Jubel um Verdis „Ernani“ in der Oper Bonn

Theater Bonn/ERNANI/Pavel Kudinov, Yannick-Muriel Noah, George Oniani /Foto© Thilo Beu

Der Abend endete mit großem Beifall im voll besetzten Haus für Ensemble, Chor und Beethoven-Orchester unter Will Humburg. Mit „Ernani“ setzt er seine Erfolgsserie früher Verdi-Opern nach „Les Vèpres Siciliennes“ in Bonn fort. Regisseur Roland Schwab zieht im beeindruckenden Bühnenbild von Alfred Peter alle Register einer zündenden Verdi-Oper. Es ist eine große Choroper mit einer haarsträubenden Geschichte, die sich im Jahr 1519 im Vorfeld und anlässlich der Krönung Don Carlos zum deutschen Kaiser Karl V. auf dem Thron Karls des Großen abspielt: der Bandit Ernani fällt nach seinem Rachefeldzug gegen Don Carlo, durch den seine Familie ihrer Besitztümer und ihrer Titel beraubt wurde, der Rache des Don Ruy Gomez da Silva zum Opfer, der ihm die Gunst Elviras, seiner Nichte, neidet. Roland Schwab gelingt es, die zeitlos relevanten Konflikte im Stil eines B-Movies herauszustellen und durch Nachbildung des Kaiserthrons aus dem Aachner Dom den historischen Bezug zu verdeutlichen. (Rezension der Premiere v. 10.04.2022)

 

 

Giuseppe Verdi und sein Librettist Francesco Maria Piave schreiben offiziell als „Dramma lirico“ in vier hochkonzentrierten Akten eine Folge von affektgeladenen Szenen, die mit rauschendem Szenenapplaus bedacht werden. Verdi und Piave haben Victor Hugos zu Grunde liegendes romantisches Drama „Hernani ou l´honneur Castillan“  auf die handlungsrelevanten dramatischen Schlüsselszenen eingedampft, und so folgt ein Feuerwerk von Hass, Liebe, Eifersucht, Gewalt, Rache und Starrsinn, die in einer musikalischen Affektsprache umgesetzt sind, die Verdis Werk unverwechselbar macht. Später hat Verdi sehr viel komplexere Musik geschrieben, doch der Verdi-Experte Uwe Schweikert bezeichnet „Ernani“ als „Verdis erstes Meisterwerk“.

Elvira ist die Frau, die von drei Männern begehrt wird, aber nur den einen, den Geächteten Ernani, Don Juan de Aragon, liebt. Ihr Onkel und Vormund Don Ruy Gomez da Silva hält sie in seinem Schloss eingesperrt und nötigt sie zur Heirat, in die sie einwilligt, weil sie Ernani tot glaubt. Während der Hochzeitsvorbereitungen sucht König Carlo Elvira auf, um ihr den Hof zu machen und wird dabei zunächst von Ernani überrascht, der in Don Carlo den Mörder seines Vaters erkennt. Carlo und Ernani werden dann ihrerseits von Silva überrascht. Von Silva zum Duell um Elvira gefordert verweigert Ernani ihm Satisfaktion und verbündet sich mit ihm gegen Carlo. In einem Schwur verpfändet er ihm sein Leben.

Theater Bonn/ERNANI/Ensemble/Foto© Thilo Beu

Es ist eine große Choroper mit knapp 60 Sänger*innen aus Chor und Extrachor der Oper Bonn. Die Szenen sind aufmerksam choreografiert, die Sänger*innen agieren individuell als Banditen, als Hofgesellschaft Silvas, als Liga der Verschwörer gegen Carlo, als Gesellschaft Don Carlos, des Kaisers, und als Gesellschaft Don Juan de Aragons (Ernanis), der von seiner Begnadigung durch den neu gewählten Kaiser nicht profitiert, weil ihn die Rache Don Silvas in der Hochzeitsnacht ereilt. Chorleiter Marco Medved hat – wie immer – den Chor bestens vorbereitet und erzielt mit den überwiegend einstimmig geführten Chören starke mitreißende Effekte.

Umworben von drei Männern, die einander von Herzen hassen, ist Elvira (Yannick-Muriel Noah), die von ihrem Vormund Silva gefangen gehalten wird und von ihm und Carlo begehrt wird, die junge Adelige, deren Liebe Ernani gehört. Am Anfang leicht indisponiert übertönt ihr klarer hochdramatischer Sopran Orchester und Chöre scheinbar mühelos. Sie hat in Bonn unter anderem als Aida, Tosca, Odabella, und Leonore geglänzt.

Der georgische Tenor George Oniani, langjähriges Ensemblemitglied, triumphiert als Ernani. Mit bombenstarken Spitzentönen und berückender heldischer Strahlkraft überzeugt er auf der ganzen Linie und fügt der Liste seiner Paraderollen wie Manrico, Radames, Foresto, Cavaradossi und Kalaf eine weitere hinzu.

Theater Bonn/ERNANI/Yannick-Muriel Noah, Pavel Kudinov, Chor/Foto© Thilo Beu

Den bösen rachsüchtigen Don Ruy Gomez de Silva gibt Pavel Kudinov, in Bonn als König Heinrich, Procida und Filippo bestens empfohlen. Sein Bass könnte vielleicht etwas schwärzer und volltönender für diese Rolle sein. Schauspielerisch zieht er alle Register des bösen rachsüchtigen Greises, der scharf auf seine junge Nichte ist, um sich noch einmal zu verjüngen.

Gaststar im wahrsten Sinne des Wortes ist der Verdi-Bariton Federico Longhi als Don Carlo, die komplexeste Figur des Dramas. Seine große Arie im 3. Akt „E questo loco“, bei der die tiefen Bläser des Beethoven-Orchesters glänzen konnten, in einer mit Totenschädeln dekorierten Krypta des Aachener Doms, wo er auf seine Wahl zum Kaiser wartet, ist einer der Höhepunkte. Sein opulenter Bariton verfügt über unfassbar viele Farben, mit denen er eine große Bandbreite von Gefühlen wie Verliebtheit, Begehren, Rachsucht, Verunsicherung und Verzeihung ausdrückte. „Don Carlo, ein sadistischer Gewaltherrscher, fern jeder Würde, selbst seine Clemenza nur ein Scheinmanöver vor der nächsten Spezialoperation,“ so Roland Schwab im Programmheft.

Die übrigen Rollen sind aus dem Ensemble adäquat besetzt. Nennen möchte ich Ingrid Bartz als Giovanna, Michael Krinner als Jago und Tae-Hwan Yun mit einem außergewöhnlich schönen Tenor als Don Ricardo.  Will Humburg dirigiert mit flotten Tempi das bestens aufgestellte Beethoven-Orchester, das saftigen Verdi-Sound liefert und auch als Banda auf der Bühne musiziert. Bei Humburg wird früher Verdi spannend, weil er immer die späten Verdi-Opern mitdenkt. Er hat in Köln unter anderem mit großem Erfolg „Otello“ und „Falstaff“ dirigiert.

Die Oper Bonn kann als „mittleres Haus“ stolz auf diese Produktion sein, denn sie hat mit Roland Schwab (Regie), Alfred Peter (Bühne) und Renée Listerdahl (Kostüme) ein Regieteam engagiert, dem es gelingt, die haarsträubenden Unwahrscheinlichkeiten und Brüche im Libretto durch eine konsequente Ästhetik der Gewalt im Stil der Rote Armee Fraktion (RAF) vergessen zu lassen.

Man muss in diesem Zusammenhang auch die hervorragenden Bühnenwerkstätten und Kostümbildnerei der Bonner Oper loben, denn die haben erstklassige Arbeit geliefert. Peter nutzt alle technischen Finessen der Drehbühne und der Hubbühne und erweitert dadurch die Bühne in die Höhe.

Die ersten beiden Akte spielen in einem aufwändigen drehbaren Quader mit abgebröckelten Betonkanten auf fragilen Stelzen als Silvas Schloss, der mit den Längsstreben auch das Gefängnis Elviras verdeutlicht. Im dritten Akt, in dem der Chor mit der Hubbühne hochgefahren wird, ist der original nachgebaute Thron Karls des Großen im Aachener Dom, auf dem Karl V. sich selbst krönt, zu sehen.

Theater Bonn/ERNANI/Pavel Kudinov, George Oniani, Yannick-Muriel Noah, Michael Krinner /Foto © Thilo Beu

Der 4. Akt zeigt die Ruine des Schlosses Silvas, in dem sich das kurze Glück Elviras und Ernanis abspielt bevor der dreimalige Hornstoß sein Ende verkündet. „Die Figuren müssen vor allem eins sein: extrem. Extrem in ihren Obsessionen. Ernani ist der ewige Outlaw, der von Anfang an den Todestrip lebt. Alles Glück nur dort, wo er nicht ist,“ so Schwab über die Figuren seiner Inszenierung.

Es gelingen im stilisierten Bühnenbild Tableaus von überaus großer Wirkung. Die Kostüme sind bis auf das weiße Kleid Elviras und den purpurnen Krönungsmantel Carlos ausnahmslos schwarz. Auch die zahlreichen Statisten, die Wachen und Soldaten verkörpern und mit schweren Waffen hantieren, tragen zum überwältigenden Eindruck bei.

Zerstörung und Gewalt sind in den Waffen der Räuber, erst recht in denen der Staatsmacht allgegenwärtig. Die Personenführung Schwabs verdeutlicht den sozialen Status und Beziehungen der Protagonisten untereinander überzeugend. Es gibt laufend Szenenapplaus, wie sich das für eine Nummernoper gehört.

Ein rundum gelungener Opernabend in der fast ausverkauften Oper Bonn.

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Oper Bonn / Stückeseite
  • Titelfoto: Theater Bonn/ERNANI/Ensemble/Foto© Thilo Beu
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