
Bei jeder neuen Inszenierung der Oper „Turandot“ stellt sich die Frage nach dem Schluss dieser Oper. Puccini arbeitete während 4 Jahren an diesem Werk, aber leider war er krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage, es selbst zu beenden. Da jedoch die Premiere an der Scala bereits fest geplant war, erteilte Arturo Toscanini dem Komponisten Franco Alfano den Auftrag, die letzte Szene der Oper anhand von vorgefundenen Fragmenten zu vollenden. Die Uraufführung fand 1926, damals noch ohne die Schlussszene, statt und endete mit dem Tod der Liu. Erst ab der zweiten Vorstellung wurde die Oper, um den zusätzlichen Schluss ergänzt, aufgeführt. Im Jahre 1978 wurde der komplette von Franco Alfonso komponierte Schluss entdeckt und hat sich seit 1983 an fast allen Opernhäusern in dieser Version durchgesetzt. Es existiert noch ein weiterer alternativer Schluss des Komponisten Lucian Berio. Am Theater Basel geht Regisseur Christof Loy einen anderen Weg und kann damit überzeugen. (Rezension der Vorstellung v. 16.03.2025)
Im Prolog sehen wir die kleine Prinzessin Turandot, welche erfahren hat, dass ihre Urahnin Lou-Ling durch einen Eroberer misshandelt und dann getötet wurde. Dafür will sie sich rächen. Diese Szene findet in einem prächtigen chinesischen Salon statt und wird von Puccinis „Crisantemi“ für Streichorchester begleitet. Dieses als Trauermusik zur Sterbeszene der Manon bekannte Stück eignet sich dazu bestens.
Das Bühnenbild von Herbert Murauer, der auch die Kostüme entworfen hat, besteht aus zwei Ebenen, dem edlen Salon und einem darüber befindlichen kargen weißser Raum, wo sich Timur, der gestürzte Vater des Prinzen Calàf und die in ihn verliebte Sklavin Liu befinden. Prinz Calàf erfährt von der eiskalten Prinzessin Turandot, deren Gunst nur derjenige Gewinnen kann, der drei Rätsel lösen kann, ansonsten er enthauptet wird. Prinz Calàf will sich dieser Herausforderung stellen. Die drei Minister Ping, Pang und Pong beklagen Turandots Skrupellosigkeit, alle bisherigen Bewerber zu töten. Sie träumen von einem Leben auf dem Lande, wo Turandot zufrieden und glücklich lebt.

Während der Rätselzeremonie erklärt Turandot den Anwesenden ihr Verhalten. Auch Prinz Calàf ist dort, aber, um seinen alten Vater zu schützen, offenbart er nicht seine wahre Identität. Sie ist besessen vom Ziel, den Tod ihrer misshandelten Urahnin zu rächen und sich niemals einem Manne hinzugeben. Jedoch löst der Unbekannte in ihr nie zuvor gekannte Gefühle aus. Als dieser dann ganz unerwartet alle Rätsel lösen kann, ist Turandot perplex. Prinz Calàf will sie nicht zur Liebe zwingen, aber er stellt nun seinerseits eine Bedingung. Falls die Prinzessin bis zum kommenden Morgen seinen Namen herausfindet, darf sie über ihn verfügen. Er verlangt dies in der Hoffnung, dass Turandot sich mittlerweile doch noch in ihn verlieben würde. Die Prinzessin setzt alles daran, um seinen Namen erfahren. Kurzerhand lässt sie den alten Timur und Liu, welche man zuvor zusammen mit dem Prinzen Calàf gesehen hatte, festnehmen und versucht, unter Anwendung von Folter ihr Ziel zu erreichen. Doch aus Liebe zum Prinzen tötet sich Liu vor den Augen von Turandot.
An dieser Stelle endete die unvollständige Fassung der Oper, wie sie bei der Uraufführung gespielt wurde.
In die Basler Aufführung von Turandot wird nun die Musik des vierten Akts aus der Oper „Manon Lescaut“ gespielt und man staunt ob der Harmonie der beiden Kompositionen. Der Tod von Liu hat Turandot und auch dem Prinzen Calàf die Augen geöffnet. Turandot muss erkennen, wie stark Liebe sein kann und was für ein Unglück sie über sich und die Welt gebracht hat. Prinz Calàf bleibt in der Wüste seiner Emotionen zurück und kann weder Liu, welcher er seine Liebe erklärt hat, noch Turandot von ihrer Einsamkeit befreien und ins Leben zurückbringen.
Das Sinfonieorchester Basel unter der Leitung von José Miguel Pérez-Sierra bietet einen Musikgenuss erste Güte. Von feinsten Passagen bis hin zu den gewaltigen Chorszenen wird man in den Bann gezogen.

Der Chor des Theaters Basel zusammen mit dem Extrachor und der Knabenkantorei Basel hat einige große Auftritte, welche ebenfalls überzeugen. Einzig zu bemängeln war der im ersten Akt auf dem Balkon links und rechts im Zuschauerraum postierte Chor, wo es zuweilen etwas an Synchronität mangelte, was wohl dieser ungewohnten Platzierung geschuldet ist.
Olesya Golovneva bot als Turandot ein überzeugendes Rollenportrait. Sie vermochte mit sicher sitzenden Spitzentönen und vielen Nuancen ihres Soprans zu begeistern. Prinz Calàf wurde von Rodrigo Porras Garulo gesungen. Sein kräftiger, strahlender Tenor kann ebenfalls mitreißen. Allerdings wurden gerade beim berühmten „Nessun dorma“ stimmlich auch seine Grenzen hörbar.
Ganz hervorragend ist Mané Galoyan als Liu. Bei ihr kann man von einer in jeder Hinsicht optimalen Besetzung sprechen.
Ein großes Lob gilt den drei Sängern David Oller als Ping, Ronan Caillet als Pang und Lucas van Lierop. Da haben sich drei Stimmen gefunden, welche nicht besser harmonieren könnten. Mit diesen Sängern hat man die drei Partien noch lebendiger wahrgenommen, als in anderen Inszenierungen. Bravo! Rolf Romei als Kaiser Altoum, Oliver Gourdy als Timur und Andrew Murphy als Mandarin rundeten den sehr positiven Gesamteindruck des Ensembles ab.
Das Publikum folgte gespannt der Aufführung und verzichtete löblicherweise auf Zwischenapplaus. Umso größer war der Applaus für alle Beteiligten am Ende der Aufführung. Man kann den Besuch dieser Aufführung wärmstens empfehlen.
- Rezension von Marco Stücklin / Red. DAS OPERNMAGAZIN-CH
- Theater Basel / Stückeseite
- Titelfoto: Theater Basel/TURANDOT/Foto: Ingo Höhn