„Iolanta“ im Wunderland: Tschaikowskys letzte Oper im Anhaltischen Theater Dessau

Theater Dessau/IOLANTA/Costa Latsos, Dmitry Lavrov/Foto © Claudia Heysel

Tschaikowskys „Iolanta“ ist eine Geschichte von Licht und Dunkelheit, von Verdunklung und Erleuchtung. Das Anhaltische Theater in Dessau konzentriert sich in seiner neuen Produktion – sie feierte am 30. Oktober 2021 Premiere – in wenngleich neuer Deutungsart auf den fantastischen Charakter des Spätwerks des russischen Komponisten und schafft so den perfekten Eskapismus im zweiten Pandemiewinter. (Besuchte Vorstellung am 12. Februar 2022)

 

Zu Beginn scheinen sie gar kein Ende nehmen zu wollen: Die grauen, trostlosen Klinikwände. Die Fenster sind groß, doch Licht fällt nicht in diese Welt. Regisseur Michael Schachermeier verlegt seine „Iolanta“ aus dem französischen Mittelalter in ein modernes Krankenhaus. Erzählt wird Tschaikowskys Oper durch die sehenden Augen einer älteren Iolanta (Ks. Iordanka Derilova), die auf ihre Kindheit und die Wunderheilung zurückblickt. In der Rückschau betritt die junge Iolanta (Josephine Nahrstedt) voller Angst die Klinik. Ihre neue Umgebung ist kalt und farblos. Das blinde Mädchen ist verwirrt und voller Furcht. Ihre Spielzeuge sind ihr einziger Trost.

In seiner letzten Oper erzählt Pjotr Tschaikowsky, das Libretto stammt von seinem Bruder Modest basierend auf dem dänischen Versdrama „König Renés Tochter“ von Henrik Hertz, die Geschichte der blinden Prinzessin Iolanta. Sie lebt in einer eigens von ihrem Vater für sie geschaffenen Welt und ahnt nichts von ihrem Schicksal. Geheilt werden kann sie nur, wenn sie von ihrer Blindheit erfährt. Durch Irrungen und Wirrungen ist es schließlich die Liebe, die hilft Iolanta zu heilen.

Theater Dessau/IOLANTA/Don Lee, Josephine Nahrstedt/Foto © Claudia Heysel

In Schachermeiers Inszenierung entschwindet die junge Iolanta aus Angst vor der anstehenden Operation im nächtlichen Traum dem trostlosen Klinikzimmer. Sie taucht ein in eine bunte „Alice im Wunderland“-hafte Welt, in der Tiere sprechen können und Spielzeuge zum Leben erweckt werden. Damit gelingt dem Regisseur nicht zuletzt eine Anspielung auf Tschaikowskys Ballett „Der Nussknacker“, der gemeinsam mit dem Einakter „Iolanta“ im Jahr 1892 im Mariinsky-Theater Premiere feierte. Im Traum findet sich das junge Mädchen wieder in einem Paradiesgarten voller übermenschlich großer Rosen. Dort trifft sie auf fliegende Nonnen, einen sprechenden Hund, einen erzählenden Vogel und schließlich auf ihre Menschen gewordenen Spielzeuge. So sind in dieser ebenso poetischen wie fantastischen Inszenierung der Herzog von Brabant ein Zinnsoldat und Graf Vaudémont ein Astronaut. Märchenhaft begeben sie sich gemeinsam auf die Reise der Sehendwerdung der Iolanta. Der Höhepunkt dabei: Das Liebesduett von Iolanta und Vaudémont (Costa Latsos). Passend zum unterschwelligen kindlich-eleganten Charme der Inszenierung ist das Bühnenbild von Jessica Rockstroh klar und dezent aber mit viel Liebe zum Detail gestaltet. Die mal naturalistisch, mal märchenhaft gehaltenen Kostüme (Alexander Djurkov Hotter) bilden einen fantasievollen Farbtupfer in der bisher sehr grauen Welt der Iolanta.

Theater Dessau/IOLANTA/KS Iordanka Derilova, Chor/Foto © Claudia Heysel

Auch waren es die doppelten Iolantas, die an diesem Nachmittag in Dessau gesanglich und schauspielerisch besonders hervorstachen. Von Zartheit und Naivität bis hin zu Melancholie und Verzweiflung: Ks. Iordanka Derilova zeigte mit ihrem klaren und einfühlsamen Sopran die gesamte emotionale Bandbreite ihrer Rolle. In ständiger Interaktion ist sie mit ihrem (stummen) jüngeren Ebenbild, ausdrucksstark verkörpert durch die Schauspielerin Josephine Nahrstedt. Costa Latsos gestaltete einen gesanglich kraftvollen und schauspielerisch empathischen Vaudémont, der besonders in den Duetten auftrumpfte und feine schauspielerische Momente zeigte. Mal verzweifelt, mal einfühlsam, aber immer solide formte der Bass Don Lee seine Rolle als König René. Ulf Paulsen als Ibn-Hakia und Dmitry Lavrov als Herzog von Burgund rundeten die großartigen Leistungen des Ensembles des Anhaltischen Theaters Dessau ab.

Theater Dessau/IOLANTA/KS Iordanka Derilova, Chor/Foto © Claudia Heysel

Orchestralisch begleitet wurden sie dabei von der Anhaltischen Philharmonie Dessau unter der Leitung von Elisa Gogou. Die Dirigentin und 1. Kapellmeisterin des Theaters gestaltete ihren Tschaikowsky satt, stets die märchenhaft-romantische Erzählung untermalend. Von der nur mit Holzbläsern und Hörnern besetzten Ouvertüre bis hin zum farbenreichen und klanggewaltigen Finale, erweist sich Tschaikowsky in „Iolanta“ einmal mehr als ein Meister der Instrumentation. Höhepunkt des Abends war – neben dem Liebesduett von Iolanta und Vaudémont – das grandiose Finale der Oper, in dem neben den Solist:innen und dem Orchester auch der Opernchor des Anhaltischen Theaters Dessau auftrumpfen konnte.

Eineinhalb Stunden lang ist „Iolanta“ die Reise aus der Dunkelheit zum Licht: Am Ende des Stückes wird die junge Prinzessin nicht nur sehend, sondern auch sich ihrer selbst bewusst. Und so öffnen sich zum Abschluss der Inszenierung die zuvor fast gefängnishaft wirkenden Fenster und warmes Licht durchflutet die Bühne und strömt in den Zuschauerraum. Ein – für Tschaikowsky völlig ungewohntes – glückliches Ende, das Hoffnung gibt in einer schwierigen Zeit.

 

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