Das Interview fand an einem ganz besonderen Ort statt. In Bregenz. Die Festspiele auf dem See genießen einen hervorragenden Ruf und sind ein großer Publikumsmagnet.
– Das Interview für DAS OPERNMAGAZIN mit dem Tenor Sergey Romanovsky führte Marco Stücklin (Juli 2019) –
DAS OPERNMAGAZIN (OM): Wie haben Sie reagiert, als die Anfrage zur Mitwirkung an dieser großen RIGOLETTO-Produktion eintraf?
Sergey Romanovsky (SR): Vor einigen Jahren habe ich eine Produktion auf dieser Bühne gesehen und träumte davon, auch einmal auf dieser Bühne zu stehen. Mein Agent fragte mich dann, ob ich für Bregenz vorsingen wolle. Dies war am Ende einer sehr intensiven Saison, aber ich habe zugesagt und die Rolle erhalten. Wenn man im Fernsehen oder auf einer DVD diese Aufführungen ansieht und man dann selbst ein Teil dieser riesigen Bühne ist, ist dies magisch und einzigartig. Besonders, wenn das Wetter auch mitspielt und man diese Naturkulisse erleben kann. Ich singe in diesem Sommer 9 Vorstellungen auf dem See. Für mich etwas ganz Außergewöhnliches.
(OM): Das Spiel auf dem See ist mit großen Herausforderungen verbunden und verlangt einen ganz außergewöhnlichen Einsatz. Wie erlebten Sie die Probenzeit?
(SR): Bevor die Proben begannen, konnte ich mir dies alles nicht richtig vorstellen. Eine derart große Bühne voller Technik und mit riesigen Kulissen. Am Anfang noch ohne Mikrophone, was nicht einfach war, 7000 Zuschauer und große Distanzen. Wir mussten zuerst viel über die Sicherheit lernen. Die Gürtel werden mehrere Male geprüft und man benötigt eine Bewilligung, um die Bühne überhaupt betreten zu dürfen. Als wir dann mit den Mikrophonen begannen, wurde die ganze Sache einfacher. Vor allem in den Szenen wo man sich nicht bewegen sollte, sind die Mücken sehr rasch zur Stelle.
(OM): Da das Orchester ja nicht wie üblich vor Ihnen spielt, sondern von weit entfernt eingespielt wird, erfordert dies viel Konzentration. Wie gehen Sie damit um?
(SR): Das ist wirklich nicht einfach, besonders abends wenn die Scheinwerfer beim eindunkeln blenden und man die Monitore nicht gut erkennen kann. Bei den Proben konnte man während der ersten Arie den Dirigenten kaum sehen. Doch mit der Zeit hatte man sich darauf eingestellt und gerade dies macht diese Arbeit ja so spannend.
(OM): Die Rolle des Herzogs in Rigoletto beinhaltet zwei ganz berühmte Arien und ist beim Publikum besonders beliebt. Sie haben ja diese Partie schon in Moskau in der Produktion von Robert Carsen gesungen. Wie erleben Sie den Charakter dieser Rolle?
(SR): Der Duca ist eine dunkle Persönlichkeit für mich. Er spielt mit den Leuten und den Frauen und lässt sie dann fallen. Aber er tut dies alles mit einem großen Lachen. Gerade in dieser Produktion ist auch das Kostüm sehr speziell und hebt diese Figur besonders hervor.
(OM): Was gefällt Ihnen an dieser Bregenzer Produktion?
(SR): Für mich ist das eine ganz neue Erfahrung. Zuerst die Frage, kann ich das überhaupt oder nicht?
Diese Aufführung fordert neben dem Singen viel Bewegung, viel Konzentration. Koordination ist sehr wichtig. Aber je schwieriger die Aufgabe, desto mehr Reiz hat es für mich und das gelungene Resultat entschädigt einen für all die Arbeit.
Aber es ist heute sowieso alles anders, als früher. Man muss als Sänger heute auch Schauspieler sein und fit genug, um die Ideen der Regisseure umsetzen zu können. Das ist nicht immer einfach, aber ich probiere stets zuerst, ob ich etwas machen kann, bevor ich eventuell Änderungen vorschlage. Oft ist es dann während der Proben viel leichter, als bei den ersten Besprechungen. Ich bin offen für neue Ideen.
(OM): Gehen wir zurück an Ihre Anfänge als Sänger. Wie sind Sie zum Gesang gekommen?
(SR): Bereits mit 6 Jahren sang ich in der Musikschule. Ich spielte auch Violine. Singen war mehr ein Hobby, ich sang moderne Songs im Kulturhaus unserer kleinen Stadt. Ich dachte nicht daran, jemals Sänger zu werden. Ich wollte meinen Weg als Violinist weitergehen. Doch damals waren es sehr schwere Zeiten im Russland der 90er-Jahre. Kein Geld, nichts. Meine Eltern konnten mir keine gute Violine kaufen zum Üben. In dieser Zeit begann ich auch mit dem Breakdance. Das war vor dem Studium des Operngesangs. Das war eine aufregende Zeit für mich. Im College sang ich mal vor und man meinte, ich solle als Tenor Gesang studieren. Also begann ich mit meiner Gesangslehrerin, einer großartigen Künstlerin mit langer Karriere. Sie stellte rasch fest, dass ich vom Singen nicht sehr begeistert war. Ich wollte ja Breakdance machen, was mein Hobby war. Doch sie gab mir immer wieder CD’s von großen Sängern und ich begann nach den Tanzstunden und vor dem schlafengehen, mir diese anzuhören. All die berühmten Stimmen faszinierten mich und ich stellte fest, dass meine Stimme danach verlangte zu singen. Also begann ich mit den Übungen. Als ich dann feststellte, dass ich mehr und mehr gute Töne traf, war das ein ganz großes Glücksgefühl und ich musste stets lachen. Die Lehrerin hatte viel Geduld und ließ mich mein Glück genießen. Damals war ich ja erst 16 Jahre alt und noch fast ein Kind.
Als dann das erste Konzert angesagt war, verstand ich was für ein unglaubliches Glücksgefühl es ist, aufzutreten. Was mir damals nicht bewusst war ist, wie viel man reisen muss. Man kann ja einfach an einem Theater angestellt sein und dort sein Publikum erfreuen. Die Alternative dazu ist sehr intensiv. Stets in anderen Städten, Hotels und Theatern, sowie das Leben aus dem Koffer. Manchmal ist es aber gerade wegen der längeren Probenzeiten eine gute Sache, weil man dann einen neuen Ort erkunden kann. Beherrscht man einmal seine Rolle, ist dies weniger ein Problem, dann kann man sich ganz auf die Inszenierung konzentrieren.
Kommt man nach einer Vorstellung ins Hotel, kann man normalerweise noch lange nicht schlafen, obwohl man physisch sehr müde ist.
(OM): War in Ihrer Familie die Musik schon immer wichtig?
(SR): Ich habe Bruder und Schwester und alle sind musikalisch ausgebildet. Russische klassische Musik mit einigen Jahren Studium. Auch mein Großvater war Musiker. Er hatte sich alles selbst beigebracht und spielte virtuos Harmonium. Er war außergewöhnlich talentiert und spielte für uns immer diese herrlichen Melodien. Ich besitze seine ganze Aufnahmesammlung, welche er von seinem Repertoire erstellt hatte.
(OM): Ihre Ausbildung fand in Moskau statt, wo Sie auch einige Auszeichnungen erhalten haben. Was waren Ihre schwierigsten Momente und welches die positivsten Erlebnisse am Anfang.
(SR): Das eindrücklichste Erlebnis war mein zweiter Wettbewerb in Moskau. «Bella Voce». Ich gewann den zweiten Preis. Anschließend begann ich mit einem neuen Lehrer zu arbeiten, welcher alles an meiner Technik änderte. Das war ein Neuanfang. Es ist sehr wichtig, die richtigen Personen zu treffen, besonders als junger Opernsänger. Es gibt auch eine große Konkurrenz in Russland. Ich kam aus einer kleinen Stadt und hatte kein Geld, wenig Essen und lebte in einem Studentenhaus alleine. Dort lernte ich neue Freunde kennen und wir unternahmen viel. Es war aber keine einfache Zeit.
In den letzten Jahren sind viele junge Talente auf den Bühnen aufgetreten, welche ein breites Repertoire bedienen. Man muss jedoch gut darauf achten, dass man nicht zu früh zuviel macht. Dies ist allerdings schwierig, weil die Manager in erster Linie schnell an große Häuser vermitteln wollen, was viele Gefahren mit sich bringt. Normalerweise ist der Manager ja nicht der Lehrer. Man muss am Anfang einer Karriere auch viel Glück haben.
Genauso wichtig ist es, erst eine Rolle zu singen, wenn man dafür bereit ist. Als Sänger spürt man dies, auch wenn man vielleicht vor einer Rolle gewarnt wird. Andererseits muss man auch, den Mut haben, eine Rolle abzulehnen oder nicht mehr zu singen, obwohl man noch Angebote dafür hätte. Da man ja immer einige Jahre im Voraus planen muss, kann es durchaus auch einmal vorkommen, dass eine Rolle nicht mehr zur Stimme passt. Heute wird erwartet, dass man viele Partien im Repertoire hat. Ich habe bereits 35 Rollen gesungen. Viele große Sänger hatten früher nicht mehr als 20 Rollen im Repertoire. Die Ansprüche haben sich total verändert.
(OM): Wenn Sie ein ganz spezielles Erlebnis nennen dürften, welches eine besondere Bedeutung in Ihrer bisherigen Karriere gespielt hat, welches war das Unangenehmste und welches das Erfreulichste?
(SR): Am schlimmsten für mich war, als ich meine Stimme mit 25 Jahren verloren hatte. Zwei Jahre lang hatte ich ganz schwierige Zeiten. Ich musste bei Null anfangen. Das war das Resultat vom frühen Singen und zu vielen Rollen, welche mir angeboten wurden. Man war jung, gutaussehend und billig, genau was die Theater brauchen. Ich begann mit dem Singen wieder dank der Unterstützung meiner Familie, Freunde und Lehrer. Schritt für Schritt kam ich vorwärts und lernte, viel vorsichtiger mit meiner Stimme umzugehen. Als junger Sänger überlegt man nicht viel und genießt es einfach. Doch später muss man auf die Ernährung, den Schlaf und seinen persönlichen Rhythmus achten.
Eine besondere Bedeutung hat für mich die Entdeckung des Baritenor-Repertoires von Rossini. Das war eine großartige neue Erfahrung. Ich war im Garten mit meiner Familie und mein Agent fragte mich, ob ich die Oper «Zelmira» von Rossini kennen würde. Ich verneinte und er empfahl mir, dies auf Youtube anzusehen. Das habe ich dann gemacht und studierte die Noten. Es war wie eine Bombe für mich. Ich sang ja schon vorher viel Rossini, jedoch Rossini-buffo. Ich war jung und es war OK für mich. Aber ich hatte stets das Gefühl, dass mich daran etwas stört und ich diese Stücke nicht so richtig mag. Als ich dann mit dem neuen Repertoire anfing, spürte ich, wie ich daran wuchs und eine neue Energie sich verbreiterte.
Nach der Aufführung in Lyon von «Zelmira» bekam ich eine Einladung nach Pesaro. Als ich dort das erste Mal aufgetreten war, war dies wie ein Geschenk des Himmels. Pesaro der Geburtsort von Rossini ist ein ganz besonderer Platz. Vorher hatte ich für diesen Ort wahrscheinlich nicht die richtigen Opern gesungen. Doch nun ist es umso schöner, dort singen zu dürfen. Ich entdeckte meine Stimme neu und mit dem Rossini-serio – Repertoire bin ich sehr glücklich.
(OM): Sie haben vor kurzem in Muscat in der Oper «Lakmé» brilliert, an einem Ort, wo die Operntradition nicht sehr bekannt ist. Wie haben Sie dieses spezielle Publikum erlebt.
(SR): In Muscat wurde ein phantastisches Opernhaus errichtet, welches sehr gut organisiert ist. «Lakmé» war die allererste Produktion an diesem Hause, welche dort von A-Z erarbeitet wurde. Sonst wird dieses Haus meistens durch Gastproduktionen bespielt.
Das Publikum war begeistert und man konnte spüren, dass ein reges Interesse an Opern vorhanden ist. Im großen weiten Umfeld gibt es dort kein weiteres Opernhaus. Eine wundervolle Atmosphäre. Ich habe mich sehr wohl gefühlt.
(OM): In Zürich durften wir Sie ja im «Faust» und «Les Pecheur du Perles» erleben. Was hat Ihnen an Zürich besonders gefallen.
(SR): Das Opernhaus Zürich ist eines der schönsten für mich. Das Haus ist hervorragend organisiert und ist bei allen Fragen sehr hilfsbereit. Dort kann man in Ruhe proben. Zürich ist einer meiner Lieblingsorte.
(OM): Sie sind sehr viel unterwegs. Gibt es einen fixen Hafen, wo Sie sich ganz zuhause fühlen.
(SR): Das ist in Moskau, etwas außerhalb.
(OM): Wenn Sie nicht singen und proben, was sind dann Ihre liebsten Beschäftigungen?
(SR): Ich mache Gymnastik und ab und zu auch noch Breakdance. Versuche auch, soviel Zeit wie möglich mit meiner Familie zu verbringen. Besonders liebe ich die Arbeit im Garten. Ich mache dort alles selbst und genieße dies als Ausgleich.
(OM): Was sind Ihre kommenden Projekte?
(SR): Es stehen Auftritte in «Faust» in Chile, als Rodolfo in Köln und als Alfredo in Rom an. Zwei weitere wichtige Rollen stehen dann in Pesaro mit «Elisabetta regina d’Inghilterra» und in einer konzertanten Aufführung in Moskau von Mozart’s «Mitridate» auf meinem Plan.
(OM): Herzlichen Dank Sergey für dieses Gespräch. Wir wünschen Ihnen spannende Aufführungen hier in Bregenz und für die Zukunft weiterhin viel Erfolg. (Sergey Romanovsky wird noch am 4.,6.,8.,11.und 14. August als Herzog in Bregenz zu erleben sein).