Machtintrigen im alten Rom: „Agrippina“ von Händel in der Oper Bonn gefeiert

Theater Bonn/AGRIPPINA/ Lada Bočková, Louise Kemény, Statisterie/Foto © Thilo Beu

Nach einem Gratis-Stream-Angebot 2021, bei dem Corona-bedingt eine Choreographie des Zwei-Meter-Abstands der Darstellenden voneinander strikt eingehalten werden musste, kommt nun die lange erwartete Live-Premiere der Inszenierung von Leo Muscato mit Rubén Dubrovsky am Pult. Es ist eine bitterböse Satire, einerseits über die dunkle Seite der Politik, andererseits über die Manipulierbarkeit von Männern durch attraktive Frauen wie Poppea und kluge Intrigantinnen wie Agrippina. Stehende Ovationen im nahezu ausverkauften Haus! (Rezension der Premiere vom 29.01.2023)

 

„Agrippina“ ist ein spannendes Polit-Drama und eine saftige Buffa, bei dem die Männer von zwei Frauen kräftig manipuliert und über den Tisch gezogen werden. Am Ende bekommen beide Damen genau das, was sie wollen.  27 Aufführungen in der Karnevalssaison 1709/10 am Teatro San Giovanni Grisostomo (dem heutigen Teatro Mailbran) in Venedig waren der erste große Erfolg dieser Oper des erst 24-jährigen Georg Friedrich Händel, deren Libretto kein geringerer als der Vizekönig von Neapel und Kardinal Vincenzo Grimani verfasst hatte. Nur fünf der Gesangsnummern wurden eigens für Agrippina komponiert. Das erklärt auch die kurze Entstehungsdauer von wenigen Wochen.

Die Handlung beginnt mit der Nachricht vom Tod des Kaisers Claudio, Agrippinas (drittem) Ehemann. Sie nutzt die Gunst der Stunde, ihre Hofschranzen Pallante und Narziso auf ihr Ziel, ihren pyromanischen Sohn Nero als Claudios Nachfolger auf dem Kaiserthron zu installieren, einzuschwören. Aber Claudio ist gar nicht ertrunken! Sein Feldherr Ottone hat ihn gerettet, und Claudio eilt nach seiner Rückkehr umgehend zu Poppea, die Mühe hat, sich den lüsternen älteren Mann vom Leib zu halten. Me too lässt grüßen! Sie liebt nur den edlen Ottone.

Agrippina muss erneut intrigieren und spielt alle gegeneinander aus. Poppea teilt sie mit, Ottone habe sie für den Kaiserthron an Claudio „abgetreten“. Aber Poppea glaubt ihrem Ottone und klärt die Intrige auf. Jedem verspricht sie alles, aber Poppea ist noch schlauer. Am Ende haben alle ihr Ziel erreicht: Ottone heiratet Poppea, Nero besteigt mit Agrippina den Thron und Claudio zieht sich ins Privatleben zurück.

Theater Bonn/AGRIPPINA/ Marie Heeschen, Pavel Kudinov, Louise Kemény, Lada Bočková/Foto © Thilo Beu

Auf der variabel ausgestatteten Drehbühne mit seitlichem Rednerpult finden schnelle Ortswechsel ohne Umbaupausen statt. Die Handlung verknüpft verschiedene Ereignisse im ersten Jahrhundert, die der Kardinal und Diplomat Grimani souverän zu einem Lehrstück des Machiavellismus ausformuliert hat. Agrippina beherrscht die Machtpolitik wie keine andere: „... inmitten so vieler Feinde ist es jetzt Zeit, dass mich die Intrige nicht verlässt“.

Die Kostüme von Silvia Aymonino sind mehr als Kleidung, denn es werden auch die Köper durch Fatsuits geformt. So sind die zierliche Lada Bočková als kugelrunder Nero oder Charlotte Quadt-Kohlhepp als übergewichtiger Narciso überhaupt nicht als Frauen erkennbar. Auch Louise Kemény als Agrippina hat als reife Frau mehr Rundungen als von Natur aus, während Benno Schachtner als Ottone im Kampfanzug sehr athletisch daherkommt.

Musikalisch ist der erste große Wurf Händels bei Rubén Dubrovsky und dem Beethovenorchester in den besten Händen. Es wird zwar nicht auf Originalinstrumenten gespielt, aber Dubrovsky schafft einen transparenten Barockklang mit Oboen statt Blockflöten, dazu Cembalo und Orgel (Felix Schönherr). Man hat kräftig gekürzt und Giunio (Alt) und den Chor gestrichen, was den Blick auf die Beziehung zwischen den Personen schärft. Einschließlich Pause dauert die Vorstellung drei Stunden.

Louise Kemény mit ihrem flexiblen lyrisch-dramatischen Sopran ist eine Agrippina, die mit großer List ihre Macht zu erhalten weiß. Ihrem Sohn Nero bringt sie alle Tricks und Finten bei, die man zum Machterhalt braucht, bei. „So muss ein Herrscher milde, treu, menschlich, aufrichtig und fromm scheinen und er soll es gleichzeitig sein; aber er muss auch die Seelenstärke besitzen, im Fall der Not alles ins Gegenteil wenden zu können.“ Sie ist eine Meisterin der Verstellung, vor allem wenn sie Freude darüber heuchelt, dass ihr Gatte Claudio von Ottone vor dem Ertrinken gerettet wurde, war sie doch ihrem Ziel schon so nahe! Ihre Ehe mit Claudio ist offensichtlich zerrüttet, denn die Trauer um den Toten heuchelt sie nur. Ihre Koloraturen und Spitzentöne beeindrucke auf der ganzen Linie.

Nicht zu erkennen ist auch Lada Bočková als ihr pyromanischer Sohn Nero. Sie bewegt sich wie ein trotziges, verwöhntes Kind und bewältigt die enormen Koloraturen und Sprünge ihrer hysterischen Arien mit Bravour.

Die wundervolle Marie Heeschen als Poppea ist die charmante Sympathieträgerin, weil sie allein ihrer Liebe folgt. Zunächst Spielball von Agrippinas Ränken, nimmt sie ihr Schicksal selbst in die Hand und entwickelt sich zu Agrippinas Gegenspielerin. Bei ihr wirken die notwendigen Intrigen wie Notwehr, denn sie ist Ottone verfallen und spielt Nero und Claudio nur gegeneinander aus.

Ihr Geliebter Ottone ist derjenige, dem durch Agrippinas Intrigen am übelsten mitgespielt wird. Auf den ihm versprochenen Thron verzichtet er um seiner Liebe zu Poppea willen. Countertenor Benno Schachtner rührt mit seinem perfekten Countertenor zu Tränen. Das Liebespaar ist von den zum Teil etwas überzogenen Gags ausgenommen. Die Gefühle der beiden werden mit erlesenen Kantilenen ausgedrückt.

Theater Bonn/AGRIPPINA/ Pavel Kudinov, Marie Heeschen/Foto © Thilo Beu

Pavel Kudinov gibt einen etwas tumben Claudio, dem man unterstellen kann, dass er eher damit beschäftigt ist, jungen Frauen wie Poppea nachzusteigen als sich seinen Regierungsgeschäften zu widmen. Er erweist sich als Erzkomödiant und versierter Tänzer, der auch das Dienstpersonal einbezieht. Seine Auftrittsarie mit Fagottbegleitung war einfach nur ein Paradestück eines eitlen Gecken, der zufällig unter seiner Gattin Agrippina römischer Kaiser ist. Die Szene, in der er Poppea an die Wäsche will, ist urkomisch.

Charlotte Quadt als Narciso und Carl Rumstadt als Pallante sind mit grotesken Fatsuits als kugelrunde Dicke dargestellt. Sie spielen die Probleme Übergewichtiger, sich angemessen zu bewegen, voll aus und haben die Lacher auf ihrer Seite. Martin Tzonev als gertenschlanker Lesbo ist für Claudio eine Art Leporello, der dessen amouröse Abenteuer umsichtig organisiert. Entzückend sind Amelie Adamsky und Victoria Telegina als Dienstpersonal. Sie singen zwar nicht, tanzen aber mit Claudio eine Art Schreittanz.

Die Problematik der meisten Barockopern liegt darin, dass sie überwiegend aus Rezitativen und Arien bestehen. Daher hat Leo Muscato eine sehr streng choreographierte Personenführung mit streng rechtwinkligen Wendungen und Drehungen um exakt 180° entwickelt. Einige Angesungene verdrehen bei der dritten Wiederholung der Arie die Augen. Aufgrund der Pandemie musste Muscato auch noch darauf achten, dass zwischen je zwei Singenden mindestens zwei Meter Abstand waren. Sie wurden mit entsprechendem Abstand in einer Reihe aufgestellt, was zum Teil unnatürlich wirkte. Einige Elemente wie die Übergabe von Schmuck an Poppea über drei Meter Entfernung oder auch das Ausweichen Poppeas von Claudios Avancen hat man einfach so gelassen, weil es einfach so schöne Bilder waren.

Theater Bonn/AGRIPPINA/ Pavel Kudinov, Louise Kemény, Marie Heeschen/ Foto © Thilo Beu

Dabei hat Händel große menschliche Gefühle und Emotionen komponiert, die vor allem von Poppea und Ottone hochemotional durch überirdisch schönen Gesang ausgedrückt werden, während Agrippina und Nero ihren Ärger mit irren Intervallsprüngen ausdrücken. Die anderen Figuren geraten dann doch etwas zu klischeehaft.

Leo Muscato und Rubén Dubrovsky knüpfen mit „Agrippina“ an ihren Erfolg mit Händels „Serse“ an. Vertreter der reinen Lehre der historischen Aufführungspraxis könnten bemängeln, dass Nero eigentlich von einem sehr hohen Countertenor gesungen werden sollte, und auch Narciso sollte ein Countertenor sein. Aber die Besetzung mit Frauen ist allgemein üblich, wenn man nicht gerade Händel-Festspiele veranstaltet.

Das Lieto fine ist nur von kurzer Dauer. Glücklich ist nur der Moment, die Fortsetzung findet man bei Tacitus oder in Monteverdis „L´Incoronazione di Poppea“. Das Publikum erlebte eine herrliche Komödie über den Machtkampf um den Aufstieg Neros zu Nachfolger des Kaisers Claudius.

 

  • Rezension von Ursula Hartlapp-Lindemeyer / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Oper Bonn / Stückeseite
  • Titelfoto: Theater Bonn/AGRIPPINA/ Martin Tzonev (LESBO), Marie Heeschen (POPPEA), Louise Kemény (AGRIPPINA)/ Foto © Thilo Beu 
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Ein Gedanke zu „Machtintrigen im alten Rom: „Agrippina“ von Händel in der Oper Bonn gefeiert

  1. Großartige Aufführung. Musikalisch toll, unterhaltsam. Opulente Inszenierung mit Figuren, die dem aktuellen Geschehen entsprechen, in der Geschichte wie im hier und jetzt. Auch witzig und spannend. Total gelungen, weiter so!

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