des Siegs über Napoleon I. und der Ergebnisse der Wiener Kongresses war es zu einer europäischen Großmacht aufgestiegen, der nur Frankreich ernsthaft Konkurrenz machen konnte. Die Oper wurde im 19. Jahrhundert gerne aufgeführt, denn eine Figur wir Cortez genoss große Sympathie. Heute sieht man die Eroberung Mexikos eher kritisch, denn die spanischen Eroberer haben, auch durch Einschleppen von Krankheiten, die indigene Bevölkerung von 25 Millionen auf 2,5 Millionen Menschen reduziert und deren Kultur weitgehend zerstört.

„Einst von Kaiser Napoleon I. im Rahmen seines geplanten Spanienfeldzugs in Auftrag gegeben, steht Fernand Cortez am Wendepunkt zwischen Tragédie-lyrique und Grand opéra. Zwei rivalisierende Chorgruppen sowie ein immer wieder anklingender Marschcharakter lassen die spannungsgeladene Geschichte auch heute, 500 Jahre nach dem Feldzug von Hernán Cortés gegen den Aztekenkaiser, lebendig werden. Die dritte Fassung entstand 1824 für den Berliner Hof, wo Spontini als preußischer Generalmusikdirektor tätig war. Sie wird an der Oper Dortmund erstmalig seit dem frühen 19. Jahrhundert wieder auf die Bühne gebracht.“ Das schreibt die Oper Dortmund in ihrer Vorankündigung.

Die musikalische Sprache dieser Oper ist klassizistisch, keine exotistische Abgrenzung zwischen Spaniern und Azteken, alle singen in französischer Sprache und in konventionellen Harmonien. Beethovens „Fidelio“ und Webers „Freischütz“ sind in der Dramaturgie und in der Tonsprache erheblich kühner angelegt.

Es ist eine große Choroper, eine dankbare Aufgabe für den gut aufgestellten von Fabio Manchini einstudierten Opernchor des Dortmunder Theaters, der einerseits als mexikanische Gesellschaft, andererseits als abgerissene spanische Abenteurer auftritt und einfach in großer Formation auf Bühnenniveau hochgefahren wird.

Oper Dortmund / FERNAND CORTEZ/Foto @ Björn Hickmann, Stage Picture

Die groß besetzten Dortmunder Philharmoniker unter der routinierten musikalischen Leitung von Christoph JK Müller spielen genregerecht die immer schön klingende Musik. Stars sind Melody Louledjian als mexikanische Prinzessin Amazily und Mirko Roschkowski als Cortez, deren große Arien schon fast an Belcanto erinnern.  Das Solistenensemble, allen voran der junge Tenor Sungjo Kim als Alvar, Cortez´ Bruder, Mandla Mndebele als Montezuma sehr würdig, James Lee als Télasco, mexikanischer Feldherr, Morgan Moody als Moralès, Vertrauter von Cortez und der besonders stimmgewaltige Bass Denis Velev als mexikanischer Oberpriester charismatisch volltönend sind prachtvoll besetzt, die restlichen Solopartien aus dem Ensemble adäquat. Es wird opulent gesungen und gespielt, aber der Funke zündet nicht.

Dass keine echte Spannung aufkommen will liegt an der doch recht konventionellen Musik und am fehlenden persönlichen Konflikt zwischen zwei Protagonisten. Selbst eine Liebesgeschichte fehlt. Es ist alles mehr oder weniger Taktik – Geiselnahmen, Draufgängertum und Kriegshandwerk.  Verdi hat 50 Jahre später ein ähnliches Sujet in seiner „Aida“ erheblich griffiger gestaltet.

Die Kostüme von Miriam Grimm sind moderne Anzüge oder Freizeitkleidung und deuten die mexikanische Kultur lediglich durch federngeschmückte Kopfputze Amazilys, Montezumas und Télascos an. Cortez trägt ein schwarzes Renaissancekostüm, er könnte einem Portraitgemälde entstiegen sein. Der Oberpriester und sein Gefolge halten herausgerissene blutige Herzen in der Hand als Zeichen für das mexikanische Leid durch den aufgezwungenen Krieg. Die Ukraine lässt grüßen!

Das Bühnenbild von Ralph Zeger ist ein großer goldener Kasten, in den ein Glaskäfig mit den Eroberern gefahren wird. Alles ist blutbeschmiert. Der Theatereffekt, dass Cortez seine Flotte verbrennt, wird szenisch verschenkt: er zündet lediglich ein Papierschiff an, das er in der Hand hält. Das wäre eine Chance für das Videodesign von Nils Korte gewesen!

Am Ende des zweiten Akts stellt sich Ratlosigkeit ein: Was soll jetzt noch kommen? Mit den spanischen Geiseln kann man sich nicht richtig identifizieren, die Kriegsmüdigkeit der Spanier ist verständlich, die Wut der Mexikaner auf die Besatzer ist nachvollziehbar. Der dritte Akt wurde erst später, 1824, dazu komponiert. Die Überforderung Amazylis als Vermittlerin zwischen beiden Kulturen ist greifbar, denn sie will sich sogar selbst opfern, um dem Krieg ein Ende zu machen. Stattdessen gelingt es Cortez, die Mexikaner militärisch zu besiegen und die Kolonialmacht Spanien in Mexico zu etablieren – ein Ende, das im 19. Jahrhundert als glückliches Ende empfunden wurde.

Im Rahmen des „Wagner-Kosmos III“ an der Oper Dortmund und flankiert von Wagners „Walküre“ sowie „Frédegonde“ von Camille Saint-Saens und Paul Dukas und einem umfangreichen wissenschaftlichen Rahmenprogramm kommt die dritte Version aus dem Jahr 1824 zur Aufführung.

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Oper Dortmund / Stückeseite
  • Titelfoto: Oper Dortmund / FERNAND CORTEZ/Foto @ Björn Hickmann, Stage Picture
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