Geschichte schreiben – Das Musical „Hamilton“ kommt nach Hamburg

HAMILTON-Das Musical/Foto @ Johan Persson

Als das amerikanische Musical Hamilton im Jahr 2015 Premiere feierte, überschlugen sich Presse und Fans gleichermaßen. Wie kaum ein zweites Musical der letzten Jahre brachte es die Geschichte um den vergessenen Gründervater Alexander Hamilton aus der Feder des Komponisten, Schauspielers, Songwriters und Rappers Lin-Manuel Miranda zu überragendem Erfolg und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. elf Tony Awards, einem Pulitzer-Preis und das dazugehörige Musikalbum gewann einen Grammy Award als „Best Musical Theater Recording“. (Rezension der Vorstellung v. 29. Januar 2023, 14:30 Uhr)

 

Das Sujet des Musicals mag nicht nur für das deutsche Publikum ein ungewöhnliches sein. Auch in den USA findet die historische Figur des Gründervaters Alexander Hamilton eher wenig Beachtung. Als Waise in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen und als Immigrant den „American Dream“ hinterherjagend, durchlebt der charismatische Politiker einen gewaltigen sozialen und beruflichen Aufstieg, der ihn an der Seite des damaligen Präsidenten George Washington das Amt des ersten amerikanischen Finanzministers einbringt. Doch auch private Verstrickungen, Krisen und sein tragischer Tod, resultierend aus dem Duell mit seinem Widersacher Aaron Burr, werden auf der Bühne thematisiert. Miranda erkannte, dass die Biografie dieses einzigartigen, stets getriebenen, ambitionierten, aber auch tragischen Mannes Potenzial für die Dramatisierung zu einem Musical bietet. Der anhaltende Hype und auch der internationale Erfolg haben dies unlängst bewiesen.

Im Oktober des vergangenen Jahres erreichte Hamilton die Hamburger Musical-Szene und wird seitdem auf der Hamburger Reeperbahn im Stage Operettenhaus (wo es schon lange keine Operetten mehr gibt) en-Suite aufgeführt. Die deutsche Übersetzung des Textes stammt von Musicalautor Kevin Schroeder und Rapper Sera Finale. Ein solch sprachgewaltiges Musical zu übersetzen, bei dem sich die überschlagenden Rap-Battles mit blitzschnellen Wortgefechten abwechseln, dabei aber immer von sprachlich diffizilen und klugen Aussagen strotzen, sodass weder die Sänger*innen noch das Publikum Luft holen können, schien zunächst ein unmögliches Unterfangen zu sein. Die drei Jahre harte Arbeit an der deutschen Fassung haben sich ausgezahlt, denn die Hamburger Premiere wurde schlagartig zum Erfolg.

HAMILTON-Das Musical/Gino Emmes/Foto @ Johan Persson

Der Rat, dem Aaron Burr der Titelfigur Hamilton bei ihrem ersten Zusammentreffen gibt „Talk less, smile more“, wurde glücklicherweise ignoriert. Es ist einer der wenigen Sätze, die man in englischer Sprache beibehalten hat. Statt das englische Original 1:1 zu übersetzen, haben sich die beiden Übersetzer einige meist sehr elegante künstlerische Freiheiten herausgenommen und dabei immer auf ihr Gespür für Timing und Humor vertraut. Das Ergebnis: Eine überaus unterhaltsame Version, die sich nicht gewaltsam an die deutsche Sprache klammert, oder englische Idiome zu übersetzen erzwingen will. Stattdessen gerät die Übersetzung zu einer geschmeidigen Hommage an Deutsch-Rap mit versteckten Zitaten und Anspielungen, gewürzt mit eigenen, speziell nur für das deutsche Publikum verständlichen Witzen. Diese durchwegs spritzige und hörenswerte Fassung hat sich durchaus von ihrer englischen Ursprungsversion emanzipiert.

Unter der musikalischen Leitung von Benjamin Fenker schoss die Band die Bässe durch die Menge: Die einzigartige, eher ungewöhnliche Mischung der musikalischen Genres – von Hip-Hop, R&B bis hin zu Soul und Balladen – sind in Hamilton mit einer Selbstverständlichkeit vereint und macht es so zu einem wahren Unikum innerhalb der Musical-Landschaft.

Die Internationalität der Produktion wird auch durch die Besetzung unterstrichen. Der aus 13 verschiedenen Nationen stammende Cast steht ihren amerikanischen Kolleg*innen in Sachen Charisma und Bühnenpräsenz in nichts nach. Auch die gesamte Hamburger Aufführung ist eine beispiellos erstklassige Ensembleleistung. Zum Schlussapplaus verbeugt sich der gesamte Cast ausschließlich als Team. Da sie allesamt fast durchgängig auf der Bühne präsent sind, gibt es keine Einzelvorhänge.

Und dennoch sind einige Darsteller*innen besonders hervorzuheben: In Hamburg verkörpert Benét Monteiro die Titelrolle des Alexander Hamilton mit Raffinesse, Charme und einer stürmisch-nuancierten Tiefgründigkeit. Wer die TV-Übertragung der Broadwayfassung mit Lin-Manuel Miranda als Hamilton kennt, würde zunächst Monteiro mit ihm als Schöpfer des Musicals vergleichen. Und gerade hier beweist sich erneut die Stärke einer Übersetzung. Denn der weitaus jüngere Monteiro entwickelt aus seiner deutschsprachigen Partie des Hamilton etwas ganz Eigenes und Persönliches. Sein Hamilton wirkt zunächst etwas forscher, unbedarfter und auch etwas skeptischer als das amerikanische Original. So stehen sich zwei fesselnde Interpretationen einer historischen Figur gegenüber, die jede auf seine eigene Art ihren Charakter zum Leben erwecken lassen.

Gino Emnes verkörpert als Aaron Burr einen vielschichtigen und eleganten Widersacher. Eliza Hamilton wird von Ivy Quainoos verkörpert, die das Publikum mit ihrer überaus schönen, lyrischen Stimme von der ersten Sekunde in ihren Bann zieht. Last but not least ist der Schauspieler Jan Kersjes zu erwähnen, der mit drei kurzen, extrem humorvoll-pointierten Auftritten als King George III. sein amerikanisches Vorbild nahezu in den Schatten stellt und gekonnt die Grenzen der Überzeichnung auslotet.

HAMILTON-Das Musical/Foto @ Johan Persson

Die Choreografie von Andy Blankenbuehler und der fast unermüdliche Einsatz der Drehbühne unterstreichen den Sprachfluss und verzaubern das Publikum. Der szenische Rahmen bildet ein aus Seilen und Kisten staffiertes, an Docks und Warehouses anmutendes, Bühnenbild – eine Übernahme aus der Originalproduktion, die die Brücke von New York in die Hafenstadt an der Elbe gekonnt schlägt. In dieser Szenerie spielt sich die etwa dreistündige Handlung ab. Die gesamte Show ist durchchoreographiert und die Handlungsstätten werden mittels einzelner Requisiten rasch gewechselt. Es entsteht keine Sekunde Leerlauf.

Dass Hamilton auch in deutscher Sprache funktioniert ist nicht nur der einzigartigen Übersetzung, sondern auch des diversen Casts geschuldet. Während die deutsche Klassik- und Theaterlandschaft nur sehr zögerlich und wenig wirksam auf die immer lauter werdenden Rufe nach mehr Diversität sowohl bei der Programmgestaltung als auch der Auswahl der Interpret*innen reagiert, beweist Hamilton, dass dies nicht nur möglich sein kann, sondern auch kommerziell und künstlerisch erfolgreich ist.

„Sprechgesang ist nicht jedermanns Sache“, das wussten auch schon Die Fantastischen Vier. Und doch wird das interessierte Opernpublikum gerade bei diesem Musical positiv überrascht werden! Mit einer Textdichte im Tempo von Richard Strauss „Der Rosenkavalier“, einer Choreografie mit Spannung bis zur letzten Sekunde sowie einem Beat, der Tage später im Kopf noch nachhallt, stellt Hamilton eine gelungene Bereicherung der deutschen Kulturszene dar.

 

  • Rezension von Alexandra & Phillip Richter / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Musical HAMILTON
  • Titelfoto: HAMILTON-Das Musical/Foto @ Johan Persson

Teile diesen Beitrag:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert