Gelsenkirchen: Wagners „Rheingold“ – Zweieinhalb Stunden große Oper mit Tiefgang!

MiR/RHEINGOLD/Almuth Herbst/ Foto @ Forster

Begeisterter Beifall für Darsteller und Regieteam im ausverkauften Haus: „Das Rheingold“ von Richard Wagner am 11. Mai 2019 in Gelsenkirchen

Es ist ein brillantes Konversationsstück mit hervorragender Besetzung in einer märchenhaften Inszenierung, die zum Nachdenken anregt: Wagners „Rheingold“ im Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen. Zweieinhalb Stunden große Oper mit Tiefgang!

 

Auf der Rückfahrt aus Gelsenkirchen kam die Nachricht im Radio: „Thyssen-Krupp streicht 4.000 Stellen“. Da wurde mir klar, was das „Rheingold“ mit dem Revier zu tun hat. Intendant Michael Schulz beschäftigt sich bewusst im Musiktheater mit dem Thema „Arbeit“ und dem Ende des Steinkohlenbergbaus im Ruhrgebiet. Dazu hat er „Das Rheingold“, das seit 2011 immer wieder konzertant aufgeführt wurde, szenisch umgesetzt.

Der Urzustand der Welt, der im Vorspiel mit fließender Musik geschildert wird, wird durch Alberichs Aneignung des Rheingolds gestört, ebenso durch die Tatsache, dass Wotan aus der Weltesche einen Speer herausgeschnitten hat.

MiR/Rheingold/ Urban Malmberg, Statisterie, Mitte re.: Boshana Milkov, Lina Hoffmann, Bele Kumberger/ Foto @ Forster

Alberich (hervorragend: Urban Malmberg) und Mime (Tobias Glagau) stehen im „Rheingold“ für seelenlose Großkapitalisten der Montanindustrie, die ihre Arbeiter knechten und unter menschenunwürdigen Bedingungen ausbeuten. Obwohl kein Chor vorgesehen ist seufzen die Statisten, die in Nibelheim in der frühindustriellen Kohle- und Stahl-Industrie arbeiten, hörbar auf. Alberich, der „zankende Zwerg“, bemüht sich vergebens um die Gunst der naiven Rheintöchter (Woglinde: Bele Kumberger, Wellgunde: Lina Hoffmann und Flosshilde: Boshana Milkov), die ihn wegen seiner hässlichen Gestalt gnadenlos verspotten, und entscheidet sich, auf die Liebe zu verzichten, um das Rheingold, das er bei ihnen entdeckt hat, in seine Gewalt zu bringen. Ihm gelingt es, aus dem Rheingold den „Ring des Nibelungen“ zu schmieden, der die Weltmacht verleiht, und Mime schmiedet auf Alberichs Befehl die Tarnkappe, die den Träger in jeglicher Gestalt erscheinen lässt.

Die Götter stehen für den Adel. Göttervater Wotan (Bastiaan Everink) ist ein charismatischer, sehr gut aussehender Herr im Maßanzug, der es versteht, zu leben. In zahllosen Affären hat er unter anderem die acht Walküren, die drei Nornen und die Zwillinge Siegmund und Sieglinde gezeugt. Nun hat er zum Zeichen, dass er mit seiner Gattin Fricka sesshaft werden will, die Burg Walhall bauen lassen. Leider hat er sich dabei übernommen. Er hat den Riesen Fafner (Michael Heine) und Fasolt (Joachim G. Maaß) als Honorar für die Erbauung Walhalls seine Schwägerin Freia, Göttin der ewigen Jugend versprochen, ohne dies mit ihr oder seiner Frau Fricka (Almuth Herbst) abzusprechen. Da Wotan seine Macht nur durch Verträge ausübt, hat er ein schwerwiegendes Problem: er muss sich an sein Versprechen halten.

Die Riesen bestehen auf Erfüllung des Vertrags, aber Fricka als Hüterin der Ehe kann nicht zulassen, dass ihre Schwester Freia den Riesen als Beute und Gespielin überlassen wird. Die Riesen haben mittlerweile die verzweifelte Freia (ausdrucksstarker Sopran: Petra Schmidt) als Geisel genommen.

MiR/Rheingold/ Cornel Frey/ Foto @ Forster

In dieser Situation tritt Loge (phantastisch: Cornel Frey), Wotans Anwalt und Berater, auf. Er hat Alberichs Raub des Rheingolds als Zeuge erlebt und wendet sich an Wotan mit der Bitte der Rheintöchter, das Rheingold wieder zu beschaffen. Sie beschließen: Wotan und Loge reisen nach Nibelheim, um Alberich das Rheingold abzunehmen.

Musikalisch ist das Schema der Nummernoper aufgebrochen, die Szenenwechsel müssen ohne Pause vollzogen werden.

Die ersten Bilder des „Rheingolds“ spielen im Rheingold-Express (Bühnenbild: Heike Scheele), eine sehr logische Idee, da Wotan und seine Familie nach Walhall reisen, um ihre neue Residenz zu beziehen. Der Einfachheit halber spielt das erste Bild im Speisewagen, wo die Rheintöchter als Barfrauen ihren Gast Alberich verspotten und letzten Endes das Rheingold verspielen. Im benachbarten Abteil sitzen Froh (Khanyiso Gwenxane) und Donner (Piotr Prochera), Wotans legitime Söhne, als „Halbstarke“. Froh sieht aus wie der junge Michael Jackson, Donner schwingt mit jugendlichem Temperament seinen Hammer. Beide kommentieren mit jugendlichem Tenor bzw. Bariton eher als dass sie die Handlung vorantreiben. Es folgt ist Wotans Schlafwagen, den er mit Fricka teilt, und Freias Abteil.

Der Übergang nach Nibelheim, einem frühindustriellen Bergbau- und Schmiedebetrieb, gelingt nahtlos. Die Förderschächte befinden sich rechts und links, in der Mitte wird mit einem mondänen Schreibtisch die Chefetage angedeutet.

Mit einer List gelingt es Wotan und Loge, Alberich den Ring und den Nibelungenhort samt Tarnkappe zu entreißen. Wotan selbst ist dabei nicht zimperlich, mit dem Speer hackt er Alberichs Ringfinger ab. Alberich, gedemütigt und beraubt, mit blutender Hand, verflucht den Ring: „Wer ihn besitzt, den sehre die Sorge, wer ihn nicht hat, nage der Neid…“.

Wotan hat Gefallen an dem Ring gefunden und würde ihn gerne selbst behalten, aber die Erdgöttin Erda (Almuth Herbst), Mutter von Wotans Lieblingstochter Brünhild, warnt eindringlich vor dem Ring.

MiR/Rheingold/ Khanyiso Gwenxane, Almuth Herbst, Cornel Frey, Petra Schmidt/ Foto @ Forster

Das gesamte Rheingold einschließlich des Rings geht für die Befreiung Freias aus der Gewalt der Riesen drauf: Wotan ist scheinbar schuldenfrei, das Rheingold ist in den Händen von Fafner und Fasolt. Diese geraten über den Ring in Streit, Fafner erschlägt Fasolt, der Ring hat sein erstes Opfer gefordert.

Dass Wotan aus der Not heraus, Freia zu retten, das Rheingold nicht den Rheintöchtern zurückgibt sondern damit seine Schwägerin freikauft ist die Grundlage für die drei weiteren Teile des größten Opernprojekts aller Zeiten.

Die Rheintöchter beklagen immer noch das Unrecht, das ihnen angetan wurde.

Wotan zieht mit Fricka, Freia und seinen Söhnen Donner und Froh in Walhall ein. Ein feierlicher Einzug mit Gästen und durchschnittenem Absperrband wird inszeniert, das Orchester glänzt.

Richard Wagner schrieb „Das Rheingold“ in einer Zeit der gesellschaftlichen und politischen Umbrüche. Er wurde selbst 1848 als Revolutionär steckbrieflich gesucht. Der Text war 1852 fertig. Die Uraufführung des „Rheingolds“ fand am 22. September 1869 an der Münchner Hofoper durch Ludwig II statt. Die anderen drei Teile wurden erst später komponiert, die erste zyklische Aufführung der Tetralogie über den fluchbeladenen „Ring des Nibelungen“ fand erst 1876 in Bayreuth statt.

Das Rheingold“ ist ein Konversationsstück ohne Chor, in dem die Verstrickung des Göttervaters Wotan (Bastiaan Everink) in Prunksucht, Geldnot und Aneignung des Rheingolds durch böse List, um nicht zu sagen, Raub, die Grundlage für das gigantischste Werk der Opernliteratur bildet. Wagner nutzt die nordische Sagenwelt um seine Verachtung der Fürsten und des Adels, aber auch des Besitzbürgertums auszudrücken. Der Ring als Symbol für den Besitz von Produktionsmitteln und Macht korrumpiert seine Besitzer und lässt sie zu herzlosen Monstern verkommen.

Das mythische Märchen wird mit den entsprechenden Attributen der Götter, zum Beispiel Wotans Speer mit den Gesetzesrunen, Donners Hammer, Freias Korb mit den Äpfeln der ewigen Jugend, (Requisite: Thorsten Böning) in die Blütezeit des Wirtschaftswunders verlegt. Die Garderobe (Kostüme: Renée Listerdal) und Frisuren (Maske: Peter Pavlas) der Damen und Herren legen diesen Schluss nahe.

So ahnt man, das Ende der Welt der Götter könnte nahen. „Die neu erbaute Burg Walhall ist nur noch ein Luftschloss, die Mythen der Vergangenheit sind mehr als fragwürdig geworden in einer Welt, die von blindem Egoismus und Machtwillen regiert wird“, so die Presseerklärung des Musiktheaters im Revier. 
Unter der musikalischen Leitung des 1. Kapellmeisters und stellvertretenden Generalmusikdirektors Giuliano Betta spielt die Neue Philharmonie Westfalen routiniert auf. Die zarten Horneinsätze wackeln mitunter etwas, aber alles in allem wird sehr solide und klangschön gespielt, vor allem bei großen Tutti-Passagen mit viel Blech kommt Freude auf.

MiR/RHEINGOLD/ Piotr Prochera, Almuth Herbst, Bastian Everink, Khanyiso Gwenxane, Petra Schmidt/Foto @ Forster

Der als Gast-Star der Produktion auf den Plakaten abgebildete Bastiaan Evernik gestaltet mit seinem dramatischen Bass-Bariton die Partie des Wotan absolut überzeugend. Er ist der charmante Womanizer, den seine Gattin Fricka endlich an Walhall binden will und der dem Reiz des Rings fast erlegen wäre, dann aber doch auf Druck der Riesen und nach der Warnung Erdas schweren Herzens auf den Ring verzichtet.

Urban Malmberg als Alberich steht ihm nicht nach. Wie er im Gegensatz zum gewandten Wotan den häßlichen, geilen, lüsternen Zwerg mimt, über den sich die naiven Rheintöchter lustig machen, wie er als herzloser Kapitalist seinen Bruder schikaniert, wie er schließlich gedemütigt und versehrt den Fluch ausspricht, ist ganz großes Theater.

Almuth Herbst verkörpert sowohl als Fricka die Hüterin der Ehe als auch als Erda die Warnerin, die Wotan immer wieder auf den rechten Weg führen. Ihr wunderbar geführter Mezzosopran mit ganz großartigen tiefen Tönen geht unter die Haut. So eindringlich habe ich die Warnung vor dem Ring noch nie gehört.

Cornel Frey als Halbgott Loge gibt mit seinem Charaktertenor den amoralischen Intellektuellen Loge, der Wotan nach Kräften unterstützt und berät. Er hat diese Rolle auch beim „Ring“ in Düsseldorf verkörpert und kann die aalglatte Art eines Vertrauten und Ausputzers, der seine überragende Intelligenz in den Dienst Wotans stellt, hervorragend ausdrücken. Resigniert, weil er den Rheintöchtern nicht helfen kann, zieht er sich zurück.

Regisseur und Intendant Michael Schulz findet starke Bilder, wobei der Einsatz der Statisterie (Leitung Jasmin Friedmann und Klaus Wissing) als geknechtete Nibelungen besonders zu loben ist. Auch die Umsetzung des Nibelungenhorts nicht nur in Gold, sondern auch in Waffen und lebende Soldaten verdeutlicht, worum es dem Regisseur wirklich geht, nämlich, die Ausübung der Macht, die der Besitz von Produktionsmitteln verleiht, zu problematisieren.

Auch der Frevel an der Natur wird nicht gesühnt, da die Götter nur am eigenen Machterhalt interessiert sind und den Rheintöchtern Gerechtigkeit verweigern.

 

  • Rezension der Premiere von Ursula Hartlapp-Lindemeyer/Red. DAS OPERNMAGAZIN
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  • Titelfoto: MiR/RHEINGOLD/ Piotr Prochera, Almuth Herbst, Bastian Everink, Khanyiso Gwenxane, Petra Schmidt
    /Foto @ Forster
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