Es gibt gelegentlich Opernaufführungen, wo einzelne Sänger so exorbitant gut sind, oder das Orchester den Besucher dermaßen an Herz und Gemüt packt, dass man Unzulänglichkeiten in der Produktion übersieht oder gar nicht erst registriert. Vom Rezensenten so gerade erlebt in der Oper Bonn mit der „Elektra“ von Richard Strauss. Aile Asszonyi, die Sopranistin aus Estland, war für ihr Rolle im Vorfeld bereits mit reichlich Vorschusslorbeeren gefeiert worden; die gespannten Erwartungen wurden dann aber erheblich übertroffen. Die knapp über 40jährige mit jugendlichem Habitus wird weltweit gefeiert für ihren vokalen Farbenreichtum, ihre Stimmgewalt und ihre ungeheure Bühnenpräsenz; als hochdramatische Elektra bannt sie das ausverkaufte Haus in einer in Bonn selten erlebten Intensität. Selbst ihre Spitzentöne kommen sicher und dabei rund, tief ergreifend ist sie in den lyrischen Momenten. Besonders berührend ist die Wiedererkennungsszene von Orest – der Rezensent gesteht gerne ein paar eigene Tränchen. Eine Bonner Ausnahmeleistung sondergleichen. (Rezension der Aufführung vom 17. März 2019)
Eine solche war auch der Part des Beethovenorchesters unter Dirk Kaftan. Die Musiker, schon bisweilen ein wenig im Schatten des Kölner Gürzenich-Orchesters, folgten in selten gehörter Ausdrucksstärke und Homogenität ihrem GMD. Intensiv vibrierend, mit ungeheurem Farbenreichtum, durchgängig hoch spannend und extrem die Sinne fordernd – das war richtig große Klasse. Nicht umsonst erhielten Kaftan und Asszonyi mit Abstand den größten Anteil des jubelnden Applauses. Lobend erwähnt werden müssen auch Nicole Piccolomini als Kltytämnestra und Manuela Uhl als Chrysosthemis. Ob man den Orest, passend gesungen und gespielt von Martin Tzonev, unbedingt als hinkenden Krüppel mit Schlaganfall darstellt, der kaum die schicke breite Treppe aus dem Kellerverlies hochkommt und die Klytämnestra gar nicht selbst zu erschlagen schafft, sei dahingestellt. Dazu hat er halt seinen Pfleger.
Enrico Lübbe hat zusammen mit seinem Produktionsteam Etienne Pluss (Bühne) und Bianca Deigner (Kostüme) eine etwas verquere Inszenierung hingelegt. Das fängt an mit dem Bühnenbild, dem feudalen Inneren einer herrschaftlichen Villa mit einer großzügigen Treppe, die in den Keller führt, wo Elektra der Geschichte nach weggesperrt lebt. Passt alles irgendwie nicht recht zusammen. Die zentrale Story, nachdem Klytämnestra mit einem Beil erschlagen wird, dürfte die Oper als guten Kunden im nächsten Baumarkt auszeichnen; immerhin mussten neun große Beile angeschafft werden. Denn der Regisseur hat die Figur des Muttermörders vervielfacht, acht Orest-Klone hämmerten mit ihren Werkzeugen kräftig auf den schönen teuren Bühnenboden. Und weil es so großartig ist, kommen dazu nochmal acht Elektras, alle ebenfalls gleich gewandet. Damit dürfte auch der unbedarfteste Opernbesucher kapiert haben, worum es schlussendlich geht – Rache. Spannend ist auch die Suche der Elektra nach dem Mord-Beil. Erst ist es nicht zu finden, und bei Bedarf dann umso leichter.
Ziemlich unverständlich ist der Einsatz von offenbar hunderten schwarzen gefüllten Müllbeuteln, zumal die Verwendung von Plastik reduziert werden soll. Diese liegen bereits zu Beginn mit anderem Wohlstandsmüll auf der Bühne herum, werden ständig durch die in schicke, aber nicht recht passende Lederröckchen gesteckte Dienerinnen in hohem Bogen ergänzt von der oberen Bel Etage, kumulieren zum Schluss gar in eine regelrechte Müllsack-Massenorgie. Man fragt sich vermutlich ständig, wo der ganze Dreck im Haus denn nur herkommt. Das kann natürlich schon gedeutet werden als Altlasten der Vergangenheit, aber ob Elektra ihr Leben unbedingt tanzend in diesem Unrat aushauchen muss, ist doch sehr zweifelhaft. Wie schon erwähnt, war auch nach der zweiten Aufführung das Publikum – wie auch der Schreiber dieser Zeilen – lautstark total aus dem Häuschen. Wegen des Orchesters und der famosen Aile Asszonyi.
Premiere am 10. März 2019 im Opernhaus Bonn
Besuchte Aufführung am 17. März 2019 //
- Titelfoto: ELEKTRA/Manuela Uhl/Aile Asszonyi/Mägde/ Foto @ Thilo Beu