
2019 wird als „Jahr der Meistersinger“ in die Operngeschichte eingehen! Daniel Barenboim holte das Werk nach zehn Jahren zurück an die Staatsoper Unter den Linden und besetzte es mit Meistersingern wie Siegfried Jerusalem und Rainer Goldberg während parallel dazu Georg Zeppenfeld sein umjubeltes Debüt als Hans Sachs in Begleitung der Sächsischen Staatskapelle bei den Osterfestspielen Salzburg feierte. Jedoch nur die Staatsoper München mit Kirill Petrenko am Pult hat einen der bedeutendsten Tenöre der Gegenwart für ihre Meistersinger gewinnen können: Jonas Kaufmann in der Rolle des Walther von Stolzing! Da blickt selbst das Bayreuther Festspielpublikum neidisch zur Isar – bis Jonas Kaufmann seine Teilnahme krankheitsbedingt kurzfristig zurückzog…. (Rezension der besuchten Vorstellung v. 27.7.2019)
Da sich des Sommers sämtliche renommierten Wagnertenöre in Bayreuth tummeln, sind Alternativen für einen Startenor wie Jonas Kaufmann rar. Der Kölner Heldentenor Daniel Kirch konnte kurzfristig für beide Festspielvorstellungen gewonnen werden. Er kannte die Münchner Produktion schon, da er erst im letzten Jahr für Klaus Florian Vogt eingesprungen ist.
Daniel Kirch setzte seine dunkel gefärbte Stimme gekonnt ein. Er verfügte über eine ausgesprochen versierte Gesangskultur bei deutlicher Aussprache und intelligenten Linien, die seine Stimme auch noch im Schlussgesang des Preislieds ausreichend weit trugen. Sichtlich motiviert gestaltete er einen enthusiastisch-naiven und durchweg sympathischen Walther. Die Karriere von Daniel Kirch stieg in den letzten Jahren steil nach oben; nach einem umjubelten Tannhäuser in Amsterdam sorgte er kürzlich als Sigfried in Chemnitz für Aufsehen. Es bleibt zu wünschen, dass zukünftig Daniel Kirch auch regulär die Titelrolle einer großen romantischen Oper Bayerischen Staatsoper verkörpern darf – bewiesen hat er sich ja nun schon zum zweiten Mal, Daniel Kirch war viel mehr als nur ein Ersatz für Jonas Kaufmann!
Wolfgang Koch, der Münchner Publikumsliebling der großen Wagner- und Strauss-Partien, sang vor wenigen Tagen noch den Jochanaan in der neuen Salome-Produktion und kehrte nun als Hans Sachs zurück auf die Bühne der Staatsoper. Souverän und mühelos, stellenweise aber etwas monoton und wenig euphorisch, meisterte er die schier endlosen Monologe des Schustermeisters auch noch 15 Jahre nach seinem Rollendebüt. Erstaunlicherweise ähnelte Kochs helle Stimmfarbe doch sehr dem tiefen Timbre des Walthers von Daniel Kirch. Eine gewisse Verbundenheit beider Rollen wurde plötzlich deutlich, projiziert sich Hans Sachs auf Walther in einem Spiegelbild einer unerfüllten Vergangenheit?

Die weiteren Rollen waren durchwegs mit hervorragenden Stimmen besetzt, so dass diese Aufführung bis in die kleinsten Rollen ein Ohrenschmaus wurde: Sara Jakubiak verkörperte mit ihrer reif-verführerischen Spielweise und dramatisch sicheren Stimmlage eine ungewöhnlich selbstbewusste Eva. Allan Clayton gab einen ein lyrischen David, Christof Fischesser verkörperte einen dramatischen Pogner und Martin Gantner sang einen darstellerisch charismatisch und stimmlich eindrücklichen und präzisen Beckmesser.
Seit der Premiere vor drei Jahren hat Kirill Petrenko die Meistersinger in München zur Chefsache erklärt. Bei schnellen Tempi aber gleichzeitig transparent-durchhörbarem Klang legte er sonst Unhörbares im Orchester frei. Insbesondere in den großen Ensembleszenen – der Prügelfuge oder auf der Festwiese – offenbarte sich Petrenkos Genie: Im Bayerischen Staatsorchester waren sämtliche Instrumentengruppen gleichrangig raushörbar und trotz stark besetzter Bläsergruppen blieben alle Stimmen klar vernehmbar. Wahrlich „meisterlich“, wie Petrenko seine Musiker durch den Abend führte.
Der Regisseur David Bösch verlagert die Handlung der Meistersinger in das Nachkriegsdeutschland der 1950er Jahre, in welchem unverputzte Häuser die Gassen zieren. Hierbei böten die hochwertigen Kostüme und das mit Gittern und Gerüsten ansprechend verschachtelte Bühnenbild viel Potential für eine spannende Geschichte. Leider verlagert der Regisseur das polarisierende Werk Richard Wagners in eine politisch prekäre und verhängnisvoll bedrohliche Zeit ohne eine zur Bühnenausstattung adäquate Geschichte erzählen zu können. Bösch führt vielmehr in seiner Personenführung herzlich unpolitisch von einem Gag zum nächsten und potenziert den subtilen Humor von Wagners Libretto mit bemüht witzig wirkenden Videoeinspielungen zu einer bloßen Verballhornung einzelner Szenen – Die schnellen Lacher des Publikums sind auf seiner Seite! Sollte aber nicht gerade in einer politisch motivierten Inszenierung der Meistersinger das Lachen im Halse des Publikums stecken bleiben?

Besonders grotesk wirken immer wiederkehrende Einzelmomente purer Aggressivität, die gerade Beckmesser immer besonders hart zu treffen scheinen. Der Merker wird durch vermummte Gestalten solange auf brutalste Art – ganz ironiefrei – verprügelt, bis seine gesellschaftliche Ausgrenzung in einem unangekündigten Selbstmord in der Schlussszene eskaliert. Selbst solche drastischen Szenen stellt der Regisseur weder in einen politischen Kontext, noch zeigt er damit eine neue Deutung der Meistersinger auf, sondern lässt sie im aussagelosen Effekt der jeweiligen Situation verblassen um in der nächsten Minute wieder zum Slapstick zurückzukehren.
Zu den Opernfestspielen 2020 werden diese Meistersinger – es mag die letzte Chance sein, den scheidenden GMD Kirill Petrenko in dieser Oper erleben zu dürfen – wiederaufgenommen, noch steht auch Jonas Kaufmann in der Besetzungsliste….
- Rezension von Phillip Richter / RED. DAS OPERNMAGAZIN
- Bayerische Staatsoper / Stückeseite
- Titelfoto: Bayerische Staatsoper/DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG/ Foto © Wilfried Hösl