
© Semperoper Dresden/Ludwig Olah
Am Ende triumphiert der Künstler: Unter Einsatz sämtlicher Metallgegenstände, die sich in seinem Besitz befinden, kann er die ambitionierte überlebensgroße Perseus-Statue in einem Guss fertigstellen und dem Papst, der sie bestellt hat, übergeben. Damit rettet er sich davor, für den Totschlag an Pompeo, Begleiter seines Rivalen Fieramosca, zur Rechenschaft gezogen zu werden. Die Handlung spielt im römischen Karneval und endet am Aschermittwoch. Es ist ein farbenprächtiges Spektakel, in dessen Mittelpunkt der Bildhauer und Goldschmied Benvenuto Cellini steht, dessen Autobiografie Léon de Wally und Auguste Barbier für Hector Berlioz in drei Karnevalstagen 1532 konzentrierten. Der Schweizer Peter Theiler beschließt seine sechsjährige Intendanz an der Semperoper Dresden mit „Benvenuto Cellini“, dem Drama des begnadeten Bildhauers, dem Papst Clemens VII. als weltlicher Herrscher des Kirchenstaats Absolution für einen Totschlag erteilt, weil für ihn als Künstler andere Gesetze gelten sollen. (Rezension der Premiere v. 29.06.2024)
„Benvenuto Cellini“ ist ein Künstlerdrama über einen in jeder Hinsicht ungewöhnlichen Goldschmied und Schöpfer der berühmten Perseus-Staue, die in Florenz neben dem David von Michelangelo steht. Dieser Renaissance-Mensch hat von 1500 – 1571 gelebt und ist nicht nur wegen seiner Kunst, sondern auch wegen seines hitzigen Temperaments bekannt. Er hat von 1558 bis 1566 seine Autobiografie geschrieben, die von Goethe 1803 in einer deutschen Übersetzung publiziert wurde und deren französische Übersetzung Hector Berlioz zu seiner Oper „Benvenuto Cellini“ inspiriert hat. Hector Berlioz´ 1838 in Paris uraufgeführte Oper wurde nach der Überarbeitung durch Franz Liszt 1852 in der Weimarer Fassung ein Erfolg und hat auch Wagners „Meistersinger“ maßgeblich beeinflusst. Zuletzt wurde „Cellini“ 1929 an der Semperoper aufgeführt.
Teresa, Tochter des päpstlichen Schatzmeisters Balducci, wird von zwei Männern umworben, den Bildhauern Fieramosca, Hofbildhauer des Papstes Clemens VII., und Benvenuto Cellini. In Abwesenheit des Vaters empfängt Teresa Cellini bei sich zu Hause. Sie gestehen sich ihre Liebe und erörtern einen Fluchtplan nach Florenz. Dabei werden sie belauscht von Fieramosca, der sich ebenfalls in das Haus Balduccis eingeschlichen hat. Als Balducci wieder erscheint, kann Cellini fliehen, Fieramosca dagegen wird vom Vater erwischt, und das Volk kommentiert in Kittelschürzen und Hauskleidung seinen Übergriff.
Am Karnevalsdienstag hat Cellini mit seinen Freunden heftig gezecht. Da sein Geldbeutel leer ist bringt ihm sein Lehrling Ascanio den Vorschuss vom Papst, der an die Bedingung geknüpft ist, dass er die Perseus-Statue am Aschermittwoch fertig abliefert.

© Semperoper Dresden/Ludwig Olah
Beim karnevalistischen Gauklerspiel im Cassandro-Theater wird Balducci übel aufs Korn genommen. Als sich Fieramosca und Pompeo in der gleichen Verkleidung als Mönche Teresa nähern wie Cellini und Ascanio, kommt es zu einem Handgemenge, bei dem Fieramosca, der wild mit dem Degen agiert, nicht verhindern kann, dass Cellini Pompeo ersticht, der tot vom Dach stürzt. Cellini wird zunächst vom Volk festgehalten, kann aber fliehen, als ein Kanonenschuss das Ende des Karnevals einläutet. Im folgenden Chaos wird Fieramosca an Cellinis Stelle festgehalten – gleiches Kostüm.
Am Aschermittwoch kehrt Cellini unversehrt zu Teresa und Ascanio zurück. Da er wegen des Totschlags an Pompeo gesucht wird, will er unbedingt fliehen. Dazu kommt es jedoch nicht, denn Balducci erscheint und will seine Tochter Teresa umgehend mit Fieramosca verheiraten. Papst Clemens VII. wird Zeuge des Aufruhrs und amnestiert Cellini unter der Bedingung, dass der die Perseus-Statue umgehend fertig stellt. Dann soll er auch Teresa heiraten dürfen. Unter großem Getöse wird der Schmelzofen angeworfen, da kommt die nächste Katastrophe: es ist nicht genug Metall da, um den Guss zu vollenden. Cellini lässt alle Metallgegenstände, auch all seine vorher geschaffenen Skulpturen, einschmelzen, um sein größtes Werk, von dem sein Leben und sein Glück abhängt, zu vollenden. Es gelingt, seine Bluttat wird ihm vergeben, und er wird vom Volk als genialer Künstler stürmisch gefeiert.
Regisseurin Barbora Horáková versucht im Bühnenbild von Aida Leonor Guardia und Arne Walther mit Videodesign von Sergio Verde und zeitlosen Kostümen von Eva Butzkies, das Thema zu aktualisieren, indem sie andeutet, Cellini habe künstliche Intelligenz geschaffen. Die Videoeffekte mit blinkenden Elektroden und magischen Augen sind zwar attraktiv, tragen aber wenig zum Verständnis des Grundkonflikts bei: dem charismatischen Cellini wird vom Papst, der obersten Instanz, alles verziehen, weil er die Kunst erneuert und dadurch die Gesellschaft verändert hat. Das Bild, in dem er auf einen Sockel steigt und sich selbst mit Hilfe seiner Gesellen vergoldet, trifft es besser.
Hector Berlioz hat mit seiner Kompositionstechnik den Einsatz des Orchesters und des Chors revolutioniert: extrem groß besetztes Orchester, mehrfach geteilte Stimmen in Chor und Orchester, ungeahnte Farben und Effekte durch bessere und effizientere Instrumente. Seine Intrumentationslehre hat die Musik des 19. Jahrhunderts maßgeblich beeinflusst. Insofern ist auch Berlioz auf seinem Gebiet ein Künstler, der sein Metier weitergebracht hat.
Bei der Semperoper Dresden ist das Werk bestens aufgehoben, denn die Staatskapelle Dresden, geprägt durch ihren scheidenden Chefdirigenten Christian Thielemann, ist mit 150 Planstellen zweifelfrei ein Weltklasse-Orchester. Dirigent Giampaolo Bisanti schlägt Funken aus der temperamentvollen und witzigen Instrumentierung, der Chor unter der Leitung von André Kellinghaus agiert mit dem Bewegungschor in der temporeichen Choreographie von Juanjo Arqués im durch vielstimmige Fugen auch musikalisch perfekt geordneten Chaos.

© Semperoper Dresden/Ludwig Olah
Stimmlich souverän meistert Anton Rositskiy die anspruchsvolle Titelpartie des französischen Tenorfachs mit exponierten Spitzentönen bis zum hohen „f“ und wundervollen Lyrismen. Von der Ausstrahlung wirkt er allerdings etwas brav. Dagegen poltert Bass Ante Jerkunica den erzkonservativen päpstlichen Schatzmeister, dem die Tochter auf der Nase rumtanzt, mit der gehörigen Portion Selbstironie, mit profundem Bass. Ein komödiantisches Naturtalent ist Jérôme Boutillier als Fieramosca, Wunschkandidat Balduccis als Schwiegersohn. Er hat die selbstbewusste Ausstrahlung, die ein Cellini braucht. Tilman Rönnebeck als Papst Clemens VII. ist mit Basso profondo die Ordnungsmacht, die ex cathedra die Amnestie Cellinis verkündet: „Die, welche in ihrem Beruf einzigartig sind, müssen nicht dem Gesetz unterworfen sein!“ Tuuli Takala als Teresa ist mit strahlendem lyrischem Sopran die ideale Partnerin Cellinis in den Liebesduetten, und in der Hosenrolle des Ascanio, Cellinis Gesellen, ist Ŝtěpánka Pučálková der ideale Beschützer Teresas bei ihrem nächtlichen Abenteuer. Die Regisseurin hat ihr die Rolle der künstlichen Intelligenz zugedacht, die sie am Anfang mit roboterhaften Bewegungen als eine Art C-3PO aus Starwars nachempfundenen Hominiden spielt. Aber sie legt die Rüstung ab und erweist sich als Mensch. Ihr warmer Mezzosopran harmoniert trefflich im Duett mit Teresas Sopran. Die übrigen Partien waren aus dem Ensemble typgerecht besetzt.

Benvenuto Cellinis Autobiographie hat keinen geringeren als den Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe fasziniert, denn Cellini ist in seiner überbordenden Rauflust, seinem maßlosen Ego und seinem Sprengen der bis dahin geltenden Grenzen durch seine Vision eines noch größeren, noch beeindruckenderen Kunstwerks ein Künstler, dem seiner Meinung nach eine Sonderstellung zusteht. Gleiches beansprucht auch Hector Berlioz als Musiker, der die Grenzen des Orchesters erweitert und, vor allem in Gestalt seiner Totenmesse, die noch üppiger besetzt ist als „Benvenuto Cellini“ den Rahmen des bis dahin Üblichen sprengt.
Berlioz´ frühes Meisterwerk war am 1. November 2015 sowohl in Bonn als Abschiedsvorstellung des scheidenden Chefdirigenten Stefan Blunier als auch am 15. November 2015 als Antrittsvorstellung des neu verpflichteten Kölner GMD Francois Xavier Roth zu sehen, der die ursprüngliche Pariser Fassung von 1838 als Eröffnungsvorstellung für das renovierte Opernhaus am Offenbachplatz vorgesehen hatte. Da sich die Fertigstellung immer noch verzögert eröffnete er damit im November 2015 die Übergangsspielstätte im Staatenhaus am Tanzbrunnen.
Der Beifall am Schluss in Dresden war gewaltig für das hochkarätige Ensemble, den Chor und das Orchester unter Giampaolo Bisanti. Einige Buhs musste das Regieteam hinnehmen, denn der Bezug zur künstlichen Intelligenz wirkte aufgesetzt und wäre meiner Meinung nach nicht nötig gewesen. Es hat sich gelohnt, diese imposante selten gespielte Komödie mit Tiefgang in der Semperoper zu sehen, denn eine solche Perfektion von Orchester, Chor und Ensemble auch in der Personenführung habe ich woanders noch nicht erlebt.
- Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
- Semperoper Dresden / Stückeseite
- Titelfoto: Semperoper/BENVENUTO CELLINI/Jérôme Boutillier (Fieramosca ), Anton Rositskiy (Benvenuto Cellini), Sächsischer Staatsopernchor Dresden, Komparserie/Foto: © Semperoper Dresden/Ludwig Olah